Nobeljeans im Rohrleitungsdschungel
Dass es immer darauf ankommt, was man aus einem Material macht – diese banale Erkenntnis illustriert die aktuelle Installation „Nature Factory“ in der „Diesel Denim Gallery“ in Tokio sehr anschaulich. Als Material wählten die Architekten des Projekts schlichte Abflussrohre aus Kunststoff. Das Ergebnis ist ein verschlungener Rohrleitungsdschungel, der sich über Wände und Decken des Ladengeschäfts der italienischen Jeansmarke im Stadtteil Aoyama erstreckt. Verlegen lassen hat das Rohrwirrwarr der japanische Architekt Makoto Tanijiri von Suppose Design Office aus Hiroshima.
Wie der Name andeutet, ist die Diesel Denim Gallery kein normales Geschäft der Jeansmarke, denn in beiden Filialen in Tokio und New York werden nur ausgewählte Stücke aus dem Sortiment des Herstellers verkauft. In Tokio organisiert Diesel Ausstellungen mit Künstlern, deren Werke auch zum Verkauf stehen, um sich deutlich von den anderen Läden der Marke abzuheben. Zudem gestalten Designer oder Architekten das Geschäft zwei Mal im Jahr um, wie aktuell Makoto Tanijiri mit seiner Rauminszenierung aus schnöden Kunststoffabflussrohren. Sein Büro Suppose Design Office hat in den vergangenen Jahren vor allem durch Entwürfe für Wohnhäuser in Japan auf sich aufmerksam gemacht: Es sind oft spannungsvolle und monolithische Baukörper, die die typisch japanischen Minigrundstücke optimal ausnutzen.
Ein geschlossener Kreislauf
Tanijiris Installation für Diesel verwandelt einen eigentlich relativ schlichten Verkaufsraum mit Sichtbetonwänden in einen Dschungel aus Leitungen und Verbindungsstücken, der dramatische Schatten auf seine Umgebung wirft. Eine auf bestimmte Punkte konzentrierte Beleuchtung steigert den bewegten Gesamteindruck noch. Die Kleidungsstücke werden zwischen den Rohren hängend präsentiert und sind formal nicht in die Installation integriert.
Beherrscht wird der Raum eindeutig von den Plastikrohren: An den Wänden verlaufen sie, zu Strängen zusammengefasst, ordentlich rechtwinklig. Mitten im Laden stehen zwei „Bäume“ aus gebündelten Leitungen, die sich unter der Decke wie Äste in alle Richtungen verzweigen und ein dichtes Geflecht bilden. Keines der geknickten Rohre endet im Nichts, sondern dockt an der Wand oder am Boden an – so entsteht der Eindruck eines in sich geschlossenen Kreislaufs. Auch wenn durch die Rohre in Wirklichkeit kein Abwasser aus der Teeküche des Ladens fließt. Dank der großflächigen Glasfassade des Gebäudes ist der Dschungel auch von der Straße aus zu sehen und verfehlt seine Wirkung als Eyecatcher für potenzielle Kundschaft sicher nicht.
Wild wuchernde Künstlichkeit
Der Titel der Inszenierung, Nature Factory, spielt auf die Vermischung verschiedener Sphären an: Offenliegende Rohrleitungen, zumal in dicken Bündeln, wecken Assoziationen an Industriebauten, Fabrikationshallen oder Chemielabore. Wenn sie entgegen alle Ingenieursvernunft aber wild geknickt und verflochten sind wie in der Denim Gallery, dann erinnern sie trotz ihres künstlichen Materials an wuchernde Pflanzen oder Baumkronen. Ob dadurch jedoch die Atmosphäre eines natürlichen Waldes entsteht, wie Diesel selbst nahelegt, das sei dahingestellt. Diese Interpretation entspringt wohl eher dem Wunsch, künstlerische und architektonische Arbeiten dafür zu nutzen, das eigene Markenprofil zu schärfen. Und ein naturbewusstes, gar nachhaltiges Image ist für viele Firmen heute erstrebenswert – ob die Produkte das einlösen können, ist allerdings eine andere Frage. Zweifellos aber bietet Nature Factory eine amüsante Neuinterpretation eines ziemlich banalen Ausgangsprodukts: Wo sonst könnte man hochpreisige Jeansmode umgeben von Klempnerzubehör aus dem Baumarkt erwerben?
Die Installation Nature Fatory ist noch bis zum 31. Januar 2010 in der Diesel Denim Gallery Aoyama in Tokio zu sehen.