Stories

Club der müden Visionäre

von Norman Kietzmann, 17.09.2008


Am vergangenen Samstag wurde die 11. Architekturbiennale von Venedig offiziell eröffnet. Unter dem Motto „out there: architecture beyond building“ legte Kurator Aaron Betsky den Schwerpunkt auf Visionen jenseits des konkreten Bauens. Doch auch wenn die Liste der Protagonisten vereint, was die internationale  Avantgarde derzeit zu bieten hat, blieb der erwünschte visionäre Charakter der Ausstellung weitgehend aus: Zu vorhersehbar, zu selbstgefällig oder einfach zu banal waren viele der gezeigten Arbeiten, ­ als dass Überraschungen oder gar Denkanstöße entstanden. Dass mit Frank O. Gehry ausgerechnet jener Architekt für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, der das Kopieren und Recyceln der eigenen Projekte zum Prinzip erhob, spricht Bände über diese Biennale, die noch bis zum 23. November in der Lagunenstadt zu sehen ist.


Eigentlich, so könnte man meinen, hat Generalkommissar Aaron Betsky alles richtig gemacht. Er hat sein beachtliches Netzwerk genutzt, das er sich als langjähriger Chef des Niederländischen Architekturinstitutes NAI in Rotterdam aufgebaut hat, und all jene mit ins Boot geholt, denen noch immer der Ruf des Avantgardistischen vorauseilt. Wie an einer Perlenschnur reihen sich nun die Arbeiten von Asymptote , Coop Himmelb(l)au , Zaha Hadid , Frank O. Gehry, UN Studio ,  Massimiliano Fuksas und anderen entlang der über 300 Meter langen Haupthalle des Arsenale aneinander. Doch zu glänzen vermag das Ensemble nur bedingt: Es scheint, als sei den einstigen Wilden langsam die Puste ausgegangen, spulen doch die meisten nichts anderes als das ewig gleiche und austauschbare Formenrepertoire ab, für das sie mittlerweile bestens bekannt sind. Was ist aus der verspielten Provokation geworden, mit der sie noch vor 20 Jahren Kritiker wie Publikum zu irritierten versuchten? Sind sie nun, da sie endlich selbst auch an der Reihe sind, zu bauen, einfach zu satt, um hier noch glänzen zu müssen?

Experimentierfeld ohne Spannung

Es ist genau diese spürbare Gleichgültigkeit, die dieser ambitionierten Biennale den Wind aus den Segeln nimmt. Anstatt ein Experimentierfeld zu schaffen, wo neue Dinge ausprobiert und gezeigt werden können, wird die Veranstaltung eher als lästige Pflicht denn als Kür verstanden. Kaum einer der beteiligten Akteure hat die Freiheit genutzt, an dieser Stelle Projekte zu entwickeln, für die im normalen Büroalltag kaum noch Platz bleibt. Schlimmer noch: Schaut man sich die Präsentationen der Signature Architects im Bündel an, hat man den Eindruck, weniger auf einer Ausstellung als vielmehr einer Messe zu sein, wo sich die einzelnen Büros potentiellen (arabischen oder russischen) Investoren präsentieren. Hinzu kommt, dass die auf Hochglanz polierten Modelle zwar schön anzuschauen sind. Doch jedem, der sich ein wenig genauer auskennt, wird schnell klar, wie sehr hier auf kleiner Flamme gekocht und mit technisch veralteten Standards gearbeitet wurde. Wenn schon visuelle Opulenz, dann doch bitte mit den neuesten Technologien und Effekten ­- und nicht mit den 3D-Programmen von gestern.

Recycling der eigenen Ideen

Was ist also das Ziel dieser Biennale: Geht es nur noch darum, die Laien zu beeindrucken? Vielerorts wird man in der Tat den Eindruck nicht los, als seien die Exponate kurzerhand von Praktikanten entworfen und anschließend in drei Tagen und drei Nächten realisiert worden. Vor allem Coop Himmelb(l)au's Version der berühmten Wolke – der Entwurf stammt bekanntlich von 1968 – wirkt derart schlampig zusammengezimmert, dass man sich schon fast gewünscht hätte, es wäre bei dem 40 Jahren alten Modellfoto geblieben. Verdächtig vertraut wirkt auch die dynamisch verformte Sitzskulptur „Lotus“ von Zaha Hadid, die der Abwechslung halber mit einigen Spinnweben aus Stoff bespannt wurde, sich aber ansonsten kaum von ihren übrigen Entwürfen unterscheidet. Ben van Berkels Installation „The changing room“ in Form mehrerer in sich verdrehter Schleifen erinnert ebenfalls zu sehr an sein bekanntes Möbius-Haus, als dass man darüber hätte hinweg sehen können. Und Frank O. Gehrys hölzerne Fassadeninstallation „Ungapatched“ weist – welch Überraschung – eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Guggenheim in Bilbao auf. Oder war es doch eher die Disney-Konzerthalle in L.A.? Massimiliano Fuksas hat sich ebenfalls an frühere Zeiten erinnert und bei seinen „Kensington Gardens“ drei große Kunststoffboxen in den Raum gestellt, deren grüner Farbton eins zu eins aus den 1970er Jahren entlehnt wurde - wie auch deren Formensprache mit deutlich abgerundeten Ecken. Die in ihnen als Hologramme abgespielten Filme zeigen Szenen des Alltages, wirken aber auch auf eigentümliche Weise mehr mit der Vergangenheit als mit der Gegenwart verbunden.

Die Highlights der Ausstellung

Überraschend dagegen die Installation „Chain city“ von Diller Scofidio & Renfro, die den Wandel Venedigs von einer einstigen Handelsstadt zu einem globalen Touristenmagneten untersucht und Begriffe wie Authentizität und Verortung bewusst in Frage stellt. Auf zwei gegenüber stehenden Videowänden werden hierbei Filme von Gondelfahrten projiziert – abwechselnd durch das Original in Italien als auch die zahlreichen Nachbauten rund um den Globus in Las Vegas, Tokyo, Nagoya, Macau oder anderswo. Auf seltsame Weise futuristisch wie organisch körperlich zugleich wirkt Asymptotes Installation „three houses for the subconscious“. Die drei skulpturalen Gebilde, zusammengesetzt aus weißen Modulen aus Fiberglas, werden in großen Lichtboxen präsentiert, die ihre Farbe und Lichtintensität kontinuierlich variieren. Deutlich ironischer dagegen die „Recycled Toys Furniture“ von Greg Lynn, bei der er verschiedene Kinderspielzeuge gescannt, gesägt und anschließend auf neue Weise miteinander verschmolzen hat. Das Resultat sind hybride Figuren, die futuristisch wie kitschig gleichermaßen anmuten und als ungewöhnliche Sockel kleiner Tische dienen. Obwohl zunächst als Außenseiter gehandelt, wurde Lynns Arbeit schließlich auch mit dem Goldenen Bären für die beste Installation der diesjährigen Biennale ausgezeichnet.

Verleihung der Goldenen Löwen

Bei der Preisverleihung am 13. September im Teatro Piccolo, die zugleich auch die Eröffnungszeremonie der Biennale war, wurde Frank O. Gehry schließlich mit einem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der Preis für den besten Länderpavillon ging diesmal an Polen. In ihrem „Hotel Polonia“ wurden Bilder von aktuellen Gebäuden in Warschau gezeigt, die mit humorvollen Fotomontagen kontrastiert wurden. Auf diesen wurden die Gebäude auf radikale Weise verändert, verunstaltet und umgenutzt – ein Zeichen dafür, wie sehr die Wirkung und der Erfolg von Architektur schließlich auch von Faktoren abhängt, die von Architekten überhaupt nicht beeinflusst und geplant werden können. Der deutsche Pavillon setzt ebenfalls auf Pragmatismus, wenngleich auf eine weit weniger ironische Weise. Unter dem Titel „Updating Germany“ werden insgesamt 100 Projekte vorgestellt, mit denen der Alltag ein Stück verbessert werden kann. Statt den großen Wurf zu suchen, stehen hier eher kleine oder nur wenig beachtete Projekte im Mittelpunkt, die sich mit Themen wie Nachhaltigkeit, erneuerbarer Energie sowie einem sinnvollen Umgang mit Ressourcen auseinandersetzen. Ist das Konzept als Katalog mitsamt einem kleinen theoretischen Ergänzungsband spannend aufgemacht, bleibt das Ausstellungsdesign mit seinen auf den Boden geworfenen Informationstafeln eher diffus.

Unerwartete Einsichten

Überraschend selbstkritisch zeigt sich dagegen der chinesische Pavillon. Auf gestochen scharfen und perfekt fotografierten Bildern werden Lebensräume chinesischer Großstädte gezeigt – schonungslos direkt und fernab der großen Prestigeprojekte von Olympia. Die Großmacht beweist an dieser Stelle Mut, eben jene „Schmuddelecken“ des Alltages zu zeigen, die noch während der Spiele vor westlichen Augen versteckt wurden. Vor allem die Aufnahmen von tristen Plattenbausiedlungen und dreckigen Großküchen brennen sich in das Gedächtnis ein. Nur einmal scheint hinter einem Häuserdach die Baustelle von Koolhaas’ CCTV-Turm hervor und zeigt, wie eng in China harte Realität und glänzende Fassaden beieinander liegen. Auf unerwartete Einsichten setzt auch der tschechische Pavillon. Dort werden Lebensentwürfe verschiedener Menschen anhand ihrer Kühlschränke vorgestellt. Diese sind entlang der Rückseite des ansonsten leeren Pavillons aufgereiht und von außen mit Angaben über die Größe der Wohnungen und kurzen biografischen Angaben ihrer Bewohner beschriftet. Gefüllt mit Lebensmitteln spiegeln die Kühlschränke den Lebensstil ihrer jeweiligen Besitzer wider und lösen somit zugleich auch Assoziationen zur Gestalt ihrer Wohnungen und deren Gebäude aus.

Satelliten in der Stadt und Umgebung

Einer der Höhepunkte außerhalb der offiziellen Spielstätten im Arsenale oder den Giardini war diesmal die Installation „Aura“ von Zaha Hadid und Patrik Schumacher. Anlässlich des 500. Geburtstages von Andrea Palladio zeigen sie in dessen Villa Foscari La Malcontenta dynamisch in den Raum gespannte Skulpturen, deren Formen durch das Überlappen verschiedenartiger Klangkurven gewonnen wurden. Palladios Harmoniesysteme werden somit auf eine sinnlich, musikalische Weise interpretiert und mittels neuester Computertechnik in dreidimensionale Schleifen im Raum verwandelt. Vitra präsentierte in den Räumen des Schweizer Kulturzentrums die neuen Bauprojekte in Weil am Rhein, darunter der neue Schauraum von Herzog & de Meuron, ein Logistikzentrum von SANAA sowie die neue Kunstwerkstatt des chilenischen Architekten Alejandro Aravena.

Debattieren auf der dunklen Seite

Blieben die zahlreichen Lesungen im Teatro Piccolo, an denen sich die Biennaleteilnehmer der Öffentlichkeit präsentieren sollten, kaum mehr als reine Portfolioshows, hat sich mit dem „Dark Side Club“ eine spannende Off-Veranstaltung entwickelt. Gegründet zur Biennale 2006 vom Londoner Architektur-Consultant Robert White, fanden an den drei Eröffnungstagen in der Atmosphäre eines exklusiven privaten Salons wirkliche Debatten statt.  Moderiert von Paul Finch, dem Herausgeber der Zeitschrift "Architectual review“, stellten im Palazzo Loredan junge Architekten ihre Projekte vor, die jeweils von einem Mentor – Patrik Schumacher am ersten, Greg Lynn am zweiten sowie Gregor Eichinger am dritten Abend – eingeführt wurden. Ungwöhnlich war hierbei nicht nur die Urzeit – dikutiert wurde ab elf Uhr bis spät in die Nacht – sondern auch die Direktheit, mit der Gäste wie Peter Cook die gezeigten Arbeiten kritisierten. Sinn für Humor bewiesen schließlich Paul Finch und Peter Cook, als sie am Abend der Verleihung der Goldenen Löwen den inoffiziellen „Dark Side Award“ an den Pavillon des Unternehmens Nivea verliehen – eine Anspielung auf die unerklärliche Teilnahme der Kosmetikmarke als Sponsor der Biennale, die ausgerechnet vor dem Haupteingang an den Giardini einen temporären Schauraum für ihre Hautcremes errichtet hatte. Von solchen Querschlägen hätte man gerne mehr erlebt.

Was wird also bleiben von dieser Biennale? Vielleicht einmal mehr die Erkenntnis, dass die einstigen “Wilden“ inzwischen selbst zu etabliert sind, um mit neuen Ideen noch begeistern zu müssen. Die Zukunft der Biennale wird vor allem davon abhängen, inwieweit der neuen Generation künftig mehr Chancen eingeräumt werden.


Mehr Eindrücke sowie Live-Statements der Protagonisten im Biennale-Videoblog von BauNetz, unterstützt von Axor/hansgrohe und vitra: www.baunetz.de/biennale
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Links

Biennale di Venezia

www.labiennale.org

Dark Side Club

www.darksideclub.org

Villa La Malcontenta

www.lamalcontenta.com

Interview Greg Lynn

www.designlines.de

Interview Peter Cook

www.designlines.de

Biennale 2010

www.designlines.de

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