Stories

Blick in die Zukunft - Future Forum 2008

von Norman Kietzmann, 22.10.2008


Auf der Spur der Trends von morgen fand vom 15.-17. Oktober das 5. Future Forum in Berlin statt, ein von Design Hotels initiiertes Treffen von Designern, Architekten, Trendforschern, Hoteliers und Gastronomen. Unter dem Motto „human design“ stand diesmal die Verbindung von Mensch und Gestaltung im Mittelpunkt, zu der hochkarätige Redner in ihren Vorträgen und Präsentationen Stellung nahmen. Ihr Plädoyer: Schluss mit den anonymen, austauschbaren Hotelketten des 20. Jahrhunderts und mehr Mut zu gestalterischer Individualität. Die Gäste von morgen wollen überrascht und vor allem verführt werden.


Schon der Auftakt des diesjährigen Future Forums, das nach London, Shanghai, Wien und Barcelona nun zum ersten Mal in Deutschland stattfand, begann in einem ungewöhnlichen Rahmen: hoch oben im Telecafé des Berliner Fernsehturms, wo die insgesamt 250 internationalen Teilnehmer beim Blick über die Stadt zum ersten Mal aufeinander trafen. Einige waren sogar eigens aus Indien, Neuguinea oder den USA angereist, um sich über die gegenwärtigen Tendenzen im Hoteldesign zu informieren, das – wie die rege Teilnahme beweist – auch aus wirtschaftlicher Sicht immer mehr an Bedeutung gewinnt. Weiter ging es an den beiden darauf folgenden Tagen schließlich in der Halle am Wasser, die normalerweise als Heimstätte zahlreicher Galerien zwischen Hamburger Bahnhof und der markanten, langgestreckten Ausstellungshalle der Sammlung Flick dient. Wurden am zweiten Tag in kleinen Workshops Antworten zu wirtschaftliche Fragen gegeben, stand der Tag zuvor allein im Zeichen des Designs.

Die neue Rolle der Frauen

Der Einstieg war mit der Präsentation der beiden Londoner Trendforscher Christopher Sanderson und Martin Raymond, besser bekannt unter ihrem Büronamen „The Future Laboratory“, klug gewählt. Verpackten sie doch ihre Aussichten in die Zukunft in eine anschauliche, temporeiche und humorvolle Diashow, die selbst früh morgens das Eis mit den Zuhörern brechen ließ. Ihre erste These: Männer werden in der Gesellschaft von morgen nutzlos, sind sie doch spätestens seit der künstlicher Befruchtung ihrer biologischen Rolle enthoben. Und auch die des Ernährers erweist sich nach aktuellen Studien, in denen der Anteil von Männern und Frauen an Studienplätzen als auch im Umgang mit neuen digitalen Medien untersucht wurde, als Auslaufmodell. Das Ergebnis: bereits 2020 werden 53 Prozent aller Millionäre weiblich sein und die Entscheidungsträger der Zukunft stellen. Das Design hat demnach weit mehr als nur auf rein funktionale oder auf Kraft und Leistung bezogene Aspekte zu setzen. Die Verknüpfung mit emotionalen und sinnlichen Qualitäten wird daher auch für Hotels zu einem wesentlichen Kriterium.

Verbindung aus Arbeit und Vergnügen

Einen weiteren wichtigen Wandel sehen Christopher Sanderson und Martin Raymond in der zunehmenden Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, die sie mit der Wortfindung „Bleisure“ (Business + Pleisure) auf den Punkt bringen. Schon jetzt, so wurde in einer Studie der Werbeagentur „CBS Outdoor“ herausgefunden, werden allein in Großbritannien neun Milliarden Pfund pro Jahr in der U-Bahn, im Flugzeug oder im Park erwirtschaftet, indem unterwegs vom BlackBerry oder iPhone Emails geschrieben, Verträge ausgefüllt oder Überweisungen getätigt werden. Auch der Arbeitsalltag selbst ist von Veränderung betroffen und spiele sich immer mehr außerhalb des klassischen Büroumfeldes ab. Auch hier gilt es für Hotels, sich neu zu positionieren und Antworten jenseits der überholten Kategorien von Business- oder Freizeithotel zu entwickeln. Sanderson und Raymond sehen hierbei auch Veränderungen auf die Immobilienbrache zukommen. Ist es doch denkbar, am Wochenende oder während der Nacht leer stehende Bürogebäude in eben jenen Zeitspannen in temporäre Hotels umzuwandeln.

Essens als Event

Auch das Essens wird seine Rolle verändern und sich mehr und mehr zu einem Event entwickeln, das im Rahmen neuer, avantgardistischer Restaurantkonzepter stattfinden soll. Bei diesen steht vor allem die Interaktion und Kommunikation zwischen den Gästen im Mittelpunkt, die „multisensuell“ verführt werden wollen. Die niederländische Designerin Marije Vogelzang, die gleich im Anschluss an Christopher Sanderson und Martin Raymond ihre Arbeiten präsentierte, gilt als Koryphäe auf dem Gebiet des Food Designs. Dieses dreht sich allerdings weniger um das Essen an sich, als vielmehr die Art und Weise, wie etwas gegessen wird. Ihren Sinn für besondere Inszenierungen konnte sie unter anderem bei einem Weihnachtsessen für die niederländische Designertruppe Droog beweisen. Bei diesem platzierte sie die Gäste an eine lange Tafel und bedeckte diese mit einem durchgehenden Tischtuch. Durch dieses mussten die Gäste schließlich ihre Köpfe stecken, sodass die Bewegungen jedes Einzelnen für seine Nachbarn spürbar waren. Die Interaktion untereinander wurde durch zerschnittene Teller gefördert, auf denen beispielsweise auf der einen Tischseite Melonen und auf der anderen Tischseite Schinken lagen. Ohne die Gäste extra auffordern zu müssen, tauschten diese ihre Tellerhälften untereinander aus und kamen darüber ins Gespräch.

Die Verantwortung des Designs

Dass das Design heute weit mehr als nur funktionalen oder ökonomischen Aspekten zu folgen hat, zeigte anschließend der New Yorker Designer Stephen Burks. Dieser engagiert sich neben seinen eher glamourorientierten Projekten, die er für Kunden aus der Mode- und Kosmetikindustrie kreiert, auch in Entwicklungsarbeit in Form von Workshops, die er mit jungen Designern aus den Townships von Südafrika organisiert. Zusammen mit der Möbelmarke Cappellini wurden einige der Entwürfe schließlich umgesetzt und in den Geschäften des Unternehmens vertrieben. Das Design, so seine Forderung, hat heute mehr denn je kulturelle Werte zu vermitteln als auf blanken, seelenlosen Konsum zu setzen. Produkte müssten vielmehr in der Lage sein, Geschichten zu erzählen, die über die oberflächliche Wahrnehmung hinausreichen.

Design als Kunst

Ganz auf die Bedeutung von Identität und Individualität setzt eine andere Gruppe von Designern, die eher die Nähe zur Kunst sucht. So entführt der Kanadier und Wahlberliner Jerszy Seymour mit seinen  Entwürfen, bei denen er alltägliche Alltagsgegenstände mit weichem Kunststoffschaum überzieht, in eine knallig bunte Phantasiewelt, die er in Museen oder Galerien inszeniert. Um einiges härter an der Grenze zum Kitsch und doch auf entwaffnend sympathische Weise entwickeln die beiden Designer Sam Borkson und Arturo Sandoval unter ihrem Büronamen „Friends with you“ reichlich schräge wie amüsante Filme und Installationen, die an japanische Kinderfilme erinnern. Was anfangs noch als freie künstlerische Arbeit begann, hat ihnen nun auch zahlreiche Aufträge aus der Werbung eingebracht. So haben sie unter anderem in Kopenhagen mehrere Räume des von Volkswagen initiierten Fox-Hotels entworfen, ohne dabei von ihrem kindlichen Comicstil abweichen zu müssen.

Kulinarischer Abschluss

Sorgten die Filme von „Friends of you“ bereits für gute Stimmung, war es doch das abendliche Dinner, das für einen gelungenen Ausklang sorgte. Dieses fand in der großen Halle des Nachtclubs „Tape“ statt, für das die Berliner Gourmettüftler „the Foodists“ ein atmosphärisches Menü für alle 250 Gäste kreierten. Die Küche stand wie eine offene Bühne in der Mitte des Raumes und war von großen Bildschirmen umgeben, auf denen in Nahaufnahme die Zubereitung der Speisen und kleiner raffinierter Cocktails übertragen wurde. Vielleicht ist es das, was den meisten Besuchern des Future Forums in Erinnerung bleiben wird: gutes Design geht nicht zuletzt auch durch den Magen.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail

Mehr Stories

Neue Trends im Design

Die Gewinner*innen der ICONIC AWARDS 2023: Innovative Interior

Die Gewinner*innen der ICONIC AWARDS 2023: Innovative Interior

Die neue Opulenz

Extravagante Textilien und Teppiche

Extravagante Textilien und Teppiche

Auf Tuchfühlung

Unterwegs auf dem Münchner Stoff Frühling 2023

Unterwegs auf dem Münchner Stoff Frühling 2023

Japanische Spuren

Glamora stellt die Madama Butterfly Collection vor

Glamora stellt die Madama Butterfly Collection vor

Wahre Raumwunder

Im Buch Small Houses kommen kleine Häuser groß raus

Im Buch Small Houses kommen kleine Häuser groß raus

Knautsch & Kiesel

Die Möbelneuheiten vom Salone del Mobile 2023

Die Möbelneuheiten vom Salone del Mobile 2023

Milan Design Week 2023

Ein Streifzug durch die Fuorisalone-Landschaft

Ein Streifzug durch die Fuorisalone-Landschaft

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Camilla D. Fischbacher verwandelt Meeresplastik in Textilien

Camilla D. Fischbacher verwandelt Meeresplastik in Textilien

Licht im Dschungel

Wie Foscarini die Natur in seinen Mailänder Showroom holt

Wie Foscarini die Natur in seinen Mailänder Showroom holt

Wohnlicher Dreiklang

COR feiert das 50-jährige Jubiläum seiner Polsterkollektion Trio

COR feiert das 50-jährige Jubiläum seiner Polsterkollektion Trio

Aus Alt mach Neu

GROHE ist Teil der Revitalisierungs-Bewegung

GROHE ist Teil der Revitalisierungs-Bewegung

Willkommen Zu Hause

Garderoben und Einrichtungslösungen für das Entree

Garderoben und Einrichtungslösungen für das Entree

Gestaltungsvielfalt in neuen Tönen

Kollektions-Relaunch bei Project Floors

Kollektions-Relaunch bei Project Floors

Best-of Outdoor 2023

Neue Möbel für Garten und Terrasse

Neue Möbel für Garten und Terrasse

Komfort unter freiem Himmel

Neue Outdoormöbeltrends vom italienischen Hersteller Fast

Neue Outdoormöbeltrends vom italienischen Hersteller Fast

Best-of Tableware 2023

Neuheiten für den gedeckten Tisch & Branchentrends

Neuheiten für den gedeckten Tisch & Branchentrends

Starkes Schweden

Neues von der Stockholm Design Week 2023

Neues von der Stockholm Design Week 2023

Der Pilz-Visionär

Ausstellung über Angelo Mangiarotti in der Mailänder Triennale

Ausstellung über Angelo Mangiarotti in der Mailänder Triennale

Made in Lebanon

Die Beiruter Kreativszene zwei Jahre nach der großen Explosion

Die Beiruter Kreativszene zwei Jahre nach der großen Explosion

Ein Möbel für alle Fälle

Nachhaltige Systemmöbel von Noah Living

Nachhaltige Systemmöbel von Noah Living

Magie und Frieden

Die Neuheiten der Maison & Objet und Déco Off in Paris 2023

Die Neuheiten der Maison & Objet und Déco Off in Paris 2023

Raus aus dem Möbeldepot

Mobile Einrichtungslösung aus alten Abfalleimern setzt auf Upcycling

Mobile Einrichtungslösung aus alten Abfalleimern setzt auf Upcycling

Adaptives Multitalent

Das Gira System 55 wird 25

Das Gira System 55 wird 25

In den Kreislauf gebracht

JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

Blick nach vorn

Neues von der Sammlermesse Design Miami 2022

Neues von der Sammlermesse Design Miami 2022

Wie aus einem Guss

Systemdesign à la Gira

Systemdesign à la Gira

Born in Beirut

Fünf Designpositionen aus dem Libanon

Fünf Designpositionen aus dem Libanon

Best-of Fliesen 2022

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Das einfach intelligente Zuhause

Per Plug-and-play zum Smarthome mit JUNG

Per Plug-and-play zum Smarthome mit JUNG

Farbenfrohe Nachhaltigkeit

Bolon präsentiert seine erweiterten Kollektionen Artisan und Botanic in Berlin

Bolon präsentiert seine erweiterten Kollektionen Artisan und Botanic in Berlin