Stories

Collagen und Kopierkultur

von Myrta Köhler und Cordula Vielhauer, 09.06.2011


Schlenderte man während des diesjährigen DMY (1.-5. Juni 2011) durch die Hangars des Flughafens Tempelhof, beschlich einen das Gefühl: „Das habe ich doch schon mal gesehen...“. Alles Absicht: Das Designfestival stand diesmal ganz im Zeichen des Themas „Kopieren“. Doch es gab auch Neues zu entdecken.


Macht es sich ein Künstler unbedingt leicht, wenn er etwas nachahmt? Täuschend echte Fälschungen von Gemälden erfordern große Kunstfertigkeit und haben schon häufig für Verunsicherung in der Kunstwelt gesorgt. Doch auch für die großen Meister gilt: Nur durch unermüdliches Nachahmen bilden sich handwerkliche Fähigkeiten heraus, die dann individuell anwendbar sind.

Diesen pädagogischen Ansatz wählte die Kunsthochschule Weißensee mit dem Projekt Copy, Culture. Das Kopieren eines frei gewählten Designobjektes ermöglichte es den Studenten, die Essenz des Vorbildes zu begreifen, um es dann selbständig weiterzuentwickeln: Ein Beispiel ist Josefina Schlies Interpretation eines Stuhls von Maarten Baas aus der Serie Smoke. Die Studenten des Royal College of Art (London) transformierten das Copy-Konzept für die Küche als zentralen Lebens- und Produktionsraum, der gemeinsamen Genuss und Erfahrungsaustausch ermöglicht: Auf eigens entwickelten Maschinen konnten die Besucher neue Produkte für die Küche entwerfen. Einen verbindenden Bogen schufen Kueng Caputo: Das Schweizer Duo kopierte Projekte anderer Aussteller, darunter die Möbelserie Deform von Milena Krais oder den Rubber Table von Thomas Schnur. Durch ironisierende Überhöhung einzelner Aspekte entstand hierbei ein Dialog zwischen Original und Kopie: Die Saugglocken, die Thomas Schnur als Tischbeine einsetzt, werden bei Kueng Caputo zur Kaugummi-Version.

Ich erfinde, also bin ich

Authentizität ist ein Schlüsselbegriff in der westlichen Kultur. Daran knüpfen sich spannende Fragen, die grundlegende Aspekte der Daseinsberechtigung betreffen: Was „ist“, und was ist „echt“? Was bedeutet „Originalität“? Das Copy/Culture-Symposium setzte sich mit den moralischen und kulturellen Aspekten des Nachahmens auseinander.

Das Thema „Kopieren“ rührt aber auch an ganz persönliche Ängste. Es geht um die Rückversicherung der eigenen Existenz, ebenso wie um Abgrenzung. Frei nach dem Motto: Abkupfern – ganz böse, zitieren – immer gerne, aber bitte mit Quellenangabe. Das Phänomen des digitalen Copyrights war in diesem Zusammenhang ebenfalls Thema, sowohl Symposium als auch MakerLab beschäftigten sich mit den Möglichkeiten von Open Design. Im Fokus standen Projekte des diesjährigen Gastlandes Finnland, darunter Ohanda von Pixelache) oder We Love Open Data (Open Helsinki).
 
DMY-Preisträger

Was gab es nun an Originellem und Originärem zu sehen auf dem diesjährigen DMY? Zu nennen sind die zehn für den DMY-Award nominierten Produkte, von denen drei Designer schließlich ausgezeichnet wurden: Dirk van der Kooj mit seinem dem Rapid-Prototyping entlehnten Projekt „Endless“, bei dem ein Roboter einen in unterschiedlichen Farbverläufen changierenden Stuhl aus recyceltem Kühlschrank-Plastik spritzt. Die Französin Clemence Seiles wurde für ihre dreiteilige Arbeit Monumenta prämiert, die in Memphis-ähnlicher Ironie Möbel und Objekte aus Baumarkt-Scheußlichkeiten wie Laminat oder Steinimitat zusammenfügt. Und schließlich wurde Yi-Con Lu, dessen Lightboy wir im Rahmen unseres Berlin-DMY-Specials gleich als erstes vorstellten, für seine flexible Serie „Wohnwerkzeuge“ gewürdigt.
 
An den drei ausgezeichneten Objekten lassen sich Tendenzen ablesen, die sich auch bei vielen anderen Produkten in den Hallen wiederfanden: Der Nutzer soll auf emotionaler Ebene an seine Objektwelt herangeführt werden, der Wert des Objekts entsteht vor allem durch eine narrative Komponente. Die erzählt mal von der Welt eines Baumarktes, vom Nomadentum der jungen Generation oder vom Vorleben eines chinesischen Roboters.
 
Industrie trifft Handwerk

Geschichten, nämlich die ihrer Herstellung als Hybride aus handwerklichem Einzelstück und Industrieprodukt, vermitteln auch die Objekte der zehnköpfigen Designergruppe Transalpino. Ihre Mitglieder – allesamt Absolventen der Fachhochschule Potsdam – begaben sich im Jahr 2010 auf eine spannende Reise: Sie besuchten vierzehn Betriebe im transalpinen Raum zwischen Mailand und Berlin. Dabei widmeten sie sich in ihrem Forschungsprojekt neuen und alten, teils vergessenen Verarbeitungstechniken, die jeweils eng mit den regionalen Traditionen verknüpft sind. Entstanden ist eine Reihe ungewöhnlich gestalteter Produkte, bei der die Designer teils mit für den Herstellungsprozess ungewohnten Materialien spielen, teils die Grenzen der Handwerkstechnik ausreizen oder beides auf neue Weise kombinieren.

So wird die Schnittlampe von Dominik Hehl zunächst im traditionellen Metall-Drückerverfahren hergestellt, bevor der Aluminiumschirm mittels modernster 3D-Wasserstrahltechnik beschnitten wird. Gemeinsam mit Johanna Dehio entwarf Hehl zudem collagenartige Leuchten mit Schirmen, die aus Faserzement, Buntglas und Pozellan gefertigt sind, sich mit Hilfe eines seitlichen Einschnitts auffädeln lassen und so unterschiedliche Lichtstimmungen und Helligkeiten erzeugen.
 
Auch die Designerinnen Hanna Krüger und Miriam Aust setzen sich in ihrer Präsentation „Aus etwas wird etwas“ mit Materialien und traditionellen Techniken auseinander. So verweist die Stehleuchte Add.on indirekt auf ihren Herstellungsprozess: Die angekokelten Eichenstäbe, die zunächst zum Formen des Glaskörpers der Leuchte verwendet wurden, dienen in ihrem zweiten Leben als Untergestell der Stehlampe. Mit ihrer Übersetzung der von Bruno Manari überlieferten Sentenz „Da cosa nasce cosa“ greifen sie zudem das Thema der Weiterentwicklung und Überarbeitung vorhandener Objekte und Ideen auf, das – unter dem Stichwort „Kopieren“ negativ konnotiert – den oben erläuterten Subtext des DMY bildete.
 
Trinken wie die Finnen
 
Mit traditionellen Handwerkstechniken und ihrer Sublimierung setzen sich auch die finnischen Designer auseinander, deren Heimat im Jahr 2011 als Partnerland des DMY auftrat. Während an einem großen, mit kräftigen Marimekko-Mustern dekorierten Tisch mitten im ersten Hangar des Flughafens Tempelhof freundliche Finnen fleißig nähten und schnippelten, stellte unweit davon der Hersteller Vaja eine Serie nahezu abstrakt geformter, teils bedruckter und mit Bakelitknöpfen versehener Keramiken aus. Sie setzen die Tradition schlichter, harmonischer Alltagsgegenstände fort, für die unter anderem die finnische Designlegende Kaj Franck den Grundstein legte. Auch die jungen Designer der Gruppe UKLY präsentierten in ihrer Schau „30 Ways to drink in Style“ eine Vielzahl teils industriell gefertigter, teils künstlerisch überformter Trinkgefäße aus Glas und Porzellan.
 
Wurzelsuche
 
Ob in der Beschäftigung mit Vorbildern, Kopiertechniken, Plagiarismus oder Tradition: Die Teilnehmer des DMY setzen sich in diesem Jahr sowohl mit den ideellen als auch den technischen Wurzeln zeitgenössischer Produktkultur auseinander. Das Spektrum, das sie dabei aufspannen, reicht von Konzeptdesign über Collagen bis zu Hybriden aus Handwerkskunst und Produktdesign. Dabei entstehen vielleicht keine Quantensprünge der Designgeschichte, aber auch mehr als die Variation von Altbekanntem.

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International Design Festival Berlin

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