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Von Nerds, Natur und Nischen – der DMY 2010

von Tanja Pabelick, 16.06.2010


Am vergangenen Sonntag ging die achte Ausgabe des Designfestivals „DMY“ in Berlin zu Ende, das sich als größtes Spektakel
seiner Art in der Bundesrepublik etabliert hat. Während man in den letzten Jahren mit Zuordnungen wie „daily, yearly, monthly“ noch vergessen machen wollte, dass es sich eigentlich um die Nachfolgeveranstaltung des 2008 insolvent gegangenen „Designmai“ handelte, verstand man sich dieses Jahr als Marke, die derlei nicht mehr nötig hat. Selbstbewusst beschränkte man sich auf die drei  Lettern und sorgte mit dem neuen Veranstaltungsort Flughafen Tempelhof zudem für ein spektakuläres Ambiente. 400 internationale Designer präsentierten im Hangar und auf den in der Stadt verteilten Satellitenveranstaltungen ihre Kollektionen und Prototypen und zeigten damit die volle Bandbreite aktueller Designtendenzen.
 
Bisher war das DMY, das sich als internationale Plattform für junge Gestalter und renommierte Designstudios sieht, vor allem für die Berliner Designszene repräsentativ: kreativ, aber in der Ausführung provisorisch. In diesem Jahr ist es dem Festival zum ersten Mal gelungen, sich einen internationalen Anstrich zu geben. Zwar ist man immer noch meilenweit entfernt von der Qualität der alle zwei Jahre stattfindenden Designbiennale „Interieur“ im belgischen Kortrijk oder der Mailänder Zona Tortona, aber auf einem guten Weg dahin, auch überregional eine feste Größe auf der Ausstellungsagenda zu werden. Dafür sorgten vor allem zwei clevere Schachzüge der Veranstalter: Zum einen war die zeitliche Nähe der Vorgängerveranstaltung „Designmai“ zur Mailänder Möbelmesse ein Garant für Aufgewärmtes, die Verlegung des „DMY“ in den Juni lässt nun mehr Zeit für die Entwicklung von wirklichen Neuheiten. Eine echte Politur fürs Image war aber wohl die Wahl des diesjährigen Veranstaltungsortes. Der kolossale Komplex des Berliner Zentralflughafens in Tempelhof ähnelt den vorangegangenen Festivalschauplätzen Kulturfabrik und Arena in seinem Berlin-typischen Umnutzungs-Charme, ist dabei aber erwachsener, im Charakter weltoffen und köderte auch Besucher, die sich neben den Produktinnovationen auch für die monumentale Architektur begeisterten.
 
Freiflug in der Folie
 
In der Eingangshalle von Tempelhof stehen immer noch unangetastete Ticketcounter, Schilder längst aufgelöster Fluggesellschaften zieren die Wände, und die alten Gepäckbänder versetzen den Besucher in Zeiten, in denen zur Uniform einer Flugbegleiterin noch Handschuhe und Hütchen gehörten. Der Weg zum eigentlichen Festival in zwei der Hangars führte über lange, blank gebohnerte Flure und die Außengates. Unter dem Dach dieser Gates, vor dem Hintergrund des riesigen Flugfeldes, war die raumgreifende und wohl spektakulärste Installation des diesjährigen „DMY“ inszeniert. Der Kunststoff-Kokon vom österreichisch-kroatischen Kollektiv ForUse/Numen besteht aus 45 Kilometer Klebeband, das wie Spinnenfäden zusammenläuft und sich zu einem amorphen Raum verdichtet, der transluzent bleibt und dabei überraschend stabil ist. Das Festival war die zweite Station des Projektes, das sein Debüt auf der „Vienna Design Week“ hatte. Unglücklich an der Präsentation in Berlin war jedoch ihr Standort: Das eigentliche Konzept sieht vor, dass die Installation sich an die „bestehende Architektur andockt“. Aufgrund der Größe des offenen Raumes der Außengates hätte die Skulptur daher wesentlich größer ausfallen müssen, und so wurde die Architektur durch rollbare Baugerüste als Trägerkonstruktion ersetzt.
 
Die Ausweitung der Designzone
 
Wie derzeit überall im Design tanzte man auch beim „DMY“ auf verschiedenen Hochzeiten der Profession. Eine gewisse Orientierungslosigkeit, thematische Zersplitterung und Zurückhaltung in Material und Aussage war allgegenwärtig. Statt starker Positionen strecken die Gestalter sich in alle Richtungen: Da gibt es das Design, das mit kurzweiligen Pointen unterhält, wie die Schaukelkette aus der Wohnschmuck-Kollektion von Johanna Richter. Gutes altes Handwerk, wie bei dem Stuhl „Soft Wood“, dessen vermeintliche Knopfpolsterung tatsächlich detailgenau aus Holz geschnitzt ist. Oder die Rückbesinnung auf skandinavische Einfachheit, die mit unbehandelten Hölzern und leichten Akzenten an allen Ecken und Enden auftaucht. Daneben die üblichen Kommentare zur Lage der Gesellschaft und den Finanzmärkten, die am einen Ende mit einem Hartz-IV-Selbstbausessel für 24 Euro beantwortet wird, auf der anderen Seite der Krise einen rein dekorativen Konsumkitsch entgegenstellt, der einem in Form gold-roséfarbener Chihuahua-Porzellanfiguren entgegenbellt. Und selbst der WM konnte der „DMY“ immerhin eine sportliche Alternative entgegensetzen: Im Hangar fand sich eine Minigolfanlage aus Sperrholz, die unkonventionelle Hürden vor die Löcher baute. Statt über steinerne Hindernisse ging es über gerafften Stoff und gezimmerte Loopings.

Für Verwirrungen sorgte in diesem Jahr wieder einmal die Unterscheidung der Aussteller in „Youngsters“ und „Allstars“. Welche Merkmale zu dieser Kategorisierung führten, blieb zumindest im Bereich der Studios ein großes Rätsel. Der Katalog zur Ausstellung erklärt die Sache so: „Die Allstars sind eine Ausstellung für markt- und vertriebsorientierte Produkte(…)“, und: „die Youngsters sind eine Plattform, die talentierten Designern und Designschulen gewidmet ist“. Dass es dabei einige Schnittstellen und Überschneidungen gibt, ist vorprogrammiert – sinnvoller wäre sicherlich eine Unterscheidung in Design-Studios/Autorendesigner und die Gruppenausstellungen der Hochschulen.
 
Doch trotz oder vielleicht gerade weil die Arbeiten sehr unteschiedlich ausfielen, war der Besucher gut unterhalten – auch wenn die Frage nach den aktuellen Tendenzen in der Gestaltung ein weiteres Mal mit den üblichen Schlagworten Nachhaltigkeit, „Handwerk“ und „innovative Produktionsprozesse“ beantwortet werden kann. 
 
Digitale Klasse
 
Offen gefeiert wurde auf diesem DMY der „Technikfrickler“, der seine Experimentierwerkstatt aus dem Keller an die Öffentlichkeit schaffte und dem staunenden Publikum Sensationen wie eine rhythmische Rauchringmaschine „for those who see“, oder Rauminstallationen aus mit Wasser aufgeblasenen Metallprofilen („FIDU“ von Oskar Zieta) präsentierte. Unter dem Titel „Are Nerds the new designers?“ wurde dieser technologisch-digitale Ansatz der Produktentwicklung auch gleich im Rahmen eines Symposiums am Samstag diskutiert. Und selbst unter den drei Gewinnern des „DMY Awards“ war ein digitales Wunderwerk: „Give me more“ filmt ein zweidimensionales Bild ab, spielt die eigentlich statische Aufzeichnung auf dem Computerbildschirm ab und lässt darin eigens dafür gestaltete Animationen auftauchen. So springen aus einem Foto Rehe oder ein Geldschein wird zum Filmset. Als weitere, gleichberechtigte Sieger wurde die Klebeband-Installation sowie das Dreiergespann „Tafelstukken“ von Daphna Isaacs und Laurens Manders ausgezeichnet, das Ablage, Aufbewahrung und Leuchte in jeweils einem Objekt vereint.
Im Anschluss an die Preisverleihung am Freitag lud man noch zum „Designer Dinner“, dem man allerdings mit seiner Alternativbezeichnung „chick-nick“ eher gerecht wurde. Rustikal servierte man auf eigens von Postfossil gestalteten Brettchen Pellkartoffeln und ein paar Scheiben Käse – nicht nur im Design scheint Dekadenz passé.
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