OMG: CMYK
Krawall in allen Nuancen: Beim Designstudio Candyfornia in Beirut geht es bunt.
Beirut galt lange als Paris des Nahen Ostens – was an romantische Straßencafés, Spaziergänge am Fluss oder Luxusshopping denken lässt. Hinter den historischen Türen eines Stadthauses aus dem 19. Jahrhundert wartet ein Kontrastprogramm zur klischeegemäßen Idylle. Hier betreibt ein Team aus Einhörnern ein neonfarbenes Wunderland. Jedenfalls behaupten das die Kreativen der Agentur Candyfornia, die in diesem ästhetischen Trommelwirbel arbeiten.
Wenn die Kommunikationsdesigner von Candyfornia sich selbst so einkleiden wie ihr Studio, dann stecken sie im perfekten Outfit für eine Bad-Taste-Party. Aber für ein Kreativstudio, das über sich selbst sagt, dass es in Chanel N° 5 badet und sich seine Drogen von Damien Hirst verschreiben lässt, ist die geschmackliche Gratwanderung selbstverständlicher Teil der DNA. Candyfornia ist neonbunt und California-Pastell. Abgerundet mit Marshmellows, Flamingos und Eiskugeln. Diesen kitschigen Farbradau zu mögen, fordert dem eigenen Geschmack Ironie ab – wenngleich es auch ohne schwerfällt, sich der auf Krawall setzenden Bilderwelt zu entziehen.
Ästhetische Beschleunigung
Hinter Candyfornia steht Ryan Houssari, der noch im vergangenen Jahr Kreativdirektor und Moderedakteur beim Magazin Plastik war und sich selbst a.k.a. Candy vorstellt. Markenfarbe der Agentur ist Pantone 806-C, ein grelles Pink mit 100 Prozent Magenta-Anteil. Aber auch die restlichen Farben der CMYK-Palette kommen in den Räumen der Agentur im Herzen der libanesischen Hauptstadt nicht zu kurz. Da braucht der Besucher eine hohe Farbtoleranz. Bereits der Eingangsbereich ist in ein irres Rosa getaucht, das sich aus einem entsprechenden Wandanstrich und einer pinken Neonröhre ergibt. Abgehend von der rechteckigen Flursituation öffnet sich das Gesamtkunstwerk mit seinen unterschiedlichen Themenräumen, die nur entfernt etwas mit traditioneller Büro-Infrastruktur zu tun haben.
Voll aufs Auge mit dem Gummitier
Die erste Station ist das Café WHO. Die Durchreiche zur Gemeinschaftsküche ist mit einer gestreiften Markise ausgestattet und mit leuchtenden Zirkusbuchstaben und Barhockern eine stilistische Zeitreise in die Fünfziger. Gegenüber öffnet sich der Flur zum blauen Konferenzzimmer, auch The Blue Room genannt. Aufblasbare Kunststoffschwimmringe reihen sich auf der Leuchtstoffröhre zur Skulptur und lassen selbst die weißen Vitra-DSW-Stühle darunter dezent rosa reflektieren. Und auch der auf den ersten Blick harmlos auftretende Tisch kommt mit einem Überraschungsmoment. Unter seiner Glasplatte gibt es einen Hohlraum, der als Ausstellungsfläche für ein persönliches Best Of visueller Kommunikation fungiert. Die drei Büros gruppieren sich um Flur und Konferenzbereich und sind mit Neon-Leuchtschrift gekennzeichnet. Studio und Design führen zu den kreativen Verbündeten von Ryan Houssari, während der Chef selbst es sich nicht hat nehmen lassen, seinen Arbeitsraum mit dem eigenen Namen zu betiteln – willkommen bei Candy.
Hat jemand Bernd das Brot gesehen?
In allen drei Zimmern hängen Pinnwände aus Gittern, an die dreidimensionale Fund- und Inspirationsstücke geklammert werden können. Lackiert in Cyan, Yellow und Magenta bringen sie die Simpsons, alte Turnschuhe oder Ken zusammen, wenn sie sich denn an den vorgegebenen Farbcode halten. Alles Übrige, wie Flamingo-Statuen, Plastik-Muffins oder ein Radio aus Elvis-Zeiten dekorieren Tischchen und Tische, Boden und Wände. Auf seltsame Weise wird selbst die eigentlich völlig gegensätzliche libanesische Architektur zum Komplizen. Das farbige Licht der überall platzierten Neonröhren und farbigen Glühlampen verändert den Charakter der Musterfliesen und Stuck-Dekorationen und macht sie zum ästhetischen Schaumzucker auf der Torte namens Candyfornia. Es entsteht eine charmante Überfrachtung, die nicht nur gestalterischer Ausdruck, sondern auch ein Manifest der Bildwelt dieser Agentur ist.