Newcomer

Zwei Messen, zwei Welten

von Uli Meyer, 09.11.2010

Gleich zwei Designmessen konnte der Leipziger Oberbürgermeister Ende Oktober am selben Tag eröffnen: die noch junge, trendige Designers' Open und die bereits 1920 gegründete und 1997 wiederbelebte, traditionsbewusste Grassimesse. Wir haben beide Messen besucht und sind, trotz vieler Gemeinsamkeiten, auf zwei Parallelwelten gestoßen, die sich perfekt zu einem über Leipzigs Stadtgrenzen hinausstrahlenden Designszene-Event bündeln ließen.

Das Gute vorweg: Leipzig bietet dem Designinteressierten jeden Herbst ein breites Angebot an innovativem Design und anspruchsvoller Gestaltung. Gerade im Oktober, wenn zeitgleich die beiden Schauen Designers' Open und Grassimesse stattfinden, bieten sich dem Besucher gute Möglichkeiten, sich ein aussagekräftiges Bild vom breiten Spektrum der zeitgenössischen Produktdesign-Szene zu machen.

Die „Trendige“

Zum sechsten Mal präsentierte sich in diesem Herbst die von den beiden Designern Jan Hartmann und Andreas Neubert initiierte Designers' Open. Die ursprünglich als Off-Veranstaltung  und Antipode zur Grassimesse firmierende Grassi Open, hat sich schnell als eigenständiger Branchentreffpunkt für Design in Mitteldeutschland etabliert. Bereits in den ersten Jahren verdoppelten sich Besucher- und Ausstellerzahlen von Jahr zu Jahr, und schon 2009 konnte die 10.000-Besucher-Marke geknackt werden: Eine Besucherzahl, die auch in diesem Jahr wieder erreicht wurde. 
Die Attraktivität der Schau dürfte in diesem Jahr nicht zuletzt am Standort der Schau gelegen haben. So bietet Leipzig nach wie vor einige „abgerockte“, unsanierte Locations, die gute Inszenierungsmöglichkeiten für eine Trendschau bieten. Diesmal wählten die beiden Initiatoren als Standort zwei innerstädtisch gelegene, zusammenhängende Gebäude – das im Stile der florentinischen Renaissance 1891 erbaute „Hotel de Pologne“ und das ehemalige Handelshaus „Kretschmann’s Hof“. Zum Teil noch unsaniert, zum Teil gerade in der Sanierung befindlich, boten beide Gebäude den perfekten Rahmen für die 120 Aussteller, die auf 50 ehemalige Hotelzimmer, zwei Festsäle und mehrere Stockwerke verteilt, ihre Ideen und Produkte aus Mode-, Interior- Kommunikations- und Industriedesign präsentieren konnten.

DO/Market und DO/Industry

Eine Neuerung und sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung des Festivals war in diesem Jahr die Trennung der Bereiche DO/Market und DO/Industry. So war für den Endkunden auf der
Suche nach neuen Produkten aus dem Interior-, Mode- oder Spielzeug  der DO/Market-Bereich im „Hotel de Pologne“ das Ziel. Im DO/Industry-Teil  in „Kretschmann’s Hof“ dagegen stellten Gestalter aus dem Produkt-, Industrie- und Kommunikationsdesign aus, die vor allem als Dienstleister wahrgenommen werden wollen. Diese Trennung sollte gewährleisten, dass für ausstellende Hochschulen und Unternehmen, die bereits Wissenschaft und Design vereinen, die Kontaktaufnahme zu Wirtschaftsunternehmen erleichtert wurde. Insbesondere in der Sektion „Sources for business“ zeigten die Designhochschulen der Region in Hochschulprojekten entstandene Konzeptstudien und Prototypen, die als industrienahe Designdienstleistungen zu verstehen waren.

Auferstanden aus Ruinen: Ilmia

Ob die Trennung in Market und Industry für die Aussteller schließlich bei der Auftragsakquise hilfreich war, wird sich zeigen. Sicher ist, dass es interessante und spannende Unternehmenskonzepte und Produktideen zu entdecken gab. So beispielsweise die Firmengeschichte der auf der Messe vertretenen Firma Ilmia. Die 1898 in Stadtilm (Thüringen) gegründete Firma stellte bis zu ihrer Insolvenz 1998 Sportschuhe her. Ausgelöst durch einen, auf dem Flohmarkt gefundenen, alten Ilmia-Schuh aus DDR-Zeiten, folgte 2003 die Wiedergeburt von Ilmia. Wie schon zu DDR-Zeiten ausschließlich in Deutschland produziert, braucht der Schuh kein Logo. Lediglich das linke Exemplar trägt auf der Seite den Namens-Schriftzug, stellvertretend für den einzelnen Schuh vom Flohmarkt, mit dem alles seinen Neuanfang nahm.

Tanzen auf zwei Hochzelten

Einige wenige Aussteller konnte man nicht nur bei den Designers' Open, sondern auch auf der gleichzeitig stattfindenen Grassimesse antreffen. So stellten Studenten verschiedener Fachbereiche der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ihre Produktideen sowohl im Bereich der DO/Market aus als auch am anderen Ende der Stadt, in den alt-ehrwürdigen Hallen der Grassimesse vor. Während im „Hotel de Pologne“ die Gruppe Burgschmaus neue Produkte aus den Bereichen Keramik- und Glasdesign zeigte, waren es im Grassimuseum die Klassen Inneneinrich­tung und Mobile Einrichtung, die hier Möbel aus PE-Schäumen in einem „Schaumlabor“ präsentierten. Die Klasse Bild Raum Objekt Glas stellte wiederum eine Installation vor, die explizit für die Grassimesse entwickelt worden war.

Die „Arrivierte“

Anders als die noch junge Designers' Open entspringt die heutige Grassimesse einer langen Tradition. Als Gegenstück zur kommerziellen Mustermesse war sie seit 1920 „Treffpunkt der Moderne“. Nach einer Zwangspause in der DDR definiert sie sich heute als internationales Forum und Verkaufsmesse für Angewandte Kunst und Produktdesign. Die rund hundert Aussteller, die durch eine Fachjury aus vielen Bewerbern ausgewählt werden, verteilen sich über drei Ausstellungsräume im Komplex des Grassimuseums, einem Art-Déco-Gebäude aus den Jahren 1925 bis 1929. Auch in diesem Jahr beteiligten sich wieder 100 Aussteller aus 14 Ländern an der ältesten Museumsmesse in Deutschland.
Doch während in der Innenstadt bei den Designers' Open die Messe, die Aussteller und auch die Besucher gerade durch die Improvisation eines ungewöhnlichen Messeortes inspiriert wurden, wirkten die Räume im frisch sanierten, dagegen fast sterilen Grassimuseum genau wie Besucher und Aussteller seltsam steif und kalt, was vielleicht auch an der von Aufsichtspersonal geprägten Museumsatmosphäre lag.
Dabei waren viele der Objekte im Grunde austauschbar: Armreifen aus Buntstiften, Trinkbecher aus Beton, Schüsseln aus Fahrradketten gab es hier wie dort zu sehen. Dennoch wurde Eva-Maria Hoyer, Direktorin des Grassimuseums für Angewandte Kunst und Jurymitglied, nicht müde die Originalität vieler Exponate hier zu betonen.
 
Eine Stadt, zwei Messen

Fazit: Leipzig verfügt mit den zwei Messen über exzellente Voraussetzungen, sich als Designstandort fest zu etablieren. Dennoch scheint man bei der Stadt Leipzig und vielleicht auch bei den Verantwortlichen der Messen selber eine übergeordnete Vernetzung untereinander bisher vernachlässigt oder aber abgelehnt zu haben. Schade eigentlich, könnten doch gerade die unterschiedlichen Konzeptansätze und Ziele der beiden Messen, die nicht zuletzt in den verschiedenen Standorten und Zielgruppen ihren Ausdruck finden, bei gleichzeitig so vielen Gemeinsamkeiten eine außerordentlich gegenseitige befruchtede Synergie auslösen.
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