Londons wildeste Jagdhütte
Die Kreativen haben es vielfach belegten Gerüchten zufolge gern bunt. Ob Werbetexter, Grafikdesigner oder Spieleentwickler: Haupteinstellungsmerkmal – so scheint es – ist die Jugend, oder zumindest ein Hang zur Berufsjugendlichkeit. Die Juvenilität und konsequente Nähe zur Zielgruppe spiegelt sich auch in den Arbeitsstätten der Kreativelite. Da sind Wände mit Graffiti bedeckt, in den Pausen, die hier Brainstorming heißen, entspannt man an Tischtennisplatten und Spielekonsolen und zur geselligen Mittagsrunde führt eine lange Blechrutsche oder der Sprung aufs Skateboard. Nicht so bei der Agentur I Love Dust. Die gibt sich mit ihrem monothematischen Interieur alle Mühe, dem Firmennamen gerecht zu werden. Man ist in der Tat stilistisch staubig. Aber trotz aller wohlinszenierten Traditionalität nicht von gestern und ganz schön extraordinär.
Die Agentur nennt sich selbst eine „multidisziplinäre Design Boutique“. Die Bandbreite ihres Schaffens reicht von Grafikdesign über charmante Illustrationen, Typografie und Animationen bis hin zu Trendprognosen. Zwei Standorte stehen ihnen zur Verfügung. Eines der beiden Studios liegt im Herzen von London, ein weiteres an der Südküste der britischen Insel, nur einen Steinwurf vom Meer entfernt. Das Studio im Zentrum zog vor einigen Monaten ein paar Straßenzüge weiter und bekam mit dem Unzug nördlich von Themse und Barbican Centre ein neues Outfit verpasst. Das ließ sich I Love Dust von 44th Hill maßschneidern, einer Markenagentur, die ihrem Portfolio zufolge auch als Konkurrenz gelten könnte. In diesem Fall aber hat man sich tolerant gezeigt, ist man doch zugleich miteinander und arbeitet an gemeinsamen Projekte, wie etwa bei Planung und Ausbau einiger Restaurants. Während das Büro 44th Hill jahrelange Erfahrung im Interieur-Bereich mitbringt, liegen die Stärken von I Love Dust vor allem in Kommunikation und Inszenierung.
„Good Wood“
Wie gut die beiden Büros miteinander arbeiten, zeigt auch der Rückblick von I Love Dust auf den Ausbau des Studios: „Von vorneherein konnten wir Einfluss auf das Erscheinungsbild und das Gefühl, das die Räume vermitteln sollen, nehmen. 44th Hill teilte unsere Vision und ließ sie wahr werden.“ Was die Agentur wollte, war vor allem eines: Holz. Wer das Stadthaus der Grafiker betritt, findet sich wieder in einem Jägertraum. Holz quert in langen Balken die Decken, kleidet die Wände und bildet die Tische. Die Technik, das eigentliche Arbeitswerkzeug der Agentur, tritt vor dieser homogenen Materialfläche zurück. Für den großen Flachbildfernseher etwa wurde in die Wandverkleidung passgenau eine nach hinten weisende Box eingearbeitet, in der der Bildschirm nahezu fugenlos verschwindet. Nur wer genau hinsieht, kann das Hightech-Gerät sofort ausmachen – ansonsten dominiert das unbehandelte Holz in seinen verschiedenen Schattierungen und vermittelt dem Besucher das Gefühl, sich im Inneren einer alten Zigarrenkiste zu befinden.
Ton in Ton
Alles, was nicht aus einfachen Balken gefertigt ist, bewegt sich stilistisch zwischen Industriebrache, Designklassiker und Großvaters Hobbyscheune. An den Decken hängen schwere Emaille-Strahler, die so wirken, als wären sie aus einer stillgelegten Fabrik adoptiert worden, daneben eine Reihe blanker Birnen, die die großen Arbeitstische darunter ausleuchtet. Um einen niedrigeren Arbeitstisch gruppieren sich die von Charles und Ray Eames entworfenen und von Vitra produzierten LCW-Bugholzstühle, passend zum Ambiente in einer Sonderausführung mit Kuhfellbezügen. Das Western-Saloon-Thema setzt sich auch an der Wand fort. Alte, schwere und von der Zeit nicht verschonte Spinde sorgen für Stauraum, eine Reihe Tiergeweihe für visuelle Ablenkung – und bieten ganz nebenbei ein paar Haken für Jacken und Mäntel. Auf dem Besprechungstisch dann thront das letzte Waldzitat in Form eines grob geschnitzten und streng reinschauenden alten Bären – vielleicht ein Stellvertreter für den alten Hasen, vielleicht eine Warnung vor dem Bärenmarkt.