Angst unter Palmen
Dieses Hotel in Bordighera versprach seinen Gästen Nervenkitzel.
Hotelnamen sind Schall und Rauch. Mögen sie Metropol, Excelsior oder Splendid heißen: Spätestens am Tag der Abreise sind sie vergessen. Ein Haus, das seinen Gästen noch nach Jahren in Erinnerung blieb, war das Hotel Angst in Bordighera. Könige, Staatsoberhäupter und die Spitzen der Gesellschaft gingen hier ein und aus – und genossen den Nervenkitzel des Namens. 75 Jahre lang verfiel das einst beste Haus an der Riviera zur Ruine. Nun soll der alte Glanz zurückkehren.
Bordighera ist ein verschlafener Ferienort an der italienischen Riviera. Das war nicht immer so. Im späten 19. Jahrhundert besaß die Stadt einen klangvolleren Namen als Nizza, Cannes oder das nur wenige Kilometer entfernte San Remo. Mehr als 3.000 wohlhabende Briten pflegten dort die Wintermonate bei milden Temperaturen zu verbringen, bevor sie sich im Mai auf die Insel zurückzogen. Wenn im Sommer bestes Badewetter herrschte, glich Bordighera einer Geisterstadt. Die Hotels und Restaurants waren geschlossen, die Fensterläden der Villen fest verriegelt. Erst als die Hitze im Oktober abklang, erwachte der Ort zu neuem Leben.
Ambitionierte Pläne
Wer keine eigene Villa besaß, logierte im besten Haus am Platz: dem Hotel Angst, das seinen ungewöhnlichen Namen dem Gründer Adolf Angst verdankt. Bereits 1879 hatte der Schweizer Unternehmer ein erstes Hotel in Bordighera eröffnet, das jedoch acht Jahre später durch ein schweres Erdbeben zerstört wurde. Anstatt zu resignieren, fasste Adolf Angst einen kühnen Entschluss. Er wollte das modernste und mondänste Hotel an der gesamten Riviera bauen. Und der beschauliche Fischerort am Kap Ampelio schien dafür der perfekte Standort zu sein.
Literarische Vorlage
Den Grund dafür lieferte der 1855 in England erschienene Liebesroman „Il Dottor Antonio“ von Giovanni Ruffini, der eine regelrechte Reisewelle zum Ort seiner Handlung auslöste: dem von tausenden Dattelpalmen und duftendem Jasmin umgebenen Bordighera, wo gerade ein prominenter Zeitgenosse eine Villa für seinen lungenkranken Sohn errichtet hatte: Charles Garnier – Frankreichs Generalinspekteur für zivile Baukunst und Architekt der Pariser Oper. Viele seiner reichen Freunde und Bewunderer folgten ihm nach Bordighera und ließen sich wie der Bankier Raphaël Bischoffsheim eine Villa nach seinen Plänen errichten.
Magie des Namens
Doch es waren vor allem die Briten, die Italien zum Reiseland erkoren und das Geld an die Riviera brachten. Es gab in Bordighera britische Ärzte, Schneider, Immobilienmakler, Banken, Restaurants und Tennisclubs, während die vornehmen Geschäfte an der Via Vittorio Emanuele ihre Preise in Pfund anstatt in Lire auswiesen. Als das Hotel Angst in den 1890er Jahren seine Türen öffnete, avancierte es auf Anhieb zum gesellschaftlichen Mittelpunkt – obwohl oder vielleicht auch weil der Name „Angst“ im Englischen dieselbe Bedeutung wie im Deutschen besitzt. Es war Magie im Spiel, die die Größen aus Politik, Kultur, Hochadel und Wirtschaft in Scharen anzog.
Seiner Zeit voraus
Zwei Dekaden währte die Glanzzeit des Hauses, dessen glamouröse Bälle zu Gesprächsthemen in Europas feinsten Kreisen wurden. Für Aufsehen sorgte das Hotel Angst zudem mit seiner Ausstattung. Die 180 Zimmer und Suiten verfügten über eigene Bäder, Toiletten, fließend warmes Wasser sowie Zentralheizung – eine Sensation zu jener Zeit. Im weitläufigen Park, der das Hotel in den Hügeln Bordigheras umgab, wuchsen stattliche Palmen und seltene tropische Pflanzen. Selbst sensible Flora ließ das milde Klima mit 300 Sonnentagen im Jahr üppig gedeihen.
Wandel der Zeit
Doch so glanzvoll die Zeiten waren: Nachdem das Hotel Angst im Ersten Weltkrieg als Lazarett genutzt worden war, büßte es seine Stellung ein. Dass die italienische Regierung zwischenzeitlich die Einsätze beim Glücksspiel limitiert hatte, verbesserte die Lage ebenso wenig. Das nahegelegene San Remo musste seine Rolle als mondäner Casinoort zugunsten zweier damals noch unbedeutender Städtchen aufgeben: Nizza und Monte Carlo. Und so zog die Schickeria weiter an die Côte d'Azur, während Bordighera nach und nach in Vergessenheit geriet. Als der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kurz bevorstand, zögerte Adolf Angst nicht lange: Er schloss den Traum, den er selbst geschaffen hatte, für immer.
Charme der Ruine
Und so verfiel das stolze Haus zur Ruine. Decken stürzten ein. Putz blätterte. Die großen Buchstaben des Namensschriftzugs fegten Stürme vom Dach. Der Garten verwilderte. Für mehr als 75 Jahre versank das Grundstück in einen Dornröschenschlaf, der die Legende nicht zerstörte, sondern vielmehr verstärkte. Das Hotel Angst wurde zur Projektionsfläche für all jene, die vor den eisernen Toren der maroden Schönheit erlagen. Noch immer schlummerte die Grandeur der alten Zeit in diesem schaurigen Kasten. Sie schien sich bloß zu verstecken und regelrecht darauf zu warten, zu neuem Leben erweckt zu werden.
Später Neustart
Dass dieser Moment nun gekommen sein soll, wirkt genauso unwirklich wie die glamouröse Ruine. Nach den Plänen eines Mailänder Immobilienfonds soll das Hotel Angst wieder auferstehen: mit 80 Zimmern und Suiten sowie 55 Eigentumswohnungen. Auch der weitläufige Garten soll wieder hergerichtet werden – einschließlich der Reminiszenzen an heutige Bedürfnisse wie Außenpool und Spa. Bilder von den Planungen gibt es noch keine, obwohl die Bauarbeiten längst begonnen haben. Doch Eile ist in diesem Fall auch nicht geboten. Eine Legende wiederzubeleben, dauert seine Zeit.
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