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„Das alles ist organisch passiert“

von Norman Kietzmann, 31.05.2011


Seit 2002 behauptet sich der DMY als nichtkommerzielles Designfestival in Berlin und öffnet jetzt vom 1. bis 5. Juni erneut seine Türen. Im zweiten Jahr nach dem Umzug in den Flughafen Tempelhof steht 2011 Finnland als Gastland im Mittelpunkt der Schau, die längst auch Teilnehmer aus Asien und Südamerika in die Hauptstadt lockt. Doch so sehr das Festival in der Kreativszene Berlins verankert ist: Die Macher des DMY schmieden schon Pläne, auch in Übersee mit eigenen Veranstaltungen vertreten zu sein.



„Wir sind keine Messe, die sich mit Marken auseinandersetzt, sondern eine Plattform für freie oder konzeptionelle Arbeiten“, erklärt Festival-Gründer Jörg Suermann das Konzept des DMY. Anders als Jungdesignerplattformen wie die Designersfair in Köln oder die Gegend der Zona Lambrate in Mailand agiert der DMY nicht als Begleitveranstaltung einer großen Möbelmesse, sondern behauptet sich als eigenständiger Termin in den Kalendern der Designhungrigen. Dass Finnland in diesem Jahr als Gastland auf dem DMY eine herausgehobene Rolle spielt, hat einen konkreten Grund. Schließlich wurde Helsinki von der Unesco zur „Capital of Design 2012“ bestimmt – ein Titel, den Berlin im Jahr 2006 als erste Stadt überhaupt führen durfte. Zu sehen sind auf der diesjährigen Ausgabe des DMY aber nicht nur die Arbeiten junger finnischer und deutscher Gestalter, die zuvor von einer Jury ausgewählt wurden. „Mit Teilnehmern aus Südamerika und Asien entwickelt sich das Festival immer stärker zu einem internationalen Hub“, ist Jörg Suermann überzeugt.

Von der Off-Bühne zum Festival

Die Leitung des DMY liegt seit acht Jahren bei Suermann – eine jener typischen Geschichten, wie sie nur Berlin erzählt. „Das alles ist organisch passiert und war überhaupt nicht geplant“, erinnert er sich an die Anfänge im Jahr 2003. Zu diesem Zeitpunkt, als zum ersten Mal der Designmai in Berlin stattfand und zahlreiche Ausstellungen, Parties und Events zu einem zweiwöchigen Programm bündelte, arbeite Suermann noch als Grafik- und Webdesigner. Der Designmai schien eine gute Gelegenheit, um seine Arbeiten zu zeigen und neue Kontakte zu knüpfen. „Ich hatte das Glück, dass mein damaliges Studio in einer großen Fabrik lag, und habe dann 20 Freunde eingeladen, mit mir dort auszustellen. Tagsüber fand die Ausstellung statt, nachmittags und abends wurden Workshops veranstaltet und nachts Partys gefeiert“, erklärt er das Konzept. Das Format wurde so gut angenommen, dass sich im zweiten Jahr noch weitere Leute bei ihm gemeldet haben, um ebenfalls im Rahmen der Designmai Youngsters, so der vollständige Name des DMY, mit auszustellen.  

Suermann mietete unterdessen weitere Flächen in der zumeist leer stehenden Fabrik an, während die Teilnehmer der Ausstellung beim Aufbau und Herrichten der Räume noch selbst zum Farbeimer griffen. Als im dritten Jahr die Anfragen weiter zunahmen, schien es an der Zeit, eine feste Struktur und Logistik aufzubauen, Sponsoren zu finden und Personal einzustellen. „In diesem Moment war klar, dass ich eine Teilnahmegebühr nehmen musste. Ich konnte ja nicht mehr sagen: Ok, du streichst die Wände, du bezahlst die Farbe und du machst etwas anderes“, erinnert sich Jörg Suermann, wie aus seiner privaten Initiative plötzlich ein professionelles Unterfangen wurde.

Internationale Ausrichtung

Dass der DMY auch heute weiterhin besteht, während der Designmai im Jahr 2007 in seiner ursprünglichen Form aufgelöst wurde, sieht Suermann vor allem in dessen überschaubaren Strukturen. Denn die Initiatoren des Designmai, darunter die Gestalter Oliver Vogt vom Büro Vogt und Weizenegger oder Werner Aisslinger, haben parallel stets an ihren eigenen Projekten gearbeitet oder waren in ihrer Arbeit als Hochschulprofessoren eingebunden. Doch die Leitung eines Festivals sei ein klarer Vollzeitjob, der sich – vor allem in den hektischen Wochen vor dem Event – keineswegs nebenbei organisieren ließe. Suermann arbeitet heute mit einem festen Team aus sechs bis acht Personen in einer alten Fabrik am Flutgraben im Stadtteil Treptow, das im Vorfeld des Festivals auf deutlich über 25 Mitarbeiter anwächst.

Die Verbindung zum Designmai bleibt jedoch auch weiterhin bestehen, der mit seinen dezentralen Veranstaltungen in den Kalender des DMY aufgenommen wurde und das Festival mit über 50 Veranstaltungen, Ausstellungen und Events auf die Stadt überträgt. Auch personell überwiegt Kontinuität. So ist Oliver Vogt auf dem diesjährigen Festival mit einer Arbeit vertreten, während Werner Aisslinger in der Jury des DMY über die Auswahl der teilnehmenden Designer entscheidet. „Wir merken, dass der Name Designmai noch immer sehr stark ist und viele uns Designmai nennen“, erklärt Jörg Suermann, warum der DMY schließlich 2009 die Namensrechte am Designmai übernommen hat.

Von der Arena zum Flughafen

Aus der Arena in Treptow, einem ehemaligen Busdepot mit 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, ist das Festival längst herausgewachsen. Mit der Wahl des Flughafen Tempelhofs, wo der DMY im vergangenen Jahr zum ersten Mal stattfand, konnte die Ausstellungsfläche nicht nur verdreifacht werden. Auch die mediale Wirkung des Festivals hat sich seitdem über das bisherige Publikum an Designinteressierten heraus erweitert. Dass gerade viele Berliner die Gelegenheit nutzen, sich nicht nur junges Design, sondern vor allem den stillgelegten Flughafen anzuschauen, nimmt Jörg Suermann mit Humor. „Designtouristen“ nennen er und sein Team die unerwarteten Besucher, die sich unter die „normalen“ Gäste des Festivals mischen und erfreulicher Weise auch Interesse für die Arbeiten der jungen Gestalter entwickeln.

Zusätzliche Besucher werden nicht zuletzt aus materiellen Gründen gern gesehen. Denn das Festival finanziert sich ausschließlich über die Teilnahmegebühren der Aussteller, Einnahmen von Sponsoren sowie die Eintrittsgelder der Besucher. Bestand in den Jahren 2008 bis 2010 eine Förderung durch den Berliner Senat, muss das Festival ab diesem Jahr auf eigenen Beinen stehen. Für Suermann und sein Team nicht immer eine leichte Aufgabe, schließlich muss eine sechsstellige Summe erwirtschaftet und nicht zuletzt auch vorfinanziert werden, von der rund die Hälfte über die Miete des Flughafen Tempelhofs an den Senat zurückfließt. „In drei Jahren haben sie die Förderung wieder raus“, erklärt Jörg Suermann, der damit aber auch die Idee des DMY falsch verstanden sieht. Schließlich handele es sich nicht um eine kommerzielle Messe, sondern um ein „Schaufenster für die Kreativwirtschaft“, die vor allem in Berlin noch immer auf wirtschaftlich eher wackligen Beinen steht.

Kommerzielle Synergien

Mit Interesse verfolgen die Macher des DMY, dass mit der geplanten Einrichtungsmesse Qubique im Oktober 2011 erstmals eine kommerzielle Designplattform in Berlin stattfinden wird. Man sei miteinander in Kontakt und tausche sich aus, auch wenn beide Veranstaltungen weiterhin unabhängig voneinander geplant werden. „Wir müssen abwarten, ob die Messe funktioniert. Für dieses und nächstes Jahr ziehen wir einen gemeinsamen Termin noch nicht in Betracht. Aber längerfristig wäre das auch für uns sinnvoll, damit Berlin mehr Strahlkraft entwickelt“, ist Suermann überzeugt. Schließlich würden sich viele Besucher bei zwei Terminen im Jahr für nur einen entscheiden müssen. Problematisch dürfte hierbei allerdings die Wahl des Standortes sein, schließlich finden beide Veranstaltungen am Flughafen Tempelhof statt. „Die Macher der Qubique waren zunächst nicht sonderlich froh darüber, dass wir auch in Tempelhof sind, da sie sich den Ort noch vor uns beim Senat gesichert haben. Aber letztendlich arrangiert man sich“, nimmt Jörg Suermann die Situation gelassen.

Globale Dependancen

Die Zukunft des DMY liegt für ihn derweil in einer doppelten Neuausrichtung. Wurde das Festival bereits im vergangenen Jahr um ein Maker-Lab ergänzt, wo über neue Verarbeitungstechnologien und Werkzeuge informiert wurde, kommen in diesem Jahr erstmals Workshops zum Thema Material hinzu. Vor allem hierin sieht Suermann eine direkte Verzahnung zwischen Designern und Herstellern, basieren doch über 70 Prozent aller Produktinnovationen auf dem Einsatz neuer Materialien. Stärker eingebunden werden sollen künftig ebenso Architekten, um auf dem DMY ihre Arbeiten vorzustellen und somit den Austausch mit Designern zu vertiefen. Vor allem aus Übersee kamen hierzu gezielte Anfragen, wo Architekten Wohnungen zumeist schlüsselfertig übergeben und in die Auswahl und Planung von Produkten und Einrichtungsgegenständen direkt involviert sind.

Auch wenn der DMY derzeit nur zwei der sieben Hangars am Flughafen Tempelhof bespielt und sich die Möglichkeit zum Wachstum offen hält: Jörg Suermann und sein Team blicken längst über die Stadtgrenzen hinaus und planen einen baldigen Export des Festivals. Neben Berlin sollen künftig auch Standbeine an aufstrebenden Märkten Südamerikas und Asiens entstehen und damit zugleich die internationale Netzwerkstruktur des DMY festigen. Gilt Buenos Aires bereits als aussichtsreicher Kandidat für eine baldige Dependance, werden in Asien derzeit noch Gespräche mit China, Japan, Taiwan als auch Thailand geführt. Nach acht Jahren, soviel machen diese Pläne überaus deutlich, sind auch die Youngsters längst flügge geworden.


Mehr Beiträge zu unserem Schwerpunkt Berlin lesen Sie hier.

DMY International Design Festival Berlin
01.-05. Juni 2011
Flughafen Berlin Tempelhof
Platz der Luftbrücke 5
Eingang: Paradestraße

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Links

DMY

International Design Festival Berlin

:http://dmy-berlin.com/

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