Aus dem Arbeitsalltag einer Architekturikone
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1525 Howe Street, Racine, Wisconsin. Nicht gerade eine Adresse, an der man eine Architekturikone erwartet. Und doch steht sie genau an diesem Ort. Frank Lloyd Wright, dessen Todestag sich 2009 zum 50. Mal jährt, hat in den 1930er Jahren für die S. C. Johnson Company Jahren das Administration Building und den Research Tower entworfen. Und nicht nur die Architektur entstammt der Feder des Meisters, auch die von der Firma Steelcase produzierte Möblierung trägt seine unverwechselbare Handschrift.
Kurz nachdem Frank Lloyd Wright sein legendäres Wohnhaus-Projekt „Fallingwater“ in Pennsylvania beendet hatte, wartete ein weiterer Großauftrag auf den Architekten: Mitten in der Rezession entsteht in den Jahren 1936 bis 1939 ein futuristisch anmutendes Bauwerk in einem nichtssagendem Industriegebiet. Auftraggeber des Projekts war der Leiter des Unternehmens Herbert F. Johnson, dessen Wohnhaus „Wingspread“ Wright ebenfalls entwarf.
Die Streamline Decade
„It is like a woman swimming naked in a stream. Cool, gliding, musical in movement and in manner” – so schwärmte Frank Lloyd Wright von seinem Gebäude, wohlgemerkt einem Verwaltungsbau. Das Äußere ist ein wahres Kind der 1930er Jahre, wurden zu dieser Zeit doch stromlinienförmige Formen rauf und runter konjugiert. Egal, ob es sich um das Design von Bussen, Zügen, Toastern, Möbeln oder eben Architektur handelte. Horizontal geschwungen – so könnte man die Form des Bürogebäudes auf einen Punkt bringen. Als Kontrapunkt zu dieser horizontalen Ausrichtung setzte Wright ein Jahrzehnt später den Research Tower, das Forschungs- und Entwicklungszentrum des Unternehmens. Aus feuerpolizeilichen Gründen ist dieser Bau im Unterschied zum Verwaltungsgebäude aber heute nicht mehr in Gebrauch.
Und doch ist dieser Turm weiterhin ein markanter Punkt auf dem Unternehmensgelände, allein schon aufgrund seiner Höhe von vierzehn Stockwerken. Die Fassade besticht durch einen Wechsel von Glasröhren – die das Gebäude mit indirektem Licht versorgen – und Ziegelbändern vor den Geschossdecken. Im Gebäude selbst wecheln sich runde mit eckigen Ebenen ab. Während auf den rechtwinkeligen Ebenen die Laboratorien untergebracht waren, waren die runden Ebenen als Mezzaningeschosse ausgebildet, von denen man auf die Labore herunterschauen konnte. Jede Ebene ist an einem zentralen Erschließungskern aufgehängt, so dass die an den Ecken abgerundete Klinker-Glasröhren-Fassade frei von tragenden Funktionen bleibt, was die federleicht anmutende Ästhetik überhaupt erst ermöglicht. Ein Tunnel sowie eine rundum verglaste tonnengewölbte Brücke verbinden den Turm mit dem Verwaltungsbau.
Auf einem Dach von Pilzen
Eine immer wieder kolportierte Geschichte, die den ausgeprägten Charakter des Architekten exemplarisch verdeutlicht, spielte sich vor dem Bau der riesigen Säulenhalle – dem sich das Großraumbüro des Verwaltungsgebäudes befindet – ab: Wright hatte sehr hohe pilzförmige Säulen gestaltet, die die gesamte Last des Daches tragen sollten. Unten nur 23 Zentimeter im Durchmesser, messen sie an ihrer obersten Stelle – einer Plattform, die Wright als „Lily Pad“ (Seerose) bezeichnete – unglaubliche 5,50 Meter. Da diese neuartige Konstruktion den Verantwortlichen zu heikel erschien, musste eine eigens konstruierte Versuchssäule auf dem Außengelände getestet werden, um ihre Eignung zum Tragen großer Lasten festzustellen. Legendär ist das Schwarz-Weiß-Foto, auf dem Auftraggeber Johnson und Architekt Wright die mit Sandsäcken beschwerte Säule diskutierend beobachten. Der Versuch stellte für Wright ein Erfolg auf der ganzen Linie dar, konnte die Versuchssäule doch fünfmal mehr tragen als gefordert: nämlich mehr als sechzig Tonnen. Vorausschauend war Wright nicht nur bei Konstruktion und Materialwahl des Gebäudes, er dachte durchaus auch praktisch: So sind die Pilzsäulen mit einem dreiteiligen Fuß ausgestattet, dessen Zwischenräume als Kabeldurchlässe genutzt werden für Telefon-, Strom- und Computerkabel.
Prismatischer Lichteinfall
Durch die Konstruktion der extrem schmalen Pilzsäulen ist ein Raum entstanden, der sicherlich zum Schönsten gehört, was die Architektur des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat: das als Great Workroom bezeichnete Großraumbüro. Wright war ein Meister des räumlichen Spannungsaufbaus – so beispielsweise auch beim Unity Temle in Oak Park nahe Chicago oder im New Yorker Guggenheim Museum. Dieser räumliche Spannungsaufbau – der durch bewusstes Schließen und Öffnen von aufeinanderfolgenden Räumen entsteht – zeigt sich auch hier: Betritt nämlich der Besucher das Gebäude über einen niedrigen überdachten Parkplatz – der ebenfalls mit pilzartigen Säulen ausgestattet ist und ein eher klaustrophobisches Raumerlebnis bietet – erwartet ihn in der großen Halle dann ein wahres Aha-Erlebnis, so eindrucksvoll ist die Wirkung des riesigen Raums.
Der Great Workroom besticht nicht nur durch die vielen zierlichen hohen Säulen, sondern vor allem auch durch die von ihm ausgehende Lichtwirkung. Durch das Dach mit den Glasröhren fällt indirektes Licht in das Gebäude – ein wahrer Überraschungseffekt, wirkt die Architektur doch von außen abgeschottet und unzugänglich.
Am Schreibtisch mit Frank Lloyd Wright
Der Arbeitsraum ist beeindruckende 2000 Quadratmeter groß, wirkt durch die Säulen dennoch klar strukturiert. Zwischen ihnen befinden sich unzählige Arbeitsplätze, deren Möbel Wright ebenfalls entwarf. Die von MOF (Metall Office Furniture), der späteren Steelcase Corporation, hergestellten Schreibtische zeichnen sich durch die Kombination einer hölzernen Oberfläche mit kurvigen Metallröhren aus – und sind damit ganz der Ästhetik der Architektur verpflichtet. Der feuerfeste Schreibtisch namens „Oval Shaped Desk“ wurde mit drei unterschiedlich hohen Arbeitsebenen versehen und markiert den Beginn des Systemmöbels. Nicht nur, dass er platzsparend gestaltet ist, leicht zu reinigen ist er noch dazu. Wright dachte sich auch die zum Schreibtisch passenden Stühle sowie die an den Ecken abgerundeten Schubladenschränke, die gleichzeitig als Raumteiler fungieren, aus. Der Bodenbelag des Großraumbüros bestand ursprünglich aus einem Kunststein in dunklem Rotbraun, korrespondierend zum roten Ziegelstein.
Eingezogen in den Raum ist ein Mezzanin-Geschoss, in dem das mittlere Management angesiedelt war, während im großen Arbeitsraum die Angestellten wie Sekretärinnen ihrer Arbeit nachgingen, was man im Übrigen auch an einem gestalterischen Clou des Schreibtisches bemerkt: In der Mitte der Arbeitsplatte ist eine Aussparung für die Schreibmaschine oder andere Geräte vorgesehen. Die Chefs waren im dritten Stock untergebracht. Wright berücksichtigte bei seiner architektonischen Planung also auch die hierarchische Struktur des Unternehmens.
Kathedrale der Arbeit
Und was sagt der Architekt selbst zu seinem Gebäude? Nun, in seiner Autobiografie stellt Wright einen geradezu gewagten Vergleich an: „Organic architecture designed this great building to be as inspiring a place to work in as any cathedral ever was in which to worship. It was meant to be a social-architectural interpretation of modern business at its top and best!” Kein Wunder also, dass diese Gebäude in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen werden soll.
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