Nordischer Stilmix
Mitten im Zentrum Stockholms steht eine Architekturikone der besonderen Art: das altehrwürdige Grand Hôtel. Hier weilen Berühmtheiten aus aller Welt. Und die wollen verköstigt werden und zwar auf die noble Art. Die britische Designerin Ilse Crawford von studioilse hat für das Hotel zwei Restaurants entworfen, die in ihrer ästhetischen Anmutung unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die in London ansässige Designerin gestaltete mit ihren Mitarbeitern Sarah Hollywood und Simon Kaempfer zwei Restaurants, die beide unter der Leitung des schwedischen Starkochs Mathias Dahlgren stehen. Zwar sind sie kulinarisch und gestalterisch sehr unterschiedlich ausgerichtet, ergänzen sich durch diese Gegensätzlichkeit aber auf eine gewisse Weise. Crawfords Konzept: Bereits seit Jahrzehnten im Grand Hôtel vorhandene Möbel mit Patina wurden restauriert und um neue und teilweise speziell für diesen Ort gestaltete Stücke ergänzt.
Was macht ein Wikingerboot in einer Bar?
Beide Restaurants bieten ein täglich wechselndes, frisch zubereitetes Menu an und werden räumlich durch eine Bar mit schwarzem Tresen und dazu passenden Barhockern separiert. Dort erwartet den Besucher ein gestalterisches Highlight, das speziell für diesen Raum angefertigt wurde: Vor den dunkel Indigoblau gefärbten Wänden erstrahlt ein vergoldeter, durchbrochener Paravent, den die holländisch-belgischen Designer von Studio Job gestalteten. Als Rundbogen konzipiert, zeigt er Küchenszenen, schwedische Arbeitsgeräte und Wikingerboote und schlägt eine geografische Brücke zum Standort der Restaurants.
Von alten Stühlen und neuen Tischen
Das Restaurant „Matsalen“ ist das À-la-Carte-Restaurant des Hotels und umfasst 38 Sitzplätze. Hier kann der Gast in gediegener und intimer Umgebung dinieren. Bereits wenige Monate nach seiner Eröffnung wurde das Restaurant vom Guide Michelin mit einem Stern und der Zusatzauszeichnung „Rising Star for two“ belohnt. Dahlgrens Küche zeichnet sich durch die Kreation einer neuen schwedischen Küche, besonderen Einfallsreichtum und den Einsatz hochwertiger Produkte aus.
Auf dem Parkettfußboden wurden mit Samt bezogene, sandfarbene Chesterfield-Sofas positioniert, die durch feine Hängeleuchten erstrahlen. Die beigestellten Stühle stammen noch aus den Anfängen des Hotelbetriebs, wurden aufgearbeitet und mit hellgelbem Leder bezogen. Auch die Holzpaneelen an den Wänden tragen zur ruhigen Atmosphäre des Speisesaales bei. Die Tische sind aus Holz gearbeitet, mit einem gedrechselten Fuß versehen und stammen von studioilse. Gedeckt werden sie mit eleganten Tischdecken, Servietten, Gläsern und feinem Porzellan.
Unprätentiös essen inmitten von Designikonen
Weniger elegant – Tischdecken und Stoffservietten sucht man hier vergebens – geht es im Restaurant „Matbaren“ zu. Konzeptuell ist es auf das schnellere Verzehren der Speisen ausgelegt, was sich auch am Interieur zeigt. Es strahlt zwar nicht die Ruhe aus wie das Restaurant „Matsalen“, kommt dafür aber deutlich unprätentiöser daher.
Das Restaurant mit einem farbigen Fliesenboden bietet Raum für 50 hungrige Gäste. Sie können Platz nehmen auf „Pyra“-Stühlen von Mårten Cyrén, auf dem 1959 vom italienischen Designer Vico Magistretti entworfenen „Carimate Chair“ oder auf von Josef Frank für Svenskt Tenn gefertigten Stühlen. Jørn Utzon, der kürzlich verstorbene Schöpfer der Oper in Sydney, zeichnet für die Gestaltung der weißen Pendelleuchten „Utzon Pendant“ aus den 1940er Jahren verantwortlich. Auch eine andere Ikone des Designs leuchtet über den groben Holztischen strahlend Weiß: der legendäre „PH Zapfen“ des dänischen Herstellers Louis Poulsen. Die Küche des Restaurants wurde in den Speiseraum integriert, so dass sich eine besondere Form der Gemütlichkeit ergibt.
Gemütlichkeit à la Ilse Crawford : Sinne und Gefühle
Diese Gemütlichkeit ist es auch, die das Design von Ilse Crawford auszeichnet. Die 1962 geborene Designerin ist in vielen Bereichen des Entwerfens aktiv: Gründerin der britischen Elle Décoration, ehemalige Vizepräsidentin der Donna-Karan-Home-Collection, Erfinderin der Swarovski-Crystal-Palace-Collektion, Hochschullehrerin an der Design Academy Eindhoven und Schriftstellerin im Designbereich ist sie seit 2002 mit einem eigenen Designbüro und zwölf Mitarbeitern in London ansässig. Neben Produkten wie Lampen, Tischen oder Stühlen entwirft sie auch Ausstellungsdesigns und Interieurs für Hotels, Wohnungen und Restaurants.
Ihre Interieurs strahlen stets etwas Heimeliges – im positiven Wortsinn – aus. Sie vermitteln dem Gast ein Gefühl des Zuhauses-Seins, sogar in öffentlichen Räumen wie Hotels oder Restaurants. Die Vermittlung dieses Gefühls, das Menschliche im Design, liegt Ilse Crawford am Herzen, dient als Ausgangspunkt ihrer Entwürfe. Viele ihrer Projekte kommen deshalb in warmen Farbtönen daher und sind mit natürlichen Materialien gestaltet. Dabei kombiniert die Britin bereits Existierendes wie Architekturelemente oder Möbelstücke und mischt sie mit Designklassikern oder Trovaillen vom Flohmarkt. So entsteht ein heterogener Stil, den man durchaus als charmant bezeichnen könnte.
Auf diesen Charme treffen wir auch in den beiden Restaurants im Stockholmer Grand Hôtel. Hier gibt es nichts Aufgesetztes, erzählt werden Geschichten, die sich aus den vorhandenen Räumlichkeiten und ihrer Historie ergeben. Darin einzutauchen nach einen Ausflug in die Schärengärten – schon allein dafür lohnt sich die Reise in den Norden.