Koloss in Grau
Außen hart und innen freundlich: So beschreibt das irische Architekturbüro Grafton Architects sein neues Gebäude für die Luigi-Bocconi-Universität in Mailand. Dass der Entwurf über den Standard typischer Universitätsbauten hinausreicht, wurde bereits wenige Wochen nach der Eröffnung im Oktober 2008 belohnt: Die Architektur wurde auf dem World Architecture Festival in Barcelona mit dem Preis für das „Beste Gebäude des Jahres“ ausgezeichnet.
Eine gewisse Vorliebe zum Brutalismus muss man den Architekten schon zugestehen, die die Fassade des neuen Vortragsgebäude entwarfen wie einen schützenden Panzer aus Stein. „Ceppo di Gré“, so der Name dieses matten, mittelgrauen Natursteins, der häufig im historischen Zentrum von Mailand zu sehen ist und am Rande der Alpen in der nördlichen Lombardei abgebaut wird. Beeindruckend ist vor allem die enorme Präsenz, die der Stein im Stadtraum entfaltet. Schließlich haben die Architekten 11.200 Quadratmeter für Fassaden und Dächer verbaut, was auch bei einem Gebäudemaß von 70 mal 160 Metern mehr als stattlich ist.
Kontrast zwischen Innen und Außen
Zeigt sich der Bau außen von einer besonderen Schwere und Präsenz, überrascht das Interieur mit einer Fülle von Licht. Das in Dublin ansässige Büro Grafton Architects mit den Architekten Yvonne Farrell und Shelley McNamara – im Übrigen nicht zu verwechseln mit Brad Pitts Berliner Protegés – haben hier geschickt in die Trickkiste gegriffen: Erscheint der Bau im Sockel massiv und geschlossen, wurde er nach oben mit großzügigen Einschnitten und Leerräumen versehen, die das Tageslicht bis tief in das große Auditorium leiten. Seitliche Sprünge lockern die Fassaden nicht nur mit tektonischer Tiefe auf, sondern versorgen auch die Gänge und Funktionsräume, die um das Auditorium angeordnet sind, mit wohl dosiertem Tageslicht.
Unterirdische Piazza
Für eine Überraschung sorgt auch das großzügige Foyer, das sich auf seiner gesamten Länge zur Viale Bigli öffnet. Um fünf Meter haben es die Architekten unterhalb des Straßenniveaus abgesenkt und konnten es so bis an die Parkettebene des großen Auditoriums heranführen. Dieses dient mit seiner keilartig ansteigenden Form zugleich als ein überdimensionaler „Reflektorschirm“, der das Tageslicht sogar bis in den überdachten Bereich des Foyers unterhalb eines kleinen öffentlichen Platzes wirft. „Wir haben versucht, eine Kontinuität zwischen der ‚Landschaft’ der Stadt und der Landschaft der neuen, unterirdischen Gewölbe herzustellen“, erklären die Architekten ihr Konzept und spielen damit auch auf den öffentlichen Charakter an, den das Foyer in Zukunft einnehmen soll.
Ort der Kommunikation
Als Zwischenraum, der von der Straße eingesehen werden kann und zugleich einen Blick von Innen auf das urbane Leben draußen offenbart, soll das Foyer mit wechselnden Ausstellungen und Veranstaltungen mit Leben gefüllt werden. Der drei unterirdische und sechs oberirdische Geschosse umfassende Bau verfügt neben dem großen Auditorium auch über fünf Konferenzräume, mehrere Lesesäle, Innenhöfe und Sitzecken, die alle öffentlich zugänglich sind. Die Arbeitsräume für über 1000 Professoren und weitere Angestellte der Universität wurden oberhalb des großen Auditoriums angeordnet und werden als „schwebende Volumen“ großzügig mit Tageslicht durchflutet.
Ausgezeichnet
Dass das Universitätsgebäude beim ersten World Architecture Festival, das vom 22. bis 24. Oktober 2008 in Barcelona stattfand, nicht nur den Preis für das beste Gebäude in der Kategorie „Bildung" erhielt, sondern zugleich auch den Titel „Gebäude des Jahres“ für sich entscheiden konnte, mag viele überrascht haben. Schließlich wirkt der Bau auf den ersten Blick weit weniger spektakulär als viele der Museen, Opernhäuser oder Showrooms, die sich ebenfalls unter der Shortlist der 224 eingereichten Projekte befanden.
Doch in den Augen von Paul Finch, Herausgeber von „Architectural Review" und Organisator des Festivals, hat die Jury ihre Kompetenz mit der Entscheidung unter Beweis gestellt. „Das Gebäude geht eine besondere Beziehung mit der urbanen Landschaft von Mailand ein und hat die Kraft, einen grundlegenden Wandel im Leben seiner Nutzer auszulösen. Grafton Architekten haben die Vergangenheit der Stadt mit einer Attitude des 21. Jahrhunderts geöffnet“, lautet die Begründung in ihrer Laudatio. Die Messlatte für neue Bildungseinrichtungen – und nicht zuletzt das dürfte auch den Anstoß für die einstimmige Juryentscheidung gegeben haben – wurde durch diesen Entwurf ein weites Stück nach oben gesetzt.
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