ambiente 2013: Less is a bore
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Es darf gern auch etwas mehr sein. Mehr Form. Mehr Farbe. Mehr Dekor. Im Ausstellungsbereich dining auf der Frankfurter Konsumgütermesse ambiente war es nicht zu übersehen: Statt less is more ist wieder Opulenz gefragt. Gestern schloss die größte Konsumgütermesse der Welt ihre Pforten – mit einem leichten Besucherplus. Wir haben uns unter den 2186 Ausstellern umgesehen und sind zurückgekommen mit üppigen Blumenranken, Farbexplosionen, technischen Aha-Erlebnissen und anderen Überraschungen aus der Welt des gedeckten Tischs.
Bereits am ersten Messetag herrschte dichtes Gedränge in den Hallen, und die Stimmung an den Ständen war dementsprechend positiv. Das mag auch daran liegen, dass die Deutschen am liebsten zuhause essen und ihr Geld gern für Porzellan, Besteck, Pfannen und Töpfe ausgeben. Das jedenfalls ergab die Studie „Deutschland deckt den Tisch“ der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Doch auch wenn die Tischkultur nach wie vor einen hohen Stellenwert einnimmt, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Konsument laut Studie im Durchschnitt lediglich 141 Euro im Jahr für den gedeckten Tisch ausgibt.
Tischkultur im Wandel
Wie verschwindend gering diese Summe ist, wird deutlich, wenn man sich die Produktpreise ansieht: Da kostet ein hochwertiger Porzellanteller gern einmal 50 Euro, ein Trinkbecher aus Pressglas mindestens zehn und Messer und Topf schlagen schnell mit je 100 Euro zu Buche. Kein Wunder, dass sich der Konsument zweimal überlegt, was er kauft. Und öfter zu Waren aus China oder dem schwedischen Möbelhaus greift. Das mag man bedauern und den guten alten Zeiten des Made in Germany nachtrauern. Weitaus wirkungsvoller für die Unternehmen scheint jedoch die Erschließung neuer Geschäftsfelder zu sein. Ob die Lösung gegen sinkende Absatzzahlen allerdings sein kann, die Fertigung einfach ins Ausland zu verlagern – wie es der dänische Hersteller Stelton mit seiner legendären Cylinda-Line von Arne Jacobsen getan hat, die nun in China gefertigt wird – sei dahingestellt. Passender scheint, dem Abwärtstrend eine überarbeitete Produktpalette entgegenzustellen.
Gegensteuern
Kahla beispielsweise ist geschickt darin, neues Terrain zu erobern. Bewegt sich der Thüringer Porzellanhersteller mit seiner Kollektion nicht nur im mittleren und damit besser verkäuflichen Preissegment – die Stücke lassen sich außerdem gut kombinieren, so dass ein teures Komplettservice überflüssig wird. Zudem investiert das Unternehmen seit Jahren in die Förderung des Nachwuchses und schärft so sein Designprofil. Forciert von Kahla-Chefdesignerin Barbara Schmidt, entsteht deshalb immer wieder Überraschendes, wie die Kollektion Kahla Atelier zeigt. Viele Hersteller gehen indes einen anderen Weg: Sie ergänzen ihr bestehendes Sortiment mit umfangreichen Geschenkkollektionen, die dann einen Großteil des Umsatzes ausmachen. Deshalb hat Fürstenberg jedes Jahr zu Ostern einen neuen Porzellanhasen im Programm und Rosenthal ausgewählte Vasen aus der Studio-Line im Miniaturformat aufgelegt.
Auch Villeroy & Boch setzt auf Geschenke und präsentierte am weitläufigen Messestand zahlreiche Glas- und Porzellanaccessoires. Designer Christian Haas ließ es sich nicht nehmen, seinen aktuellen Entwurf Artesano Original – der weißes Porzellan formschön mit Akazienholz, Schiefer und Kork kombiniert – persönlich vorzustellen, während ein paar Schritte weiter mit der farbenfrohen Mix&Match-Kollektion Lina ein weiterer Schritt in Richtung Living & Lifestyle gemacht wurde. Dazu gehört, dass der Hersteller aus Mettlach auch auf andere Materialien wie Textilien zurückgreift. Ein ähnliches Konzept verfolgt Rosenthal mit seiner Marke Thomas und hat deshalb das Bestseller-Porzellanservice Sunny Day um Glasartikel, farbige Holztabletts und Textilien wie Schürzen und Geschirrtücher ergänzt.
Less is more war gestern
Als Ausweitung der Kochzone könnte man den Trend bezeichnen, die Produktpalette um Textilien, Leuchten und Kleinmöbel zu erweitern. Zu entdecken war er neben Villeroy & Boch und Thomas etwa bei Menu, Rosenthal und Kate Spade. Nicht immer jedoch wird das Konzept erfolgreich umgesetzt. Das war auch bei Alessi zu sehen, denn der italienische Hersteller hat neuerdings ebenfalls Leuchten und Kleinmöbel im Programm. Beispielsweise den tragbaren Tisch Pick-up des dänischen Designers Jakob Wagner, der zugleich als Zeitungsständer fungiert. Oder aber Eero Aarnio. Neben dem lustigen, quietschgelben Duck Timer in Entenform hat der finnische Designer mit CrissCross eine Chimäre aus Obstkorb, Zeitschriftenablage und Minimöbelstück aus Aluminium entworfen – stolze 51 mal 51 Zentimeter groß. Während das ineinander stapelbare Messbehälter-Set Tower von Monica Förster in seiner Form nicht nur zeitlos schön anzusehen, sondern zugleich platzsparend und multifunktional ist, sind die erweiterte Kochtopfserie Dressed von Marcel Wanders oder das neue Tellerset Acquerello von Guido Venturini nur wenig überzeugend. Diese bestenfalls als dekorativer Firlefanz zu bezeichnenden Schnörkel sollen Design sein? Gut, mag man sagen, Alessi polarisiert wie eh und je.
Und es wurde bunt
Doch kündigte sich bei den Italienern ein Trend an, der überall in Frankfurt zu sehen war: Ohne kräftige Farben und Dekore geht in diesem Jahr gar nichts – egal in welchem Produkt- oder Preissegment. Denn eine Farbe lässt sich vergleichsweise leicht verändern, während die Entwicklung einer neuen Form viel teurer ist. Und das ist gerade für kleinere Hersteller das eigentliche Problem. In den Hallen jedenfalls ging es bunt zu: Der japanische Hersteller Kinto gefiel mit seinen Thermotassen Juke, Le Creuset ist weiterhin der unangefochtene Star am Farbwelt-Himmel, Rosti Mepal setzt bei seinen Kunststoffprodukten auf Zweifarbigkeit und der belgische Hersteller Val Saint Lambert ließ seine wertvollen Kristallobjekte waldgrün funkeln. Neben Farben spielen auch Dekore eine wichtige Rolle, sogar bei Kochtöpfen – wie Fissler mit seiner Designstudie Asian Art Edition zeigte. Gern darf es auf Tellern und Tassen auch mal orientalisch-üppig zugehen wie Samarkand von Villeroy & Boch oder Rajasthan von Peter Kempe für Fürstenberg beweisen. Während hier Elefanten schreiten und Pferde galoppieren, fliegen kunterbunte Schmetterlinge von Christian Lacroix bei Vista Allegre über Schalen und Vasen oder zieren hauchfeine Blüten und Ranken bei Rosenthal das Bone China. Der Hersteller aus Selb hat für das Dekor Fleurs Sauvages der neuen Form Brillance mit der Schweizerin Regula Stüdli gar eine Textildesignerin engagiert.
Ideen braucht das Land
Waren bei den meisten Herstellern lediglich Variationen bereits vorhandener Produkte oder neue Dekore und Farben zu sehen, zeigte eine Entdeckung der ambiente, wie man es besser machen kann. Abseits der üblichen Designpfade präsentierte die türkische Designerin Defne Koz in Halle 4.2 nämlich eine ganz besondere Idee. Sie gestaltete nicht nur einen blendend weißen Messestand für den deutschen Hersteller Mitterteich – inzwischen in türkischem Besitz – sondern auch alle auf Tischen und Regalen ausgestellten Exponate. Denn ihre Porzellankollektion 1400° umfasst unglaubliche 150 Einzelteile. Ebenfalls völlig in Weiß gehalten, mutet 1400° in seiner klaren Form fast japanisch an. Zwei Jahre und eine Menge Überzeugungsarbeit habe die Umsetzung der Idee gekostet, erzählte die Designerin am Messestand. Nun, der Aufwand hat sich gelohnt, zumal die Serie 25 Prozent günstiger ist als die anderen Kollektionen von Mitterteich. Auch so lässt sich ein jüngeres Publikum erreichen.
Was bleibt von der ambiente 2013? Neben Farben und Dekoren nichts wirklich Aufsehenerregendes. Aber vielleicht ist es ja so, dass das Rad eben nicht jedes Jahr neu erfunden werden kann. Und doch bleibt der etwas fade Beigeschmack, dass man all diese – zugegebenermaßen zuweilen schönen Dinge – nicht wirklich braucht. Oder was halten Sie von einem Kochtopf, mit dem man ohne Smartphone überhaupt nicht mehr kochen kann?
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