Das Betonexperiment
Wenn ein Architekt für sich selbst baut, dann wie in diesem Fall sowohl ökonomisch als auch ökologisch schlau.
Das Studio Edgley Design Architects zeigt mit seinem neuen Wohnhaus im Südlondoner Stadtteil Dulwich, dass ökologisches Bauen, Recycling und Beton sich nicht ausschließen müssen. Es sind aber nicht nur Material und Form, sondern vor allem die durchdachten Details, die überzeugen. Kein Wunder, denn Bauherr ist der Architekt selbst. Ein Experiment zwischen Reihenhäusern der Londoner Vorstadt.
Erfahrungen muss man erst selbst machen und kann sie dann sammeln. „Als Architekt das eigene Haus zu bauen ist eine fantastische Chance“, meint Jake Edgley. „Es gab uns die Möglichkeit, vieles zu testen, womit wir bisher noch keine Erfahrungen hatten.“ Sein Wohnhaus in Dulwich, das Pear Tree House, sieht er deshalb als Experiment – mit Beton hatte Jake Edgley bis dahin nämlich noch nicht gebaut. Seit zehn Jahren führt er sein eigenes Büro in Shoreditch East London, in dieser Zeit hat er eine Reihe von Wohnhäusern realisiert, allesamt hauptsächlich aus Holz.
Über Eck in zweiter Reihe
Der Südlondoner Stadtteil Dulwich ist ein beliebtes Wohnviertel – hier wurde 1897 die Kinderbuchautorin Enid Blyton geboren, heute leben in Dulwich Margaret Thatcher, eine Reihe bekannter britischer Schauspieler und auch Sacha Baron Cohen wohnte hier, bevor er mit seinen Pseudonymen Ali G und Borat bekannt wurde. Das in die Länge gezogene Grundstück für sein Pear Tree House fand der Architekt inmitten einer Reihenhaussiedlung – „backyard“, also zwischen den Gärten der einen und der anderen Häuserreihe. Nur ein schmaler Zugang führt über Eck zur Straße. Die Tage, als in dem einst viktorianischen Obstgarten gesät, gejätet und geerntet wurde, und der Ort noch zur Grafschaft Surrey gehörte, sind lange vorbei. „Es war eine einzige Brache: wild bewachsen, völlig verwildert, überall lag Müll“, erzählt der Architekt. Das Besondere aber war: Es gab zunächst keine Baugenehmigung für dieses Grundstück.
Errichtet in zwei Hälften
Heute erinnert an diese vergangenen Zeiten ein über hundert Jahre alter Birnenbaum, der in der Mitte von Jake Edgleys zweigeschossigen Wohnhauses steht. Diesen Baum wollte der Architekt in jedem Fall erhalten, sein Gebäude sollte sich dem Kontext anpassen und wurde in zwei Hälften um den alten Obstbaum errichtet. Verbunden werden die beiden Häuser durch einen verglasten eingeschossigen Flur, der einen kleinen Innenhof abtrennt. Alle Details sind innen wie außen betont vertikal ausgerichtet, um sich der Physiognomie des Baumes anzupassen.
Beton lebt
Im Erdgeschoss bildet jeweils ein Betonsockel die Basis beider Haushälften, auf dem eine einfache Box aus Holz gesetzt wurde. „Der Beton allein war schon eine Art Abenteuer“, sagt Edgley und ist dankbar um die enge Zusammenarbeit mit Fachplanern und Handwerkern. Glatter Sichtbeton im Flur, in den Arbeitszimmern, zu großen Teilen aber, wie in der Küche, mit der sichtbaren groben Struktur der Holzschalung. Beton lebt – vor allem, wenn alle Wände wie hier für das Pear Tree House nicht vorgefertigt, sondern aus Ortbeton gegossen sind.
Vorbild Denys Lasdun
Inspiriert für seinen rohen Beton sah sich Edgley, der zuvor unter anderem in dem Büro von Norman Foster gearbeitet hat, übrigens von dem Royal National Theatre (1967-76), einem brutalistischen Bau von Denys Lasdun. Auch in dem Architektenwohnhaus in Dulwich ist der Beton verhältnismäßig rau, wenn man näher hinsieht. Die vertikale Struktur der Lärchholzschalung auf den Wänden im Erdgeschoss geht in ihrer Textur direkt in die mit Holz verkleideten Außenwände im Garten über – kein Wunder, denn hier wurden die Lärchenbretter wieder verwendet. Ein unauffälliges Recycling.
Holz als warmer Ausgleich
Unvollkommenheit war für Jake Edgley ein wichtiges Ziel bei seinem Experiment. Der Beton sollte – für einen Architekten nicht unbedingt typisch – alles andere als perfekt sein. Unterschiedliche natürliche Maserungen und Abstufungen in Helligkeit und Farbe zeichnen heute dieses Bild: Der Beton im gesamten Haus ist unbehandelt so wie am ersten Tag, als er aus der Schalung kam. Lediglich der Treppenkern hat im Gegensatz zu den rauen Außenwänden eine glatt geschliffene Oberfläche aus weichem Beton. Die eigentlichen Holztreppen sind wie ein Möbel in den Neubau eingebaut und schließen fugenlos an die Betonwände an. Weitere Einbauten aus Eiche bilden auf der einen Seite genügend Stauraum, und schaffen auf der anderen Seite einen warmen Ausgleich zum kühlen Charakter der Betonwände und -böden.
Luft und Licht aus der Mitte
Im Zentrum des Wohnhauses befindet sich ein doppelgeschossiger Luftraum. Dieser soll das Haus nicht nur mit Tageslicht versorgen und eine gewisse Großzügigkeit bieten, die doppelte Höhe mit den öffenbaren Dachfenstern schafft im Sommer einen kühlenden Kamineffekt zur Be- und Entlüftung. Weitere nachhaltig gedachte Ansätze gegen Überhitzung und Wärmeverlust sind unter anderem solarbeschichtete Gläser in den Fassadenbereichen mit hoher Sonneneinstrahlung, während die Betonflächen eine große thermische Masse bilden und beidseitig durch eine Schicht aus Basaltfasern thermisch isoliert sind.
Ökonomisch und ökologisch schlau
Dass trotz eines begrenzten Budgets eine qualitativ hochwertige Architektur entstanden ist, begründet Jake Edgley mit der Entscheidung für einen Arbeitsprozess direkt vor Ort mit Fachplanern und den einzelnen Gewerken. Schließlich wurden in seinem Haus keine vorfabrizierten Elemente verbaut, sondern alles von Hand gefertigt. Und da Nachhaltigkeit nicht nur in Architektenkreisen gerne auch ein wenig elegant aussehen darf, runden Profile aus Messing und vergoldetem Aluminium das Gesamtbild aus Beton und Holz ab.