Hartes Pariser Pflaster
Ein Konzern rüstet auf: Anfang Oktober eröffnete die schwedische Modemarke H&M auf dem Pariser Boulevard Champs-Elysées ihre weltweit größte Filiale. Wäre dies zunächst nicht wirklich eine Meldung wert, liegen die Umstände diesmal anders. Denn entworfen wurde die 2.800 Quadratmeter große Boutique von Pritzer-Preisträger Jean Nouvel, der die Materialität der Pariser Fassaden in den gesamten Innenraum holte. Voraus ging dem Projekt ein hart ausgefochtener Kampf. Über zwei Jahre versuchte die Pariser Politik, den Bau zu unterbinden und musste sich dennoch geschlagen geben.
Der Tenor war eindeutig. Nicht noch einen Flagship-Store der üblichen Ketten – erst recht nicht für billige Massenmode – wolle man an dieser Adresse, so die Antwort der Pariser Behörden. Die Genehmigung für ihre neue Vorzeigeboutique, immerhin stand ein Investitionsvolumen von über 50 Millionen Euro in Aussicht, bekamen die Schweden zunächst nicht. „Wir riskieren, dass die Champs-Elysées banalisiert werden“, rechtfertigte Lynne Cohen-Solal, stellvertretende Handelsbeauftragte der Stadt, im Herbst 2006 die Entscheidung. Die Realität gibt ihr durchaus Recht. An der Straße, die wegen der Mietpreise nach der Fifth Avenue in New York und der Causeway Bay in Hongkong zurzeit als drittteuerste Einkaufsstraße der Welt gilt, reiht sich ein Mega-, Concept- oder Flagship-Store an den nächsten.
Der Beginn des Verschwindens zahlreicher Kinos, Kaffeehäuser, Restaurants und kleiner Geschäfte lässt sich dabei sogar präzise datieren. Es ist die Eröffnung des Virgin Music Super Store, der 1988 auch auf der „schönsten Straße der Welt“, wie die Franzosen die Champs-Elysées gerne nennen, eine neue Epoche einläutete. Dass H&M seinen Konkurrenten wie Gap oder Zara, die längst mit einer Filiale an der Avenue vertreten sind, nicht nachstehen wollte, scheint verständlich. Doch die Klarheit, mit der die Schweden eine Absage erhielten und damit stellvertretend für alle anderen Großketten an den Pranger gestellt wurden, wirkte wie ein letzter, hilfloser Versuch. Ist das Kind denn nicht schon längst in den Brunnen gefallen?
Macht der Marke
Dass nach zweieinhalb Jahren dennoch die Genehmigung erteilt wurde, ist nicht nur harter Lobbyarbeit und juristischem Tauziehen zu verdanken. Den entscheidenden Ausschlag brachte schlussendlich die wirtschaftliche Größe der Schweden. Denn das Unternehmen, das allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres 8,4 Milliarden Euro Umsatz und 1,4 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet hat, kann sich die eine oder andere Extravaganz leisten. Und so erwarb H&M-Boss Karl-Johan Persson kurzerhand den halben Block entlang der Pariser Prachtstraße, sodass ihm auch die Behörden die Erlaubnis nicht mehr verwehren konnten.
Doch obwohl sich die Entscheidung zunächst wie eine Niederlage für die Stadt anhört, muss sie kein schlechtes Omen für die Champs-Elysées sein. Denn der frühe Widerstand hatte letztendlich doch Früchte gezeigt. Schließlich waren nun die Schweden unter Zugzwang, etwas an diesem Ort zu schaffen, das eben nicht so austauschbar daher kommt wie die Läden der Konkurrenz. Die Wahl von Jean Nouvel als verantwortlichen Architekten liest sich daher wie ein Versöhnungsversuch mit den Behörden. Schließlich realisierte der Pariser Architekt mit der Tour Signal im Pariser Geschäftsviertel La Défense sowie der neuen Philharmonie von Paris zwei der prestigeträchtigsten Bauprojekte der Stadt und vertrat die Grande Nation mit seiner Dependance des Louvre in Abu Dhabi zugleich nach außen.
Pariser Farben
Dem Ort näherte sich Nouvel dabei über seine Materialität. Denn was ist typischer für Paris als die Verbindung aus dem grau-beigen Sandstein der Fassaden und den schwarz lackierten Balkongeländern, die Mitte des 19. Jahrhunderts vom Stadtplaner Baron Haussmann zum verbindlichen Leitbild erklärt wurde? Nouvel ließ sämtliche Wände, Böden und Decken mit massiven Blöcken aus Sandstein verkleiden und erzeugte auf diese Weise einen monochromen Farbklang. Anstatt den Stein lediglich flach an die Decke des Gebäudes aus den siebziger Jahren zu heften, versetzte er ihn in einen markanten Wellenschlag, der sich durch alle drei Etagen zieht und ihnen zusätzlich Dynamik verleiht.
In klarem Kontrast dazu stehen die Kleiderständer und Regale, die aus U-förmigen Stahlprofilen gefertigt wurden und in ihrer mattschwarzen Färbung an die Pariser Balkone erinnern. Auch sie sind von einer industriellen Rauheit, die keineswegs selbstverständlich scheint für ein Geschäft, das auf großflächigen Anzeigen in der gesamten Stadt beworben wird. Anstatt auf reißerischen Effekt zu setzen, erwartet die Kunden ein ruhiger und zurückhaltender Raum, der in gewisser Weise auch ehrlich wirkt.
Leuchtende Farbfelder
Akzentuiert wird der Bau vor allem durch seine Beleuchtung. Nouvel durchbrach hierfür die gewellte Steindecke mit rechtwinkligen Ausschnitten, aus denen ein eigens entwickeltes Lichtsystem heraustritt und dabei unweigerlich an Gerätschaften aus einem Labor denken lässt. Spots, die von schwarzen, rechteckigen Rahmen eingefasst werden, ragen über teleskopartige Arme in den Raum und können mit wenigen Handgriffen an die jeweilige Präsentation der Kollektionen angepasst werden. Farbe bringt unterdessen ein weiteres System in Spiel, das von langgezogenen rechteckigen Rahmen eingefasst wird und über jeweils drei mit LED beleuchtete Farbfelder verfügt. Je nach Ausführung werfen diese ein violettes, gelbes oder pinkes Licht an die Decke und durchbrechen den strengen beige-schwarzen Kontrast des Interieurs.
Für Dynamik sorgen unterdessen elf großformatige LED-Bildschirme, die an den Gegengewichten der Aufzüge montiert sind und den Strom der Besucher in eine kontinuierliche Bewegung übersetzen. Während diese die Vertikale betonen – zu sehen sind auf ihnen die jeweiligen Silhouetten der aktuellen Kollektion – fahren die Bildschirme an der Fassadenseite des Obergeschosses in horizontaler Richtung. Für die Passanten auf den Champs-Elysées – an einem normalen Samstag werden durchschnittlich 850.000 Besucher gezählt – ergibt sich der Eindruck eines fahrenden Geschosses, das mit dem Stadtraum kommuniziert.
Aufrüstung der Shopping-Welten
Dass die Eröffnung des neuen Geschäftes Anfang Oktober ausgerechnet während der Pariser Modewoche gefeiert wurde – mit schwarzem Teppich, Champagner und einer respektablen Liste an VIPs – kündigt von einem tiefer greifenden Wandel. Denn nicht nur die großen Modehäuser wie Dior (SANAA), Louis Vuitton (Ben van Berkel), Armani (Massimiliano Fuksas), Prada (Herzog&de Meuron, Rem Koolhaas) oder Neil Barrett (Zaha Hadid) lassen sich ihre Flagship-Stores von den Großen der Architektur inszenieren. Dank des Tauziehens um die Pariser Boutique ist nun auch H&M in den architektonischen Wettkampf mit eingestiegen. Einen weiteren Flagship-Store haben die französischen Behörden zwar nicht verhindern können. Doch sie haben einen schlafenden Riesen geweckt.
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