Ein Auge aufs Wasser
Der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. ist bekannt für die organisch weiche Formensprache seiner Gebäude. In Hamburg hat er nun in direkter Lage zur Alster ein sechsstöckiges Bürogebäude entworfen, das mit seiner poppigen Erscheinung für reichlich Gesprächsstoff in der sonst eher zurückhaltenden Hansestadt sorgt. Das Motiv des Wassers hat er hierbei auf direkte Weise interpretiert und die Fassade in ein System aus großen gläsernen „Tropfen“ verwandelt.
Wer in Hamburg baut, kommt um das Thema Wasser nicht herum. Gerade bei der im Bau befindlichen Hafencity sind es vor allem zwei Motive, denen sich neue Bauprojekte in direkter Wasserlage selten entziehen. Zum einen die markante Form des Schiffsbugs, die schon einst beim legendären Chilehaus einen dynamischen Akzent im Stadtraum zu setzen vermochte. Sie hat mit der von Herzog & de Meuron geplanten Elbphilharmonie sowie dem zukünftigen Kreuzfahrtterminal von Massimilano Fuksas zwei prominente Nachfolger gefunden. Das zweite Motiv nimmt die typischen Lagerhäuser in der Speicherstadt zum Vorbild mit ihren Backsteinfassaden und loftartigen Grundrissen. Was sie verbindet, ist ihre Affinität zum Wasser und der Bedeutung des Hafens, der das Gesicht der Hansestadt bis heute bestimmt.
Ganz und gar nicht hanseatisch
Das Bürogebäude „An der Alster 1“ folgt dieser Logik und nimmt die direkte Lage am Wasser auch gestalterisch in der Fassade und im Inneren des Gebäudes auf. Im Gegensatz zur Materialität der Speicherstadt und ihrer streng kubischen Formensprache blieb Mayer H. auch hier seinem Faible für runde, poppige Formen in der Manier der 1970er Jahre treu. Auf fast untypische hanseatische Weise übt sich das Gebäude an der Schnittstelle von der Innenstadt und der schon fast ländlichen Wasserlandschaft im Norden nicht in vornehmer Zurückhaltung, sondern setzt auf klar erkennbar Akzente. Dabei hebt die leichte Erhöhung gegenüber der bestehenden Bebauung den prägnanten Kopfbau zusätzlich hervor und schafft zugleich eine klar erkennbare Torsituation zur Innenstadt.
Fließendes Kontinuum
Was den Eindruck des Gebäude bestimmt, ist ein Spiel abgerundeter, tropfenförmiger „Augen“, die entlang der Fassade in horizontalen Bändern zu kullern scheinen. Sie sind nicht nur gestalterisches Element von außen, sondern dienen auch im Inneren des Gebäudes als Orte der Kommunikation, von denen aus die umgebende Wasserlandschaft beobachtet werden kann. Die markante Form der halbkreisförmigen Bögen wird im Inneren ebenso fortgesetzt wie bei der Gestaltung von Trennwänden, Besprechungsräumen und der eleganten Kassettierung der Decken, in die an mehreren Orten zugleich die Beleuchtung integriert wurde. Mayer H. nimmt hierbei ein formales Element klassischer Industriearchitektur zum Vorbild und gibt ihm durch die abgerundete Formensprache und die weiße Farbe eine zeitgemäße Wandlung.
Verbindung aus Tradition und Gegenwart
Vor allem diejenigen Nutzer, die zuvor in einem der Speicher am Hafen gearbeitet haben, dürften hierbei ein Stück Vertrautheit wiederfinden. Vielleicht liegt vor allem darin die eigentliche Stärke des Gebäudes, von Innen den Eindruck eines Industrielofts zu vermitteln ohne jedoch erneut Tapeten aus Backstein zu bemühen, wie es sonst häufig getan wird. Dass sich die formalen Elemente der Fassade im Inneren fortsetzen, erzeugt einen homogenen Gesamteindruck, der über ein reines Styling, das man zumindest beim Blick von Außen vermuten könnte, hinausreicht. Das Konzept der Wassernähe an dieser Stelle anders zu interpretieren als durch das immerwährende Zitieren von schiffsähnlichen Formen oder Backsteinfassaden erscheint prinzipiell lobenswert. Doch ob die unverkennbaren Referenzen an die 1970er Jahre auch auf Dauer mit Bewegung assoziiert werden können und nicht eines Tages nur noch als Zeichen der Nostalgie verstanden werden, wird sich noch zeigen.
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