Auf Knopfdruck Feuer
Es knistert und flackert im Wohnzimmer plötzlich wie in alten Zeiten. Mit dem Rückzug ins Private liegt auch der Kamin wieder im Trend. Doch statt rustikalem Berghüttencharme erzeugen die neuen Feuerstellen nicht nur einen schlüssigen Übergang zur Architektur. Sie gehen ebenso eine Liaison mit Tischen, Hockern oder Sideboards ein und werden erstaunlich mobil.
Das Feuer ist die älteste Show der Welt. Über Jahrtausende schon starrten die Menschen in die lodernden Flammen, deren endlos rhythmischer Tanz die Blicke wie Hypnose zu fesseln vermochte. Bis heute ist diese Faszination geblieben, wenngleich in vielen Fällen der Fernseher die Rolle dauerhafter Berieselung übernommen hat. Und in der Tat: Die Bilder aus der Flimmerkiste hinterlassen an den Wänden ein flackerndes Licht- und Schattenspiel, das selbst von der Straße aus erahnen lässt, welches Genre in welchem Haushalt gerade geschaut wird.
Auch wenn der Fernseher seine Rolle als Feuerstelle der Gegenwart noch immer tapfer zu verteidigen vermag: Er bekommt spürbar Konkurrenz von einer neuen Generation von Kaminen, die ganz und gar nicht in holzfällerischem Gewand daherkommen. Ob als minimalistische Kuben, die sich frei durch den Raum tragen lassen oder als klassische Einbauten: Sie betreten die Wohnung nicht als Fremdkörper, sondern gehen eine fließende Verbindung mit der Architektur und den Möbeln ein.
Digitalisierte Steinzeit
Dass die Rückkehr der Feuerstelle den Fernseher nicht vollends verdrängen kann, haben auch die leidenschaftlichsten Kaminverfechter eingesehen – und kurzerhand Freundschaft geschlossen. Wie die Brücke zwischen Steinzeit und Gegenwart gelingen kann, zeigt das Modell Scenario des italienischen Ofen- und Kaminherstellers MCZ. Als bislang einziger Kamin auf dem Markt verbindet dieser hinter einer Scheibe aus feuerfestem Glas einen 37-Zoll-Flachfernseher von Loewe mit einem gas- oder holzgetriebenen Kamin.
Dem Benutzer bleibt eine Entweder-Oder-Entscheidung erspart: Da der Fernseher die rechte und die Feuerstelle die linke Seite des an der Wand montierten Boards bespielt, lassen sich beide Ereignisse sogar in Stereo verfolgen. Statt langweilige Werbepausen mit endlosem Umschalten zu überbrücken, entschädigt der Blick in die lodernden Flammen, die in der holzbetriebenen Version sogar den typischen Knisterton mit einspielen. Futuristisch wirkt dagegen die Fernbedienung, mit der die gasgetriebene Version nicht nur an- und ausgeschaltet, sondern ebenso auf eine bestimmte Uhrzeit programmiert werden kann. Ein praktisches Extra, mit der die moderne Steinzeithöhle schon vor dem Öffnen der Haustür für das richtige Ambiente sorgt.
Wenn die Feuerstelle mit dem Möbel
Ist es hierbei vor allem der visuelle Effekt, der Kamin und Fernseher in Einklang bringt, nähern sich die neuen Feuerstellen dem Wohnzimmer ebenso auf räumlichem Wege. Ihr Ziel: Eine möglichst unauffällige Verschmelzung mit den Möbeln, um nicht als Eindringling im Wohnzimmer wahrgenommen zu werden. Ganz in diesem Sinne entwickelte Peter Maly für den westfälischen Kaminhersteller Conmoto das System Balance, das einen freistehenden Kamin aus Stahl zu beiden Seiten um passende Sideboards, Regale, Bänke und Ablagen ergänzt. Die aus Nussbaum oder Eschenholz gefertigten Möbel können als zusammenhängendes Band an die Wand montiert werden oder kommen freistehend auf schlanken Edelstahlfüßen auch ohne feste Montage zum Einsatz. Möglich wurde die Liaison aus Kamin und Möbel durch unsichtbare Luftkammern, die die Feuerstelle seitlich umklammern und die Abwärme lediglich nach oben und nicht mehr über die Seiten abgeben.
Während die Montage von Balance noch immer an die Wand gebunden ist, entwickelte Werner Aisslinger für Conmoto den transportablen Kamin Dots. Dieser kommt in der Gestalt eines freistehenden Zylinders daher, der von einer Hülle aus verzinktem und pulverbeschichteten Stahl umschlossen wird. Eingelassene Griffe erlauben einen leichten Transport, während ein Ring aus feuerfestem Glas die Flammen vor allzu starkem Wind beschützt. Der gasbetriebene Kamin kann nicht nur innerhalb der Wohnung verwendet werden, sondern ebenso auf dem Balkon, der Terrasse oder im Garten. Eine weitere Besonderheit: Ergänzt wird die Feuerstelle um passende Hocker, die die Formensprache des Kamins aufgreifen und an ihrer Oberseite über abnehmbare, runde Sitzkissen verfügen.
Rotierende Flammenherde
Konnte sich die Feuerstelle auf diese Weise bereits unauffällig unter die Sitzmöbel mischen, entwickelte Arik Levy mit Fire Coffee eine domestizierte Form des Lagerfeuers. In die Mitte seines bodennahen Couchtisches, der vom polnischen Kaminhersteller Planika produziert wird, platzierte er eine zylindrische Feuerquelle, die von einer gläsernen Tischplatte umschlossen wird. Der Reiz des flammenden Möbels liegt nicht nur in dem verbindenden Gefühl, mit Freunden gemeinsam um ein Feuer zu sitzen. Auch muss der Blick von den Flammen nicht abgewendet werden, um die Gesprächspartner anzuschauen. Dass der Kamin frei im Innenraum verwendet werden kann und keinen gesonderten Abzug benötigt, verdankt er seinem Brennstoff: Fanola ist ein Bioethanol aus pflanzlicher Herkunft, das weder Rauch, Eigengeruch noch schädliche Abgase verursacht.
Der einzige Nachteil: Es fehlt das charmante Knistern, das ausschließlich beim Verbrennen von Holz entsteht. Dass hierfür in Innenräumen ein Schornstein benötigt wird, kann aus gestalterischer Perspektive sogar hilfreich sein. So ragt der futuristisch anmutende Kamin Gyrofocus, den Dominique Imbert für Focus entwarf, bis zu acht Meter von der Decke herab und schwebt frei über dem Boden. Die seitliche Öffnung der runden Feuerstelle kann auf diese Weise um 360 Grad gedreht und je nach Bedarf auf das Sofa, den Esstisch oder eine andere Stelle im Wohnzimmer ausgerichtet werden.
Architektonische Annäherung
Einen fließenden Übergang zur Wand schafft unterdessen der Kamin Goya von MCZ. Er verfügt über eine gebogene Front aus gerostetem und mit Wachs behandeltem Stahl, die sich von oben bündig aus der Wand herausschält und zum Boden einen vorgelagerten Stauraum zum Aufbewahren des Holzes schafft. Die Feuerstelle erhält auf diese Weise eine zurückhaltende und dennoch prägnante Erscheinung, die sie vom typischen „Blick in die Röhre“ erholsam unterscheidet. Eine Umkehrung des Konstruktionsprinzips entwickelte derweil der italienische Bad- und Kaminhersteller Antonio Lupi mit seinem Programm Canto del Fuoco von Domenico De Palo. Der ebenfalls in die Wand montierte Kamin erweckt den Eindruck, als würde die Mauer eine Krümmung nach Innen vollziehen. Möglich wird dieser Effekt, indem eine gebogene, stählerne Abzugshaube gemeinsam mit der Wand neu verputzt wird.
Dass eine Ecke zugleich einen Raum definiert, macht sich der Kamin Degas von MCZ geschickt zunutze. Eine vorgelagerte Bodenplatte aus geschliffenem Kanfanaro-Naturstein dient als Ablage für Brennholz oder spielt als tektonische Platte zwischen Feuerstelle und Fußboden eine vermittelnde Rolle. Die Strategie der neuen Kamine ist damit klar bestimmt: Sie nehmen das Wohnzimmer gleich auf mehreren räumlichen Ebenen gezielt in Angriff. Fortsetzung folgt.
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