Alessi: Oggetti e Progetti
Ettore Sottsass, Richard Sapper, Achille Castiglioni, Aldo Rossi, Philippe Starck, Enzo Mari, Stefano Giovannoni, David Chipperfield, Jasper Morrison – wer eine Ausstellung über den italienischen Hersteller Alessi besucht, fühlt sich wie in einem Designer-Panoptikum. Und dementsprechend dichtes Gedränge herrschte letzten Donnerstag in der Münchner Neuen Sammlung, als Alessandro Mendini und Alberto Alessi höchst persönlich durch die Ausstellung „Alessi – Progetti e Oggetti“ führten. Designlines war vor Ort und hat sich umgeschaut nach Dingen und Projekten, die illustre Designernamen geschaffen haben.
Alessandro Mendini – von Museumsdirektor Florian Hufnagl in seiner Eröffnungsrede als der „intellektuelle Unruhegeist des italienischen Designs par excellence“ bezeichnet – arbeitet seit den späten siebziger Jahren als Designer, Architekt und Berater für Alessi. Und er hat nun den Ausstellungsparcours im Untergeschoss der Pinakothek der Moderne gestaltet. Dieser fällt nicht nur durch die ausgestellten Artefakte, sondern auch durch die extravagante Gestaltung der Vitrinen auf. Fast expressionistisch in der Formgebung und wie den (gestalterisch) gefürchteten Achtzigern entsprungen, leuchten sie in knalligen Farben wie Orange, Blau und Grün. In beziehungsweise auf den Vitrinen: einzelne Designobjekte wie Stefano Giovannonis OrienTales, Peter Zumthors Pfeffermühlen „PZ01“oder die Metallkörbe La Stanza dello Scirocco von Mario Trimarchi.
Alles neu: Prototypen
Die raumbestimmenden Elemente jedoch sind die zwei acht Meter hohen Paternoster sowie eine, in den Raum geschobene und als Raumteiler fungierende weiße Wand mit Aussparungen in Bogenform. Diese Bögen sind blau hinterleuchtet und bergen neue Kreationen aus dem Hause Alessi: zehn Prototypen. Sie gehören zum „Alessi der Zukunft“ genannten Metaprojekt. Was sich hinter dem Begriff „Metaprojekt“ verbirgt? „Eine Art hypothetisches, soziokulturelles Szenario“, so Alberto Alessi. Für die einzelnen Metaprojekte werden Designer eingeladen, sich mit bestimmten Fragestellungen zu beschäftigen und dazu Produkt-Prototypen anzufertigen, die dann – im besten Fall – zur Serienreife gelangen. Unter den aktuellen Prototypen befindet sich ein Regal von Marcel Wanders für die beliebten Alessi-Miniaturen, ein Tafelservice namens „Ovale“ von den Brüdern Bouroullec, die Topfserie „Shiba“ von Naoto Fukasawa sowie eine mit Edelsteinen geschmückte Armee von Korkenziehern namens „Anna Étoile“. Üblicherweise für den normalsterblichen Verbraucher unter dem Namen „Anna G.“ ohne Juwelen-Ornament in den Alessi-Shops zu erwerben, entwarf diese limitierte Serie ebenfalls Alessandro Mendini.
Kampf mit den (Vor-)Urteilen
„Anna G.“ ist ein gutes Beispiel für den Humor, der vielen Alessi-Produkten innewohnt. Genau dieser aber veranlasst manch einen Design-Puristen zum harten „Kitsch, Konsum, kauf ich nicht“-Vorurteil, das sich bis heute hartnäckig hält. Dabei wird jedoch oft vergessen – man ist geneigt zu sagen: schlichtweg aus Unwissenheit –, dass Produkte von Alessi ein breites Spektrum von Designkonzepten und -ideen abdecken und ihrer Zeit zuweilen weit voraus eilen. Seit 2006 hat das Unternehmen seine Produktpalette in drei Marken unterteilt, die eine ganze Design-Philosophie umschreiben: „Officina Alessi“ als Marke für exklusive Produkte, Einzelstücke und limitierte Serien, „Alessi“ mit der Serienproduktion für den Haushalt und „A di Alessi“ mit Produkten, die sich (mit moderaten Preisen) an eine größere Käuferschicht wenden – Marketing muss eben auch hier sein.
Ideen- und Kreativfabrik im italienischen Hinterland
Alessi hat sich seit Gründung des Unternehmens von einem bescheidenen Familienbetrieb zu einer weltweit bekannten Marke entwickelt. Seit Anbeginn ist das Unternehmen in einem Bergdorf namens Crusinallo am Lago di Orta ansässig. Das Handwerk der Zinngießer, Kupferschmiede und Holzverarbeitung hat dort seit Jahrhunderten Tradition. Fertigte man in den zwanziger und dreißiger Jahren bei Alessi vorwiegend Gebrauchsgegenstände aus Kupfer, Messing oder Alpaka, entstand 1945 mit dem „Bombé“ getauften und von Carlo Alessi entworfenen Tee- und Kaffeeservice das erste Produkt des Unternehmens mit explizitem Designanspruch. Damit war der Startschuss gegeben zu einer fulminanten Karriere in der Welt des Designs. Katalysator dieser Entwicklung ist Alberto Alessi, der 1970 als junger Mann in das Familienunternehmen eintrat. Als studierter Jurist Präsident und Vorstand für strategisches Marketing, Kommunikation und Design, versteht er das Unternehmen als Forschungslabor, das Raum für Experimente lässt. Dazu gehört nicht nur die Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen Designern und Designideen, sondern auch das Forschen und Vordringen in bis dato fremde Produktbereiche. Und so entstand in den letzten Jahren nicht nur die Badkollektionen Il Bagno Alessi und Il Bagno Alessi dOt, sondern auch die Küchenlinie La Cucina Alessi und in Zusammenarbeit mit Fiat gar ein Automobil namens „PandaAlessi“.
Gestern, heute, morgen
Die Münchner Ausstellung begibt sich auf eine Reise, blickt zurück auf die letzten dreißig Jahre, Alessi immer im Fokus. Dabei will die Schau jedoch keine reine Produktpräsentation und schon gar nicht nur in die Vergangenheit gerichtet sein, sondern die Gedanken, Ideen und Innovationen hinter den Produkten vorstellen, oder wie Mendini sagt: „Ich war immer der Ansicht, dass unser wahres Wesen dem eines industriellen Forschungslabors für angewandte Kunst (dem heutigen Design) entspricht. Unsere Aufgabe besteht darin, kontinuierlich und unermüdlich zu vermitteln: zwischen den fortschrittlichsten Instanzen der zeitgenössischen, internationalen Kreativität im Produktdesign einerseits und den Erwartungen des Publikums andererseits. Unsere – ihrem Ursprung nach so typisch italienische – Arbeit wird von der Tatsache bestimmt, dass wir uns mit einer der sogenannten kommerziellen Künste von heute befassen.“
Zu den Ausstellungshighlights in München gehören weitere Metaprojekte, die – einer umlaufenden Bühne gleich – auf den Regalen der Paternoster präsentiert werden. Sämtliche, jemals von verschiedenen Architekten entworfenen Exemplare der beiden Serien „Tea & Coffee Piazza“ (1983) sowie „Tea and Coffee Tower“ (2003) drehen sich wie ein Perpetuum Mobile. Und so steht man erstaunt vor dem Fruit Basket von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (SANAA) oder erfreut sich am Tea & Coffee Tower von Wiel Arets. Auf dem zweiten Paternoster ein ganz anderes Thema: Neben großformatigen Fotografien aus der Familiengeschichte des Unternehmens werden 100 Autorenvasen präsentiert. Jede fällt – bei gleicher Form – durch eine unterschiedliche Dekoration auf. Kein Wunder, dass das im Jahr 1992 von Mendini angeregte Metaprojekt „100% Make Up“ getauft wurde. Auf dem Weg vom Prototyp zum Massenprodukt – diese Entwicklung wird beispielhaft dargestellt an Richard Sappers Espressokocher „9090“. Hier kann der Besucher die einzelnen Etappen der Gestaltung anhand von Holzmodellen nachvollziehen.
Alles nur ein Spiel
Nicht nur Kinder werden in der Ausstellung ihre Freude haben an einem ganz speziellen Objekt: Ein veritables Miniatur-Karussell hat Mendini gestaltet, samt musikalischer Jahrmarktsuntermalung. Statt Pferdchen, Motorräder, Kutschen und Elefanten drehen sich hier jedoch winzige, maßstabsgetreue Haushaltsgeräte von Alessi und als Krönung hat Mendini seinem „Giostra delle Maraviglie“ Philippe Starcks ikonenhafte Zitruspresse aufgesetzt – ganz nach dem Motto: Design geht überall!
Weitere Informationen
Die Ausstellung „Alessi – Progetti e Oggetti“ ist bis zum 19. September 2010 in der Neuen Sammlung in München zu sehen.
Zur Ausstellung ist ein von Italo Lupi gestalteter Katalog erschienen:
Chiara Alessi (Hrsg.):
Oggetti e Progetti – Alessi: Storia e futuro di una fabbrica del design italiano
(Geschichte und Zukunft einer italienischen Design-Schmiede)
Verona (Electa) 2010
171 Seiten, 35 Euro
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