Pixel, Pomp und Prosperität
Wenn Auftraggeber erklären, dass „Geld keine Rolle spielt“, dann handelt es sich entweder um einen wundervollen Architekten-Traum, oder wir finden uns in der Realität Russlands wieder. Das Büro Za Bor durfte für Yandex, den größten Widersacher von Google, in Sankt Petersburg auf über 3000 Quadratmetern eine neue Firmenzentrale planen. Nun wird hier in übergroßen Play-Tasten getagt, aufgeblasene Pixel werden zum Rahmen für Büropflanzen, und Mauszeiger weisen den Weg. Willkommen im Wunderland der prosperierenden postkommunistischen Wirtschaftswelt.
Die neuen Räume von Yandex könnten auf den Besucher auch so wirken, als hätte er sich in einem Computerspiel verlaufen. Mit seinen riesigen Icons und überproportionierten Objekten wie einer Hinkelstein-großen Uhr erscheint das knallbunte Baustein-Interieur wie eine Mischung aus Super Mario Brothers und Alice im Wunderland. Um diese Wirkung zu erzielen, haben die Architekten viel Zeit in die Konzeption investiert. Denn der alles andere in den Schatten stellende Wunsch der Auftraggeber von Yandex lautete: „Wir wollen ein außergewöhnliches Büro, wie kein zweites“. Damit musste der IT-Gigant nicht zuletzt sich selbst übertrumpfen, denn gerade einmal vier Jahre zuvor wurde das erste Yandex-Büro in Sankt Petersburg eröffnet. Yandex I befindet sich ebenso wie Yandex II im Benois Business Center, liegt gerade einmal vier Etagen tiefer und wurde ebenfalls von Za Bor gestaltet, die dafür schon 2008 viele internationale Auszeichnungen erhalten hatten.
Größer ist schöner
Die Herausforderung der neuen Räume lag nicht nicht nur in der Weitläufigkeit von 3310 Quadratmetern, sondern auch in der Länge des Flures. Dieser misst 200 Meter und schlägt damit eine Schneise durch Arbeitsbereiche und Funktionsräume, die rechts und links davon abgehen. Um der in dieser Raumsituation eventuell entstehenden visuellen Langeweile vorzubeugen, beschlossen Za Bor eine zusätzliche Zonierung der Areale durch sogenannte „ungewöhnliche Objekte“. Wer jetzt den Flur entlangläuft, bewegt sich durch eine real gewordene Yandex-Suchmaschine. Schon an der Rezeption empfängt den Gast ein Search-Button, gefolgt von einem gelben Pfeil, dem inoffiziellen Logo des Unternehmens. Und das Icon-Thema setzt sich entsprechend der Corporate Identity von Yandex auch auf allen weiteren Flur-Metern fort. Die Symbole, die sich sonst als zweidimensionale Objekt auf dem Bildschirm finden, wurden zu gigantischen dreidimensionalen Figuren aufgeblasen. Dazu kommen in Nuancen gepixelte Wände, aus denen sich die einzelnen Blöcke hervorschieben oder zurücktreten.
Dekorative Funktionsräume
Auch wenn die Elemente vor allem plakativ und dekorativ scheinen, sollen sich die meisten doch einer Funktion unterordnen. Eine große Spirale etwa trennt den Bereich, der zum informellen Gespräch einladen soll, vom Korridor. Und die riesigen Uhren, die an Felsbrocken erinnern, aber „jellyfish“, also Qualle genannt werden, beherbergen Server, Drucker und andere stationäre Objekte. Gerade diese Gebilde zwischen Möbel, Zonierung und Architektur bereiteten in der Realisierung – nicht zuletzt in Hinblick auf den Brandschutz – die größten Probleme. Weil in Russland bisher kaum jemand Freiformen in dieser Dimension in die Architektur eingebunden hat, war die Umsetzung schwierig. Vieles musste vor Ort unter Supervision der Architekten eingebaut werden. Die größte Herausforderung waren allerdings nicht die vielen 3D-Objekte, sondern die Metallblätter der Deckenverkleidung, die alle einzeln installiert werden mussten.
Arbeiten im Themenpark
Konzipiert ist die Yandex-Zentrale als 24/7-Office ohne Öffnungszeiten, das seine Mitarbeiter auch durch Sondereinrichtungen wie einen Fitnessraum zum Verweilen einladen will. Ob die Architektur ebenfalls ihren Beitrag dazu leistet, ist allerdings fraglich. Was die Besucher als unterhaltsamen Themenpark erleben, ist für die Mitarbeiter tägliches Umfeld. Da lassen auch knallbunte Einbauten wahrscheinlich nicht vergessen, dass es den zweihundert Flurmetern an Tageslicht fehlt. Ganz im Gegenteil stehen sie im offensichtlichen Kontrast zur niedrigen Deckenhöhe und der schmalen Grundfläche, die zusammen eine bedrückend wirkende Grundsituation ergeben. Dem Interieur fällt so die Aufgabe einer kosmetischen Massnahme zu, die mehr auf Überblendung angelegt ist, als darauf, eine emotionale, wohnliche und anthropozentrische Bürokultur zu schaffen. Mit seiner Neigung zum Pomp und zur Übertreibung wird das Yandex-Büro wohl dem Klischee von russischer Ästhetik gerecht: Es ist überinszeniert und gerade dadurch faszinierend. Dem Wunsch nach einem außergewöhnlichen Interieur zumindest sind die Architekten damit gerecht geworden.