Projekte

Raumschiff im Wald

von Norman Kietzmann, 03.02.2009


Bäume zu fällen, um an ihrer Stelle ein Haus zu errichten, stößt nicht nur in Skandinavien auf Bedenken. Auch in Japan mündet der Respekt vor der Natur in der gerne angenommenen Herausforderung, die bestehende Topographie des Baugrundes in den Neubau mit einzubeziehen. Dass eine nachhaltige Architektur dabei alles andere als leidenschaftslos sein muss, hat das Büro „Artechnic Architects“ mit seinem Shell-House im japanischen Karuizawa gezeigt. Schwebend über dem Waldboden entwarfen sie ein Wochenendhaus wie ein gelandetes Raumschiff.


„Koexistenz“ lautet das Stichwort, mit dem die Architekten das Verhältnis des Gebäudes zu seiner Umgebung beschreiben. Anstatt eine große, stattliche Tanne zu fällen, planten sie das Haus stattdessen einfach um sie herum. „Die Beschaffenheit der Struktur hängt von der Kraft ab, die Natur zu respektieren“, erklären die Architekten ihr Konzept. Anstatt tiefe Kellerräume in den Waldboden zu graben, hoben sie das Haus um 1,4 Meter über den Baugrund an und konnten somit zugleich auch die Bauzeit für das Wochenendhaus für eine Familie aus Nagano deutlich reduzieren.

Konzentrische Kreise

Das Zentrum des Hauses bildet ein kreisrunder Innenhof, der sich halbseitig zum Grundstück öffnet und in seiner Mitte die besagte Tanne aufnimmt. Wie von einem Tropfen, der ins Wasser fällt, ziehen sich von dieser ausgehend konzentrische Kreise, die in den Treppenstufen des Terrasse sowie der Form des Hauses selbst ihren Widerklang finden. Zusammengefügt aus zwei ovalen Betonröhren, die über unterschiedlich große Querschnitte verfügen, schmiegen sich diese um den Hof herum und nehmen dessen kreisrunde Form in ihren Öffnungen zum Hof mit auf. Die Betonschalen erreichen an der Decke eine Breite von jeweils 35 Zentimetern und an den beiden Seiten von jeweils 75 Zentimetern, sodass bei dieser selbsttragende Struktur auf weitere Stützen oder störende Wände verzichtet werden konnte.

Gelandetes Raumschiff

Der Raumeindruck im Inneren gleicht unterdessen mehr dem eines gelandeten Raumschiffs. Durch zwei große kreisrunde Oberlichter, die unweigerlich an Bullaugen erinnern, fällt Tageslicht bis tief in das Haus hinein. Und der von der Decke herab hängende, metallene Kamin, um den sich in kreisrunden Bahnen eine großzügige Sitzgruppe schmiegt, wirkt wie das Periskop auf einer U-Boot-Komando-Brücke. Der Verzicht auf Zwischenwände macht den Innenraum als Ganzes erlebbar und lässt die Natur durch die vollständige Verglasung der Seitenwände sowie der Öffnung zum Hof zu einem integralen Bestandteil der Wohnräume werden.

Verbindung von Architektur und Interieur

Die markante Krümmung der Wände haben die Architekten dabei beschickt zu nutzen gewusst und als „natürliche Stütze“ für Sitzbänke, Sofas oder Ablagen eingesetzt. Auch für die Beleuchtung nehmen die Wände eine entscheidende Rolle ein, dienen sie doch zugleich als ungewöhnliche „Lampenschirme“, in die indirektes Licht aus den Rückseiten der Sitzbänke gelenkt wird. Eine weitere indirekte Beleuchtung, die an den Unterseiten der Sitze hervortritt, unterstreicht die von Kurven bestimmte Linienführung des Interieurs.

Mystische Grotte

Bildet die Sitzgruppe gegenüber dem Innenhof die Visitenkarte des Gebäudes, ist der Übergang zur Küche fließend. Auch sie wird bis auf einen schmalen hölzernen Oberschrank nicht von störenden Einbauten oder überproportionierten Kühlschränken in ihrer Raumwirkung beeinträchtigt und bietet von einem ovalen weißen Esstisch einen direkten Blick in den Wald. Sind Wohnzimmer und Essbereich in der kleineren der beiden Betonschalen untergebracht, befinden sich das Schlafzimmer für die Eltern im Untergeschoss sowie die drei separaten Schlafzimmer für die Kinder im Obergeschoss des größeren Baukörpers und sind ebenfalls zum Garten ausgerichtet.

Halfpipe im Wald

Räumlicher Höhepunkt ist jedoch nicht zuletzt das Gemeinschaftsbad, das sich im Untergeschoss direkt an das Schlafzimmer der Eltern anschließt. Auch bei diesem wurde die Krümmung der Wand mit einbezogen, sodass ein fließender Übergang zum organisch geschwungenen Whirlpool entsteht. Die Anrichte mitsamt einer freistehenden Waschbeckenschale und einem großzügigen beleuchteten Spiegel „wachsen“ scheinbar aus der Wand heraus. Ein Lichtstreifen über dem Whirlpool, der verschiedene Farbstimmungen erzeugen kann, verleiht dem Badezimmer endgültig den Anschein einer mystisch beleuchteten Grotte. Wird diese wohl eher den Eltern als Rückzugsort dienen, wartet auf die Kinder unterdessen eine ebenfalls von den Architekten geplante Halfpipe im Garten. Als würde sich an dieser Stelle die ovale Hülle des Hauses weiter fortsetzen, können die Kinder auf ihr zugleich mit ihren Skateboards ihre Runden drehen – ganz ungestört im Wald.














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Projektarchitekten

Artechnic Architects

www.artechnic.jp

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