Logis in der Höhle
Jean Nouvels Sharaan Resort in der saudi-arabischen Wüste

Getarnt in Stein: Architekt Jean Nouvel lässt ein Hotel unweit der Gräberstätte Mada’in Salih ins Innere eines Berges schlagen. Düsterer Grotten-Charme ist dennoch nicht zu befürchten. Der unterirdische Bau wird von tänzelnden Licht- und Schattenspielen durchdrungen.
Eine wichtige Handelsroute der antiken Welt war die Weihrauchstraße. Sie führte vom heutigen Oman bis ans Mittelmeer. Als fester Zwischenstopp galt die Oase Al-Ùla, rund 400 Kilometer nordwestlich von Medina. In ihrer Nähe sind von den Nabatäern 111 monumentale Gräber in die zerklüfteten Sandsteinfelsen gemeißelt worden. Lange ist dieser vorislamische Teil der Geschichte in Saudi-Arabien ausgeblendet worden. Das änderte sich 2008, als die Stätte Mada’in Salih zum ersten Unesco-Weltkulturerbe des Landes ernannt wurde.
Nun soll die touristische Erschließung der Region erfolgen, die bislang allein muslimischen Pilgern vorbehalten war: Nicht durch einen 08/15-Hotelkomplex, sondern mithilfe einer überaus ortsspezifischen Bebauung. Schützenhilfe liefert an dieser Stelle Jean Nouvel. Das von ihm entworfene Sharaan Resort wird direkt in die Felsen geschlagen, genau wie die bis heute erhaltenen Monumente der Nabatäer. Bis 2024 entstehen 40 Suiten inmitten eines Berges, der rund 100 Meter über den Wüstenboden emporragt. Etwas abseits werden drei Villen sowie vierzehn Pavillons errichtet.
Landschaft und Geschichte
„Jede geologische und archäologische Stätte verdient größtmögliche Aufmerksamkeit. Es ist wesentlich, ihre Besonderheiten ebenso zu bewahren wie ihre Attraktivität, die vor allem auf ihrem abgeschiedenen und archaischen Charakter basiert. Wir müssen das Geheimnisvolle erhalten“, erklärt der französische Architekt. Seine Projekte entwickelt er stets aus ihrem Kontext heraus. „Ich glaube, dass jedes Gebäude, das dort gebaut wird, ohne eine direkte Verbindung mit der Reliefstruktur und Materialität des Felsens einzugehen, verstörend sein wird“, so der Pritzker-Preisträger. Indem er das Hotel direkt in den Felsen schlägt, möchte er Topografie und Zeit miteinander verbinden. „Die Geschichte vergangener Zivilisationen trifft auf eine außergewöhnliche Landschaft – und ist damit der einzige Ort, an dem ein solches Werk entstehen kann“, so Jean Nouvel weiter.
Spuren des Windes
Für den Bau des Hotels werden die Felsen ausgehöhlt. Statt Material zu akkumulieren, wird es abgetragen. Aus Addition wird Subtraktion. Auch die Bauweise der Nabatäer wird umgekehrt: Während sie in die Außenseiten der Gesteinsformationen repräsentative Häuserfassaden schlugen und so die Natur in Architektur verwandelten, geht Jean Nouvel den umgekehrten Weg. Er versteckt den Bau im Inneren der Felsen, will die sichtbaren Zeichen auf ein Minimum reduzieren. Ein dunkles, bunkerartiges Wohngefühl ist jedoch nicht zu befürchten. „Meine erste Idee war, die markanten Vor- und Rücksprünge des Gesteins zu nutzen, die vom Wind erschaffen wurden. Wir wollen diese Reliefs vertiefen, um so eine Abfolge von massiven und ausgehöhlten Volumina zu erzeugen“, erklärt der 75-Jährige.
Vertiefung der Reliefs
Will heißen: Die natürlichen Einhöhlungen werden weiter in den Felsen hineingetrieben, sodass sie horizontale Schlitze bilden. Sie öffnen die dahinter liegenden Suiten nach draußen – zum Tageslicht und zur Aussicht. Mithilfe von bodentiefen Fenstern werden die Innenräume vor kalten Nächten ebenso wie vor der Hitze am Tag geschützt. Auch die Felsvorsprünge übernehmen eine wichtige Aufgabe: Sie fangen die Sonnenstrahlen ab, bevor sie die Fensterscheiben erreichen und somit einen Treibhauseffekt bewirken. Lediglich die vorgelagerten Terrassen werden direkt erhellt. Die Schlitze verdichten das Sonnenlicht zu schmalen Streifen, die je nach Tageszeit auf den Terrassen entlangwandern und warmes, indirektes Licht ins Innere der Suiten werfen.
Steinerne Maschrabiyya
Zusätzliche Öffnungen im Gestein erzeugen einen beständigen Windzug, der für eine natürliche Abkühlung sorgt. Wenn das Sonnenlicht durch diese Aussparungen dringt, zeichnen sie sich auf den Böden und Wänden der Terrassen als feine Muster ab. Der Effekt ist vergleichbar mit den dekorativen Holzgittern in der islamischen Architektur, den sogenannten Maschrabiyya. Auch bei den inneren Erschließungswegen spielt Licht eine wichtige Rolle. Der zentrale Aufzugsschacht führt von der Lobby hinauf zu den Suiten bis auf die Spitze des Berges, wo ein Restaurant geplant ist. Die Sonnenstrahlen können entlang dieses Lichttunnels in die Tiefe vordringen. „Man wird sich eines komplett anderen Maßstabs bewusst, wenn man aus der Mitte eines Felsens in 80 Metern Höhe plötzlich das Licht des Himmels sehen kann“, so Jean Nouvel.
Kugelförmiger Hohlraum
Trotz allen Respekts für die Landschaft: „Es war auch wichtig, einen sichtbaren Einschnitt zu kreieren, den man aber nur vom Himmel aus sehen kann. Darum habe ich einen großen Patio in Form einer ausgehöhlten Kugel entworfen, zu dem sich die Lobby und die Zimmer öffnen“, erklärt Jean Nouvel. Was er damit bei den zukünftigen Gästen bewirken will: „Es geht darum, das Bewusstsein für diese Landschaft zu vertiefen, um sie noch intensiver erleben zu können. Damit ist klar, dass hier etwas komplett Einmaliges entsteht.“
FOTOGRAFIE Ateliers Jean Nouvel
Ateliers Jean Nouvel
Projekt | Sharaan Resort |
Typologie | Hotel und Restaurant |
Ort | Mada’in Salih, Saudi-Arabien |
Größe | 40 Suiten, 3 Villen, 14 Pavillons |
Material | Sandstein |
Interview Jean Novel
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