Am See
Wer hat nicht schon mal geträumt von einem Haus direkt am See? Das Lido Palace schlicht Haus zu nennen wäre allerdings reines Understatement, handelt es sich doch um ein veritables Grand Hotel. In Riva del Garda, am nördlichen Zipfel des Gardasees, residiert die Nobelherberge direkt an der Uferpromende und dies seit 1899. Nun, auch Hotels kommen in die Jahre und müssen gelegentlich auf den neuesten Stand von Technik und Komfort gebracht werden. Der venezianische Architekt Alberto Cecchetto hat sich der Sache angenommen, das ursprüngliche Gebäude aus der Belle Epoque umfassend saniert und um moderne Anbauten ergänzt.
Betritt der Gast das Hotel, findet er sich sogleich in einer dieser räumlichen Ergänzungen wieder: Empfangstresen und Sitzgelegenheiten sind in einer hohen Konstruktion aus Stahl und Glas untergebracht, so dass der immergrüne Park mit dem beeindruckenden Baumbestand gleichsam in das Gebäude geholt wird. Alberto Cecchetto arbeitet mit Corten-Stahl: Gewachst taucht er als Fußbodenbelag auf, ungewachst zaubert er einen warmen Vintage-Look an die Wände. In der Lobby, aber auch in den spartanisch möblierten Aufenthaltsräumen und in den Restaurants wird dieses ungewöhnliche Material gekonnt mit Sofas und Sesseln des italienischen Herstellers Arper kombiniert. Während in der Lobby das Sofamodell Loop von Lievore Altherr Molina in Türkis leuchtet, geht es in den Restaurants farblich zurückhaltender zu.
Der Charme des Neuen
Beide Restaurants befinden sich in einem schiffsähnlichen Anbau, der von der südlichen Seefassade aus gesehen weit in den 30.000 Quadratmeter großen, hoteleigenen Park hineinragt und einen Großteil der Baukosten von 25 Millionen Euro verschlungen hat. In Riva del Garda – einem vom Massentourismus dominierten Städtchen mit 16.000 Einwohnern, das jedoch über eine schöne Bausubstanz aus der Jahrhundertwende verfügt – sorgte dieser zweistöckige Anbau, der im Untergeschoss den Spa-Bereich samt Swimmingpool und im Obergeschoss die Gastronomie unterbringt, monatelang für Gesprächsstoff und war in der Bevölkerung umstritten. Zu modern und wie ein Fremdkörper wirkte der gläserne Dachaufbau und das zweistöckige Anbau auf so manchen. Doch Alberto Cecchetto und seine Auftraggeber bewiesen einen langen Atem und deshalb bietet sich dem Gast nun ein unverbauter Blick auf den zuweilen stürmischen See und die dramatisch aufragenden Berge – raumhohe Fenster machen es möglich.
Speisen im Schiffsbug
Während das Bistro Tremani im vorderen Teil des insgesamt 350 Quadratmeter großen Raums untergebracht ist und ganztags mediterrane Küche serviert, ist das Fine-Dining-Restaurant Il Re della Busa im hinteren Teil des Anbaus angesiedelt und nur abends geöffnet. Beide Restaurantbereiche gehen fließend ineinander über. Auffälligstes Gestaltungselement ist die Sofa- und Sessel-Serie Saari, die Lievore Altherr Molina 2009 ebenfalls für Arper entworfen haben. Die Wahl dieser raumgreifenden Möbel ist ungewöhnlich für ein Restaurant, nehmen sie doch viel Platz in Anspruch, zeichnen sich aber durch einen hohen Komfort aus. Braun-Grau ist bei den Stoffen der vorherrschende Farbton, ebenso an Wänden aus Corten-Stahl und bei den Fußböden aus Holz. Nichts soll ablenken vom köstlichen Essen, um das sich Guiseppe Sestito engagiert kümmert.
Delikatessen vom Gardasee
Zuvor neun Jahre im Hotel Splendid Royal in Rom tätig, erkochte er sich dort einen Michelin-Stern und steht auch im Lido Palace ambitioniert am Herd. Der Fokus seiner Kreationen wie Risotto mit Flusskrebsen an Erbsenpüree mit Lakritzgeschmack oder mit Gardasee-Hecht gefüllte Ravioli an Wasserkresse-Sauce mit Pinienkernen liegt ganz auf der einheimischen Küche mit frischen saisonalen Zutaten. Dazu werden von Sommelier Guilio Mitan erlesene Weine serviert, die auf dem Weingut Tenuta San Leonardo ganz in der Nähe von den Marchese Gonzaga gekeltert werden. Auch bei der Tableware hat das Hotel eine gute Wahl getroffen: Serviert werden die schön angerichteten Köstlichkeiten auf Fine-Bone-China-Porzellan von Schönhuber Franchi. Reggia, ein Entwurf von Matteo Thun, ist im Lido Palace mit einem hellgrauen Dekor auf weißem Grund versehen, der speziell für das Hotel entworfen wurde.
Design oder die Frage nach der Funktion
Die Zimmer im Lido Palace – in Weiß und edlem Grau gehalten – kommen zwar modern daher, doch hier zeigt sich mal wieder: Design ist nicht alles. Denn was nützt ein cooles Gewand, wenn die Dusche eher an die enge Duschkabine eines Wohnmobils als an einen Wellness-Tempel erinnert, die Badewanne aus Corian zwar groß, aber absolut unpraktisch ist oder die Kosmetikartikel regelmäßig hinter das Waschbecken rutschen und auf den Boden fallen? Ein Gast musste sich gar auf die Suche nach dem Kleiderschrank begeben, so versteckt war er gelegen. Auch wird manch einer – bei Zimmerpreisen ab 350 Euro pro Nacht – enttäuscht sein, dass es nur so wenige Zimmer mit Seeblick oder Balkon gibt. Gut, in einem Hotel aus dem 19. Jahrhundert muss man räumliche Abstriche machen, mag manch anderer erwidern. Wenigstens sind die insgesamt 42 Zimmer mit einer Fläche von 35 bis 120 Quadratmeter sehr großzügig angelegt. Ebenso großzügig gestalten sich die öffentlichen Räume, so dass sich eine insgesamt luftig-helle Atmosphäre verbreitet. Und so wandelt der Gast durch die lichte Sala delle Colonne unter imposanten Marmorsäulen, stöbert in den Bücherregalen nach Lesestoff, lauscht dem Piano-Spieler an der Bar oder dreht ganz sportlich seine Runden im Outdoor-Swimmingpool.
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