Geerdetes Baumhaus
Für Hasselts zeichenhaftes Gerechtsgebouw ließ Jürgen Mayer H. sich von der Haselnuss inspirieren.
Partner: FSB
Zwischen gespreizten Hufen hält ein Hirsch ein Schild mit drei aufeinander getürmten Haselnussbäumchen. Am Bahnhof der belgischen Stadt Hasselt verzweigt sich die Fassade des neuen Justizgebäudes zwischen großen Glasflächen. Was beides verbindet? Der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. Der hat die Haselnuss im Namen der Stadt in Form und Material auf die Architektur übertragen und damit gleichzeitig das Pioniergebäude für Hasselts jüngstes Stadtentwicklungsgebiet realisiert.
Nordöstlich des Bahnhofs und entlang der Bahngleise erstreckt sich der neue Komplex. Mit dreizehn Stockwerken und 70 Metern Höhe ist er für das mit 75.000 Einwohnern als Mittelstadt zu bezeichnende Hasselt verhältnismäßig imposant ausgefallen. Das liegt auch an der Fassade. Aus der Distanz erinnert vor allem die geometrische Verkleidung des hohen zentralen Turmes an einen Baum. Die beiden angegliederten, niedrigeren Blocks führen die organische Formensprache fort. Trapezförmige, gerundete Glasflächen neigen sich zum Himmel, die diagonalen, sich wie Zweige reckenden Zwischenräume sind komplett mit Holz furniert. In Teilbereichen ist das Glas durch dunkle Lochbleche aus Aluminium verblendet, um der Überhitzung durch die Sonneneinstrahlung vorzubeugen. Der Halbschatten im Innern soll an die unter einem Blätterdach entstehende Lichtstimmung erinnern.
Tagung unter Gerichtsbäumen
Die Symbolik hat in der belgischen Provinzhauptstadt zweifachen Geschichtsbezug. „Gerichtliche Entscheidungen wurden in früheren Zeiten traditionell unter Bäumen getroffen. Zudem leitet sich der Name der Stadt Hasselt vom Wort Haselnussbaum ab, das neue Justizgebäude ist Symbol, Ikone und Landzeichen“, erläutert der Architekt. Mit einer Farbpalette zwischen Beige, Braun, Grau und Orange zieht der Wald auch farblich ein. Dabei dominieren die kiesel- bis sandfarbigen Nuancen. Orange, wegen seiner Signalwirkung oft als Kennfarbe von Kommunaleigentum verwendet, setzt Akzente und hebt die Funktionsbereiche hervor. Die Eingänge sind orange eingefasst, Meeting-Areale mit orange bezogenen Möbeln ausgestattet und die Kanzel des Gerichtssaales orange verkleidet. Neben dem farblichen Leitsystem strukturiert ein durch das Gebäude laufender Gang das Interieur, trennt die öffentlichen von den privateren Bereichen. Diese logistische Aorta bedient als funktionaler Kern alle Toiletten, Treppenhäuser und Aufzüge.
Part-Time Uni
„Ein öffentliches Gebäude, und besonders die Justiz, wird eher mit Angst als mit angenehmen Gefühlen assoziiert. Deswegen ist eine positive Atmosphäre wie hier in Hasselt sehr wichtig“, sagt Jürgen Mayer H. Das Hasselter Gerechtsgebouw ist ganz bewusst nicht als abgeschlossener Justizpalast konzipiert. Bibliothek und Konferenzzimmer werden von der juristischen Fakultät der Universität mitgenutzt. Wenn etwa nachmittags die Verhandlungs- und Meetingräume unbesetzt sind, kann die Hochschule sie übernehmen. Diese Überschneidung zeigt, wie Nutzung öffentlicher Gebäude durch cleveres Zeitmanagment optimiert werden kann und der Nachwuchs schon während der Ausbildung an die spätere Arbeitsrealität herangeführt wird.
Organisch bis ins Detail
Die Architektur zeigt sich gerade bei der Gebäudehülle extravagant und designbewusst, in den Innenräumen zieht sie sich dank klarer Reduktion auf ihre Aufgaben zurück. Das lässt sich auch an den Details ablesen. So entschieden sich die Architekten zum Beispiel für das Griffprogramm FSB 1134 von David Chipperfield und damit für funktionale Konsequenz. Der runde Griffsockel geht in einen quadratischen Querschnitt über und spielt genauso wie das Gebäude selbst mit der Spannung zwischen organischer Form und stringentem Körper. Die Ausführung in Bronze ist materialschlüssig auf das architektonische und farbliche Konzept abgestimmt. Mit seiner geraden Linienführung fügt sich der Griff ganz natürlich in die durchgestaltete Atmosphäre des Justizgebäudes ein und macht es als finales Detail zu einer alle Sinne einbeziehenden Architektur.