Im Büro zu Hause: ein Selbstversuch
Das eigene Wohnhaus ist für Architekten fast immer auch eine gebaute Visitenkarte. Für Jens Ludloff und Laura Fogarasi-Ludloff ist ihr Haus aber noch ein bisschen mehr: Es ist gleichzeitig Wohnhaus und Büro, Experimentierfeld und Versuchslabor, Stadtbaustein und Instrument zur Verhaltensforschung. Die beiden lieben das Spiel mit der Irritation und stellen in ihren Projekten immer wieder die innere Erwartungshaltung in Frage, die wir einem Gebäude entgegen bringen. Bei ihrem „Haus FL“ in Berlin-Mitte ist nichts so, wie man es sich vorstellt, das fängt schon beim Städtebau an. Hier haben sie auf vier Geschossen eigenwillige Lösungen zum Umgang mit Öffentlichkeit und Privatheit, Arbeiten und Wohnen gestaltet.
Es ist eine einzigartige städtebauliche Situation: Mitten auf dem ehemaligen Todesstreifen an der Bernauer Straße steht seit kurzem eine kleine Siedlung aus 16 schmalen Einfamilienhäusern, alle ungefähr gleich groß, jedes anders gestaltet. Erschlossen werden sie über einen Durchgang in einem Mehrfamilienhaus, dessen Verlängerung zur Wohngasse wird. Unwillkürlich fragt man sich: Ist das nun eine Privatstraße oder ein öffentlicher Weg? Der Weg ist öffentlich, die Öffnung ganz bewusst gewählt. Anstelle der hier früher vorhandenen Hinterhausbebauung mit ihren taschenartigen Höfen kann man nun durchlaufen von der Strelitzer Straße bis zur Bernauer. An sonnigen Tagen sitzen die Bewohner vor der Tür und schauen den Kindern beim Spielen zu. Die Atmosphäre hat fast etwas Dörfliches, und das mitten im Zentrum der Hauptstadt! Die Touristen, die sich vom gegenüberliegenden Mauerdenkmal aus hierher verirren, bleiben besonders oft vor einem Haus stehen: Dem Haus FL mit seiner dunkel gebeizten Holzfassade, deren Anmutung zwischen Beton und Holz changiert. Viele klopfen vorsichtshalber an die Wand, um ganz sicher zu gehen.
Schwellen und Grenzen
Fast schwarz und mit bündig eingelassenen, schmal profilierten Fenstern hebt es sich aus der geschlossenen Bebauung heraus. Vor dem Haus ist ein kleiner Sockel, eine Stufe nur, doch für die Architekten markiert sie die Schwelle zwischen öffentlicher Gasse und privatem Haus. Wenn man sich auf die Betonbank setzt, die hier steht, ist man sich nie ganz sicher, ob man nicht schon zu weit gegangen ist. Den Architekten, deren großes Küchenfenster sich direkt zur Wohnstraße öffnet, macht es viel Spaß zu beobachten, wie die Passanten mit dieser ungewohnten Situation umgehen. Solche nuancierten Übergänge zwischen Öffentlichkeit und Privatheit ziehen sich durch das ganze Gebäude, in dem Jens Ludloff und Laura Fogarasi-Ludloff gleichzeitig die Kombination aus Büroarbeit und Familienleben erproben.
Ein Raum, viele Funktionen
Beim Betreten des Hauses erwartet den Besucher die nächste Überraschung: Er steht unten, eine geschwungene Stufe trennt ihn vom eigentlichen Erdgeschoss. Neben ihm befindet sich die offene Küche, in der die beiden unerwartet korrekt gekleideten Architekten Espresso zubereiten. „Ich trage gerne Anzüge,“ sagt Jens Ludloff, „mein Anzug ist mein Büro.“ Wo keine räumliche Grenze die Bereiche zwischen Arbeits- und Familienleben markiert, übernimmt die Kleidung diese Aufgabe. Ein Abstellraum, in dessen Rückwand ein Kamin eingelassen ist, trennt die Erdgeschossebene in die beiden Bereiche Küche und Besprechungsraum. Es ist der „öffentliche Raum“ des Hauses, hier finden die Verhandlungen mit den Fachplanern genauso statt, wie hier Kindergeburtstage gefeiert werden. An dem großen Tisch versammeln sich alle, die seitliche Wand zur Treppe hin dient als erweiterte Pinnwand, an der der aktuelle Stand von Wettbewerben und Projekten abgebildet ist. Die komplett verglaste Rückwand des Raums führt hinaus in den Garten mit einer Holzterrasse, in der bündig eingelassene, kreisrunde Gläser das Souterrain belichten.
Zur Arbeit fahren oder laufen?
Das Untergeschoss, in das man über eine seitlich verlaufende Treppe gelangt, ist das eigentliche Labor des Hauses. Hier stehen die Arbeitstische mit den Computern, dem Zeichen- und Modellbaumaterial. Belichtet wird es über die Außentreppe und die Oberlichter in der Terrasse. „Wenn unsere Kinder von der Schule kommen, klettern sie unseren Mitarbeitern auch mal auf den Schultern herum,“ sagt Laura Fogarasi-Ludloff. „Wir sind eine Art Großfamilie. Wenn man das so begreift, kann man so eine enge Verknüpfung von Arbeiten und Wohnen auch leben.“ Und die Projektwand im Erdgeschoss, die einen auch am Sonntag an die Arbeit erinnert, stört sie nicht? „Als Selbständiger hat man die Projekte doch ohnehin ständig im Hinterkopf. Normalerweise muss man dann am Wochenende noch mal ins Büro fahren. Wir gehen dann für eine Stunde nach unten. Das ist viel einfacher.“
Bewegung und Farbe
Die Gliederung des Hauses in Bezug auf Öffentlichkeit und Privatheit, Arbeiten und Wohnen erfolgt also vertikal: Der Souterrain als Büro ist rein professionellen Tätigkeiten vorbehalten, während sich auf der Erdgeschossebene die verschiedenen Nutzungen vermischen, erst darüber beginnt das eigentliche Wohnhaus: Im ersten Stock spielen und schlafen die Kinder: Ein großer Spielflur, „Turnsaal“ genannt, ergänzt die Kinderzimmer. Deren tiefe Fensterbrüstungen können auch als Ablage und Tisch genutzt werden. Im zweiten Geschoss sind Wohn- und Schlafraum der Eltern angeordnet, letzterer selbstverständlich auch noch mal durch eine Stufe abgehoben. Eine (schmale) holzverkleidete Treppe verläuft vom Erdgeschoss fast über die gesamte Tiefe des Hauses. Zoniert wird sie durch verschiedene Farbfelder; kreisrunde, gewölbte und farbig ausgemalte Oberlichter „ziehen“ den Besucher fast nach oben und mischen ihr Licht mit der Wandfarbe.
Kurz bevor man oben ankommt, wird die Bewegung durch eine leicht gewölbte Wand sanft umgewendet. Die geschwungene Galeriebrüstung zur Treppenöffnung ist mit einer breiten Holzplatte abgedeckt, auf der Bücher, ein Globus und ein Schachbrett stehen. Das erhöht liegende Schlafzimmer mit Bad teilt diese Ebene, wie unten der Abstellraum, in zwei Bereiche. Am Ende erwartet einen ein großes Balkonfenster mit Blick auf den Mauerstreifen. In die Schalung der Betondecke haben sich einige Blätter verirrt, die sich nun auf der Oberfläche abzeichnen und die Decke zum Bild machen. Hier fühlt man sich schon fast als Eindringling. Auf dem Sofa vor dem Fenster, direkt vor der Schwelle zum intimsten Raum des Hauses, sitzen die Architekten aber auch manchmal mit ihren Mitarbeitern. Dann muss es aber schon einen ganz besonderen Anlass zum Feiern geben.
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