Sadomaso in der Halfpipe
Bewohnte Buchstaben: Die fünf extravaganten Suiten des Amstel Botel in Amsterdam.
„Haben Sie schon einmal in einem B geschlafen?“ Mit dieser Frage begann für das niederländische Büro MMX-architecten ein ungewöhnlicher Hotelumbau im Hafen von Amsterdam. Um dem Hotelschiff Amstel Botel eine prägnantere Erscheinung zu verleihen, platzierten sie fünf Suiten auf dessen Oberdeck – in Gestalt der Buchstaben B, O, T, E und L.
Erinnern Sie sich noch an Glücksrad? Die 80er-Jahre-Quizshow, in der von Kandidaten erratene Konsonanten und Vokale von „Buchstabenfee“ Maren Gilzer umgedreht wurden? Was als Klassiker in die Geschichte des Vorabendprogramms einging, erfährt derzeit im Amsterdamer Hafen eine Neuauflage. Die Schriftart ist zwar eine andere. Auch eine Buchstabenfee braucht es nicht mehr. Doch in sechseinhalb Meter hohen Lettern steht dort der Name des Hotelschiffs Amstel Botel geschrieben, als wäre soeben die Lösung an einer gigantischen Fragewand aufgedeckt worden.
Klotz am Kai
Seit zwanzig Jahren liegt das Hotelschiff in Amsterdam vor Anker. Dass es im Gegensatz zu seinen ozeanerprobten Verwandten nur auf Flüssen unterwegs war, fällt auf Anhieb ins Auge. Träge und unelegant wirkt der Klotz mit seinem zur kurz geratenen Bug. Fast könnte man meinen, ein billiges 70er-Jahre-Hochhaus sei an den Liegeplätzen der früheren NDSM-Werft einfach der Länge nach ins Wasser gefallen. Dass die 3-Sterne-Herberge mit ihren 176 Zimmern von außen nicht den besten Eindruck machte, war auch deren Besitzerin Sandra Chedi bewusst. Um die Situation zu verbessern, wandte sie sich an die Architekten Arjan van Ruyven und Michiel van Pelt, die das Büro MMX-architecten in Amsterdam betreiben. Zusammen mit dem Filmemacher und Architekten Jord den Hollander entwickelten sie eine weit schlagkräftigere Strategie, als lediglich dem Rumpf mit einem neuem Farbanstrich zuzusetzen.
Vegas in Holland
„Architektur muss Zeichen setzten“, lautete das Credo, mit dem das Trio Learning from Las Vegas als konkrete Handlungsanleitung umsetzte. Auf das Oberdeck des weißen Dampfers platzierten sie fünf rote, freistehende Buchstaben, die den zusammengezogenen Namen BOTEL schon von weitem sichtbar machen. „Wir haben natürlich keine bestehende Schriftart verwendet, sondern unsere eigenen Buchstaben entwickelt, auch wenn daraus nicht gleich ein ganzes Alphabet wurde“, erklärt Arjan van Ruyven. Die ausladenden Bäuche und Rundungen der Lettern sind nicht etwa der Lesbarkeit geschuldet: Im Inneren verbergen sich fünf extravagante Hotelsuiten, die mit geschwungenen Wänden und Decken sowie kullerrunden Fenstern keine Langeweile aufkommen lassen.
Halfpipe versus Bühne
Weil jeder Buchstabe einen eigenen Charakter besitzt, wurde die Inneneinrichtung jeweils einem anderen Gestalter oder Team übertragen. Auf Dynamik setzt Designer Richard Hutten mit dem Letter B, dessen Boden er in eine skatetaugliche Halfpipe verwandelte. Eine hölzerne Wendeltreppe führt auf eine netzumspannte Zwischenetage, von wo aus eine weitere Treppe direkt ins Schlafzimmer im oberen Bogen des B führt. Der Interieurgestalter Ronald Hooft vom Büro &Prast&Hooft ließ sich für den Buchstaben O vom 1954 erschienenen Sadomaso-Roman Histoire d’O inspirieren. Das vergitterte Rundbett thront wie eine Bühne auf einem freistehenden Zylinder, der diskret das Badezimmer aufnimmt. Zwei große, runde Fenster lassen das Publikum beidseitig teilhaben und können bei Bedarf mit schwarzen Rollos verblendet werden.
Kinosaal versus Ruheinsel
Nautische Motive werden von MMX-architecten im Buchstaben T beschworen. Den oberen, querliegenden Balken begriffen sie als eine holzvertäfelte Kapitänskajüte mit großem Esstisch und hinter einer Sitznische verstecktem Klappbett. Der Clou des Raums ist nicht nur die lange Küchenzeile, die ein rundes Fenster mit geschwungener Arbeitsfläche umspielt. Auf der gegenüberliegenden Raumseite kann eine über zwei Meter hohe, lederbezogene Scheibe direkt vor das große Fensterrund gerollt werden, um dieses blickdicht zu verschließen.
Ganz in seinem Metier blieb Filmemacher Jord den Hollander und verwandelte das Innere des Buchstaben E in den kleinsten Kinosaal der Niederlande – inklusive Lounge und komplett in blau gehaltenen Wänden. Puristisch zeigt sich das Innere des Buchstaben L, das die japanisch-niederländische Architektin Moriko Kira als Insel der Ruhe konzipierte. Das Bett ruht auf einer weißen, im Raum schwebenden Kapsel, die mit einer schwungvollen Treppe verschmilzt und einen kontemplativen Rückzugsort mit Panorama auf den Amsterdamer Hafen bildet.
Poppige Krone
Für die Herstellung der Buchstaben konstruierten MMX-architecten ein Sandwich aus EPS-Schaum, das außen mit Polyester-Fiberglas verstärkt und innen mit selbsttragendem Gips verputzt wurde. „Es war uns wichtig, dass es keine sichtbaren Rahmen gibt. Auch sollten die Buchstaben frei platziert werden können, als hätte eine riesige Hand mit ihnen gespielt“, erklärt Arjan van Ruyven. Um diesen Effekt zu erzielen, stehen die Lettern nicht schnurstracks in einer Reihe, sondern wurden leicht zueinander verdreht – genau wie an einer hastig aufgelösten Fragewand im Glücksrad-Quiz.
Dem Dach des weißen Hotelschiffes setzen die Buchstaben damit nicht nur eine poppige Krone auf. Sie lassen entfernt an die Schornsteine großer Ozeandampfer denken, die früher just an dieser Stelle von der Werft NDSM produziert wurden – und geben so dem klobigen Binnendampfer eine Idee von weiter Welt mit auf den Weg. Das Architekten-Filmemacher-Trio hat damit genau ins Schwarze getroffen.