Auf Gio Pontis Spuren
Fliesen gehörten lange Zeit zu den wichtigen Bestandteilen der – insbesondere italienischen – architektonischen Moderne. Ihr wichtigster Vertreter war der Mailänder Architekt und Designer Gio Ponti; sein facettenreiches Werk durch die Nutzung von Keramikfliesen im Innen- und Außenraum geprägt. Die Keramikfliesen rückten später allerdings wieder in den Hintergrund des Wohnraums und wurden hauptsächlich wegen ihrer praktischen Vorzüge geschätzt. Heute wird dieses rein zweckgebundene Denken wieder durch ein wachsendes Interesse an ihren Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten abgelöst, besonders von Seiten renommierter Architekten und Designer. Denn: Egal ob per Hand bearbeitet oder mit dem Laser dekoriert, Fliesen versprechen eine endlose Originalität.
Die bevorzugte Ausdrucksweise des Mailänder Architekten und Designers Gio Ponti war seit jeher die Keramik. Er begann in den 1920er Jahren mit Keramik- und Majolika-Arbeiten im Stil des Novecento und widmete sich später Möbeln, Innenausstattungen und Gebäuden aller Art – von kleinen Wohnhäusern über Hotels bis hin zu Bürogebäuden und Wolkenkratzern. Besonders interessierte ihn dabei der Wohnraum. Dafür suchte er nach neuen Lösungen und schuf farbenfrohe, heitere und sogleich elegante Räume, für die er häufig Keramikfliesen verwendete, die er selbst auch entwarf. Ende der 1940er Jahre gestaltete er beispielsweise für seine „Ville al Mare“ die aus sieben Varianten bestehende und von dem italienischer Hersteller Gabbianelli gefertigte Fliesenserie „Multipref“, die zu seinen ersten Versuchen gehörte, mit abstrakten geometrischen Zeichnungen eine Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten zu schaffen.
Diese Idee entwickelte Ponti im Laufe seiner Karriere immer weiter und entwarf Mitte der 1960er Jahre für die Innen- und Außenräume des Hotels „Parco dei Principi“ in Sorrent insgesamt 30 verschiedene Bodenfliesenmotive, die später teilweise bei Ceramica D’Agostino in Produktion gingen. Aber auch in seiner Architektur kamen Fliesen wiederholt zum Einsatz. Für die Fassade des Pirelli-Hochhauses in Mailand gestaltete er beispielsweise Mitte der 1950er Jahre die Relieffliesen „Diamanti“, produziert von Ceramiche Joo.
Facettenreiche Werke
Die Idee, Keramik in den Innen- und Außenraum zu bringen und zu einem wichtigen zeitgenössischen Bestandteil der gesamten Gestaltung werden zu lassen, spiegelte sich auch in den Projekten vieler Kollegen Pontis wieder – wie etwa bei dem Mailänder Luigi Caccia Dominioni und dessen Musterbeispiele für eine metropolitane Architektur. Dennoch rückte ab Ende der 1970er Jahre die Keramik immer weiter in den Hintergrund. Zwar gab es weiterhin Projekte, die die gestalterischen Vorzüge der Keramik hervorheben – wie zum Beispiel Enzo Maris Keramikfliesenserie Traccia von 1978, die wie Pontis „Diamanti“ auch mit der Dreidimensionalität spielt – doch verschwand die Keramik immer mehr aus dem allgemeinen Wohnraum und endete vorwiegend in der Küche oder dem Badezimmer; dies weniger aus dekorativen Gründen, sondern weil sie pflegeleicht und wasserfest ist. Hinzu kamen die modernen, einförmigen Keramikfliesen mit neutraler Qualität, die das praktische Image noch verstärkten.
Dieses reine Nutzdenken wurde erst in den letzten Jahren durch eine wachsende Nachfrage nach traditionell handgefertigten und modernen, oft großformatigen Keramikfliesen abgelöst, die oft eine reizvolle Ergänzung zu zeitgenössischen Bad- und Küchenausstattungen bieten. Aber nicht nur, denn so wie im Bad und in der Küche neben der klassischen Fliese immer öfter andere Materialien wie Holz oder Putz Verwendung finden, erobern keramische Erzeugnisse zunehmend Wand- und Bodenflächen in anderen Wohnbereichen.
Material und Textur, Fugen und Dekore
Besonders Architekten und Designer haben die unzähligen Gestaltungsmöglichkeiten der Keramik für sich neu entdeckt. Das Mailänder Architekten- und Designerpaar Roberto und Ludovica Palomba beispielsweise stellte auf der Badmesse Cersaie im Oktober 2009 in Bologna die großformatige Fliesenserie „Pueblo“ vor, die mit ihrer porösen Oberfläche an die Mauern der Gebäude des mexikanischen Architekten Luis Barragan erinnert. Naoto Fukasawa wiederum ließ sich für seine gerade während der Kölner Möbelmesse präsentierten Kollektion „Linen“ von der Textur inspirieren, die Baumwolle auf Tofu hinterlässt. „Ich habe mir vorgestellt, dass das Aufbringen eines Stoffes auf einen harten Untergrund wie der Keramik, das kalte und harte Gefühl des Materials entschärft. Ich wollte etwas schaffen, das so fein strukturiert ist, dass es aussieht wie ein nasser Stoff, der auf einer Oberfläche haftet,“ so der japanische Designer.
Und auch Patricia Urquiola spielt mit Oberflächenstrukturen. Ihre Kollektion „Déchirer“ ist eine Anlehnung an abblätternden Putzschichten und ist reich an Verzierungen; so sind je nach Lichteinfall und Perspektive die filigranen Muster der matten Oberfläche des keramischen Industriesteins an Boden beziehungsweise Wand sichtbar. Eine ähnliche Inspirationsquelle wählte auch der belgische Architekt Vincent van Duysen: Für „DRY“ – Don’t Repeat Yourself, zu Deutsch: Wiederhole dich nicht – nahm er die unregelmäßigen Muster von Rissen alter Farbe, Putz oder auch getrockneter Erde als Ausgangspunkt und schuf eine Fliesenserie, die sich nicht schematisch wiederholen soll, sondern mit ihrer sechseckigen Form und den Fugen spielt. Ein anderer Designer, der gerne mit den Fugen spielt, ist Diego Grandi. Der in Mailand ansässige Gestalter entwarf eine Kollektion – „Mauk“, benannt nach MC Eschers Spitznamen –, die eben nicht durch die gebräuchlichen quadratischen und rechteckigen Formen, sondern durch Dreiecke, Rauten und Trapeze charakterisiert ist.
Andere Designer reizt der traditionellere Charakter der Keramik – figurativ und illustrativ. Der holländische Designer Marcel Wanders beispielsweise dekorierte die Fliesenkollektion „Carmen“ mit einer floralen Serigraphie aus Dukatengold; sein Landsmann Tord Boontje schuf schon vor fünf Jahren einen Kompositionssatz mit zwölf Blumendekors und sechs einzelnen, gemischten Blumensubjekten, die er „Primavera“ – zu Deutsch: Frühling – nannte und die eine Vielzahl an Anordnungen zulassen – ganz im Sinne Gio Pontis.
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