Buchrezension: Designlehren
In der Gestaltung sind gerade die Ausbildungsstätten Trend-Seismographen. Hier finden Studenten neben Theorie und handwerklicher Praxis einen kreativen Spielplatz, auf dem wirtschaftliche Verwertbarkeit vielfach hinten angestellt wird und die Schulen so zu Impulsgebern und Brutstätten utopischer Visionen macht. Die Auseinandersetzung mit der Designgeschichte der letzten hundert Jahre entlang der der deutschen Hochschulen ist also ein durchaus gangbarer Pfad: Kai Bucholz und Justus Theinert fassen in ihrem Buch „Designlehren – Wege deutscher Gestalterausbildung“, das zum 100-jährigen Jubiläum der Gründung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe veröffentlicht wurde, die Geschichte des Produktdesigns anhand seiner Schulen und Protagonisten zusammen.
Vor der Beschäftigung mit den Eckpfelern der Designgeschichte, wie Bauhaus und HfG Ulm oder Begriffen wie der "Guten Form" und dem "Neuen deutschen Design" kann sich kaum ein Gestalter in seinen Lehrjahren drücken. Serviert wird hier allerdings meist in Häppchen und nur innerhalb einer Strömung und Epoche. „Designlehren“ hingegen bemüht sich um den großen Rundumschlag, der nicht nur eine Übersicht über ein ganzes Jahrhundert Gestaltung gibt, sondern auch die Möglichkeit zum gezielten Nachschlagen. Zeitabschnitte zwischen zehn und zwanzig Jahren bilden den Rahmen für die einzelnen Kapitel, die inhaltlich stringent und vor allem beispielhaft übersichtlich gegliedert sind. Einer kurzen Einführung, die sich vor allem mit den zentralen Persönlichkeiten auseinandersetzt, folgt jeweils ein vertiefender Text. Ein Interview und eine Bilderstrecke unterfüttern die Theorie visuell und entführen den Leser atmosphärisch in vergangene Zeiten und renommierte Werkstätten. Morgenübungen auf dem Dach der Itten-Schule, das Bauhaus am Tag seiner Schließung oder Modellbau in Ulm - in den „Designlehren“ blättert es sich wie im Familienalbum der eigenen Profession.
„Geschichte des (Ver-)Suchens“
Das Buch zeichnet die Entwicklung vom Jugendstil über die Kunstgewerbeschulen bis zur Guten Form nach und klammert das Kunsthandwerk nicht als den Gegensatz zur funktionalen, industriellen Formgebung aus. Damit machen die Autoren einmal wieder bewusst, dass Design sich weder auf Kunst oder Handwerk, noch auf Wissenschaft und Technologie reduzieren lässt, sondern eben aus all diesen Arbeitsgebieten zusammensetzt. Die Vielschichtigkeit des Berufsbildes lässt sich auch an den unterschiedlichen Ausbildungsmethoden und ihren pädagogischen Fundamenten ablesen. Welche pädagogischen Vorstellungen etwa waren Grundlage für die Lehre von Peter Behrens, Walter Gropius, Otl Aicher, Max Bill oder Nick Roericht? Wie gestaltete sich der Alltag für die Schüler der Itten Schule oder der HfG Ulm? Das Buch klärt über gemeinsame Strömungen, Wurzeln aber auch die Unterschiede auf und fügt die Puzzleteile der Gestaltungsgeschichte zusammen.
Schönes Buch 2008
Um die vielen Informationen übersichtlich zu halten wurde die Publikation in zwei Bände aufgeteilt – Index, Karten und Kurzporträts finden sich als angehängtes Nachschlagewerk. Sie können voneinander getrennt benutzt oder über die in den Buchdeckeln verborgenen Magnete dauerhaft aneinander gefügt werden. Und auch die graphische Gestaltung sticht hervor: Der Titel des Buches zieht sich in Versalien über die Außen- und Innenseiten des Einbandes, im Fließtext wechselt die Schriftfarbe je nach Inhalt zwischen schwarz und goldbraun und hilft beim Querlesen einen gezielten Einstieg zu finden. Einziges Manko: In den allgemeinen Abschnitten werden dem Text immer wieder Zitate einzelner zentraler Personen zur Seite gestellt. Das ist – als Alternative zur üblichen Bebilderung – durchaus interessant und abwechslungsreich, stört aber durch fehlende typographische Kenntlichkeit den Lesefluss. Immer wieder verirrt man sich in den Zitaten, die nur durch einen Absatz und Anführungszeichen vom eigentlichen Fließtext getrennt sind. Seine außergewöhnliche Gestaltung brachte dem Buch die von der Stiftung Buchkunst verliehene Auszeichnung als schönstes Buch 2008 ein. Und wird damit nicht nur inhaltlich, sondern auch als Produkt für die Gestalter interessant.
"Designlehren - Wege deutscher Gestaltungsausbildung"
Autor Kai Buchholz / Justus Theinert
Verlag Arnoldsche Art Publishers
ISBN 3897902729