Stories

Das Design in der Stadt

von Norman Kietzmann, 27.10.2009


Die Mailänder Möbelmesse hat ein Problem: Es gibt sie nur einmal im Jahr. Um das Warten auf den nächsten April zu verkürzen, wurde in diesem Oktober erstmals das Festival „Milano design-in–the-city“ ins Leben gerufen. Initiiert wurde die viertägige Veranstaltung, die am 25. Oktober 2009 zu Ende ging, allerdings nicht von der Messe selbst, sondern den Organisatoren der Messe-Off-Veranstaltung „Zona Tortona“. Das Ziel: als Publikumsevent die Showrooms der Designunternehmen zu öffnen, während das Designvolk auf den zahlreichen Cocktailparties wieder einen Grund zum Austausch bekommt. Während letzterer Aspekt spürbar aufging, zeigten sich die Mailänder noch ein wenig zögerlich.



Die Frage stand lange im Raum: Warum um alles in der Welt braucht Mailand plötzlich eine zweite Messe? Ein Designfestival, das der Möbelmesse genau sechs Monate später folgt? Die Antwort darauf fiel auch den meisten Firmen anfangs nicht leicht, die sich mit ihren Zusagen zum „Milano design-in–the-city“-Festival recht zögerlich zeigten. Doch als Mitte September die Organisatoren „Design Partners“, die in der „Zona Tortona“ die größte Off-Veranstaltung der Mailänder Möbelmesse auf die Beine stellen, das Programm offiziell präsentierten, änderte sich die Lage schlagartig. Nachdem Branchengrößen wie B&B Italia oder Cappellini ihre Teilnahme bestätigten, wollten plötzlich auch alle anderen den Anschluss nicht verpassen. Und so entstand, kaum mehr als vier Wochen vor dem eigentlichen Event, eine kleine Designweek mit überaus beeindruckender Teilnehmerliste.  

Event für die Stadt

Ein wenig erinnert das Konzept von „Milano design-in–the-city“ an die Abendstunden der Möbelmesse, wenn in den Showrooms in der Innenstadt Cocktails serviert werden und sich die Besucher die Messeneuheiten in entspannter Atmosphäre anschauen können. Der Unterschied ist nur der: Es gibt in diesen Tagen parallel keine Messe und es werden auch keine Neuheiten gezeigt. Was zunächst ein wenig seltsam klingt, hat aber durchaus seinen Grund. Denn zum einen ist es nicht das Designvolk, das im Fokus des Veranstaltung steht, sondern jene Designinteressierte, die mitunter den Weg in die Showrooms nicht wagen. Bei den abendlichen Cocktails, so der Ansatz, können Berührungs- und Schwellenängste viel schneller abgebaut werden. Schließlich traut sich nicht jeder Interessent und damit zugleich auch potentielle Käufer, die oft hochglanzpolierten Showrooms zu betreten. Und für diejenigen, die auch professionell mit dem Design verbunden sind, bietet die Veranstaltung die Möglichkeit, ohne den Stress der Messe im Rücken mit Freunde und Kollegen ein Glas zu trinken.

Noch zögerlicher Zulauf

Hat sich Letzteres durchaus erfüllt, zeigten sich die Mailänder dagegen noch etwas zögerlich. Zwar sind vorab in allen wichtigen Tageszeitungen Beiträge über das Festival erschienen. Doch wer diese übersehen hat, wird auch die wenigen Plakate in der Stadt nur allzu leicht verpasst haben. So kurzfristig die Organisation im Vorfeld war, so spärlich war auch die Kommunikation mit der Stadt. Gleichzeitig wurde dem Ganzen auch von ganz anderer Seite ein Strich durch die Rechnung gemacht. So traten pünktlich zum zweiten und dritten Festival-Tag die Mailänder Verkehrsbetriebe ATM in einen Streik und legten den gesamten U-Bahn- und Tram-Verkehr der Stadt lahm, während die Straßen in völligem Verkehrschaos versanken. Auch die terminliche Planung von Donnerstag bis Sonntag erwies sich als nicht besonders glücklich gesetzt. Denn Mailand ist eine Pendlerstadt. Der Großteil der Bewohner fährt am Wochenende zur Familie oder zum Wochenendhaus in den Bergen oder an der See. Eine Verschiebung der Veranstaltung in die Woche hinein würde die Mailänder stärker einbinden und nicht nur die Designleute, die an diesen Tagen weitgehend unter sich blieben.

Atmosphärische Inszenierungen


Was diese zu sehen bekamen, waren vor allem jene Produkte, die im April auf der Mailänder Möbelmesse als Neuheiten präsentiert wurden. An das Motto des „Traumes“, das von den Veranstaltern vorab für die Installationen der Showrooms gegeben wurde, haben sich allerdings nur die wenigsten gehalten. B&B Italia ließ in Anlehnung an „Alice im Wunderland“ Entwürfe der aktuellen Kollektion verfremden. Durch angenähte oder aufgestickte Elemente wuchsen Ohren aus Stühlen heraus oder Hocker wurden mit angenähten Beinen in Schildkröten verwandelt. Exotisch ging es unterdessen bei Boffi zu, deren Showroom in der Via Solferino mit hängenden Gärten des französischen Gestalters Patrick Nadeau in einen „Regenwald“ verwandelt wurde. Moroso inszenierte in seinem Showroom die betont junge Wohnkollektion, die in Kooperation mit der Jeansmarke Diesel entstand, während Cappellini allein Produkte in den Farben von Mondrian-Gemälden in Rot, Blau, Gelb, Schwarz und Weiß zeigte – in Anlehnung an die in diesem Jahr wieder aufgelegte „Homage à Mondrian“-Schrankserie von Shiro Kuramata.

Sportliche Inszenierungen

Eine überraschende Ausnahme bildete Poltrona Frau: Als einziger Teilnehmer von „Milano design-in–the-city“ ließ die Polstermanufaktur weit mehr als nur bestehende Produkte neu in Szene setzen und beauftragte den derzeit angesagten, jungen französischen Designer Matthieu Lehannheur mit einer Arbeit. Als dieser die Fabrik von Poltrona Frau besuchte, musste er den Rundgang über das Firmengelände allerdings vorzeitig abbrechen, um seinen Flieger nach Paris zu bekommen. Was er als Einziges nicht gesehen hatte, war die Abteilung, in der die Polstermöbel auf ihre Qualität und Belastbarkeit geprüft werden. Auf diese Weise entstand zugleich das Konzept für die Ausstellung: Er dachte sich die Werkstatt einfach aus. Das Ergebnis, das im Showroom in der Via Durini gezeigt wurde, sind große Boxsäcke in der Optik klassischer Chester-Sessel, die von imaginären Boxern auf ihre Tauglichkeit geprüft werden.

Offene Studios

Das Verborgene zugänglich zu machen, zog sich ebenfalls als Leitfaden durch zahlreiche Ausstellungen hindurch. So ließ Piero Lissoni für Cassina das Innenleben von Klassikern „durchleuchten“ und förderte dabei jene konstruktiven Gestelle ans Tageslicht, die normalerweise unter Postern und Sitzbezügen unsichtbar bleiben. Der Idee, den Prozess des Machens hinter den Produkten zu zeigen, folgte auch der gemeinsame Tag der offenen Tür. Insgesamt 18 Mailänder Design- und Architekturbüros, darunter die Studios von Matteo Thun, Michele De Lucchi, Massimo Iosa Ghini und Piero Lissoni, gewährten Besuchern einen Blick in ihre Räume und Werkstätten. Auch sie sind Orte, die sonst nur wenigen zugänglich sind. Eine räumliche Distanz zu überwinden, vermochte unterdessen Kartell und organisierte am selben Tag einen Shuttle-Service vom Showroom an der Via Turati zum firmeneigenen Museum außerhalb der Stadt, das ohne eigenes Auto sonst ebenfalls nicht zu erreichen ist.

Event mit Potential

Es wird sich zeigen, wie sich das „Milano design-in–the-city“-Festival weiter entwickeln wird. Doch für eine erste Ausgabe, die gerade einmal einen Monat vorab offiziell bestätigt wurde, kann sich das Ergebnis sehen lassen. Schließlich ist es keinesfalls selbstverständlich, die einzelnen Firmen so geschlossen an einen Tisch zu bekommen. Die Mailänder selbst zu gewinnen, ist hierbei eine Frage der Zeit. Schließlich haben auch die „Designer’s days“ in Paris – die als Vorbild für ein Publikumsevent in der Stadt gesehen werden – knapp 20 Jahre gebraucht, um bewusst von den Parisern wahrgenommen zu werden.

Die Wirkung von „Milano design-in–the-city“ könnte unterdessen noch viel weiter reichen. Zwar ist der Herbst mit Veranstaltungen in Verona, London, Wien oder derzeit Eindhoven reichlich gefüllt. Doch Mailand hat diesen Städten eines voraus: Es hat all die wichtigen Firmen vor Ort, die bis heute knapp 80 Prozent des weltweiten Designmarktes unter sich aufteilen. Sollten von denen in den kommenden Jahren allein zwei, drei große Namen auf die Idee kommen, als Vorschau zum nächsten Salone del Mobile ein paar Prototypen zu zeigen oder – wie im Falle von Poltrona Frau – noch viel entschiedener interessante Newcomer mit Installationen zu beauftragen, wird die Veranstaltung plötzlich auch auf internationaler Ebene relevant. Der Messekalender für den Herbst wird dann wohl neu sortiert werden müssen.
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Links

Milano Design in the City

www.milano-designinthecity.com

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