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Das unendliche Fest

von Norman Kietzmann, 28.05.2009


Dass Feste zu einer überaus komplexen, beinahe an Vollzeitbeschäftigung grenzenden Aufgabe werden können, wissen nicht nur die Besucher heutiger Szeneclubs. Wie zu keiner anderen Epoche widmete man sich im Barock und Rokoko der Organisation von Festen und verband Architektur, Innenarchitektur, Bühnenbild, Gartengestaltung, Musik, Tanz bis hin zu Feuerwerk zu einem umfassenden Gesamtkunstwerk. Welchen Glanz diese Inszenierungen entfalteten, erzählt aktuell eine Ausstellung im Turiner Palazzo Madama und lässt die Zeit der rauschenden Feste am Hause Savoyen-Piemont an authentischem Ort wieder aufleben.



Ein Fest im Barock war eine alles andere als leichtfüßige Angelegenheit. Getreu der urfranzösischen Idee, die ernsten Dinge so leicht wie möglich und die leichten Dinge mit allerhöchster Konzentration und Sorgfalt anzugehen, wurde nichts dem Zufall überlassen. Ein strenges Reglement überwachte jedes Detail der Vorbereitungen und setzte nach jedem gelungenen Event die Ansprüche wieder ein Stück mehr nach oben. Auch die Dauer der Feiern nahm mehr und mehr ungewöhnliche Ausmaße an und konnte sich über Tage, Wochen oder sogar mehrere Monate erstrecken. Damit bei der Dichte der Veranstaltungen – gefeiert wurde im Grunde zu jedem Anlass, der gerade daherkam – nicht der Überblick verloren ging, wurden immer originellere Themen gesetzt, denen sich die Veranstaltung als auch deren Gäste zu unterwerfen hatten.

Der göttliche Glanz

Die Zeit des Barock war eine absolutistische Zeit und die Sehnsucht zum Glanz- und Prunkvollen nicht zuletzt auch von politischer Mission. Galt es für die katholische Kirche, sich von der Reformation Luthers abzuwenden, unterstrichen die weltlichen Herrscher ihren Status mit einer übersteigerten, beinahe göttlichen Selbstdarstellung. Das Fest wurde zu einem integralen Bestandteil des höfischen Lebens, das die Bedeutung ihrer Ausrichter glanzvoll unterstrich. Die Spielarten der Feste konnten je nach Anlass zwischen Bällen, Maskenbällen, Opern, Schauspielen, Turnieren, Jagden, Karussells oder Feuerwerk variieren – eingerahmt von opulenten Kulissen, Bühnen und Illusionen. Die Organisation der Feste weitete sich unterdessen zu einer höchst aufwändigen wie lukrativen Aufgabe, an der fast alle künstlerischen wie technischen Berufsgruppen beteiligt waren: Architekten, Bühnenbilder, Musiker, Sänger, Tänzer, Köche, Schneider, Kostümbildner, Bildhauer, Maler, Tier-Trainer, Konstrukteure, Pyrotechniker bis hin zu Wassertechnikern. Der Anspruch, das bereits einmal Gesehene nicht zu zu wiederholen, setzte die Beteiligten unter enormen Druck und führte dazu, dass das, was gezeigt wurde, so schnell wieder verschwand wie es entstanden war.

An authentischem Ort

Für die Organisatoren der Turiner Ausstellung lag hierin nicht zuletzt eine erhebliche Herausforderung. Denn Feste waren eine höchst vergängliche Kultur, von der nur selten etwas festgehalten wurde. Und Film, Fernsehen oder Foto – heute selbstverständlicher Bestandteil einer jeden Veranstaltung von Format – standen noch nicht zur Verfügung. Zudem ließ die Dichte der Partykalender selbst den Chronisten jener Zeit kaum Spielraum, die einzelnen Entwürfe und Details tatsächlich festzuhalten. Es grenzt daher an ein kleines Wunder, dass es den Kuratorinnen der Ausstellung im Palazzo Madama Clelia Arnaldi di Balme und Franca Varallo dennoch gelungen ist, Dokumentationen jener Zeit aufzutreiben. Den Mittelpunkt der Schau, die im „Sala Senato“ zugleich den historischen Festsaal des Hauses bespielt, bilden insgesamt dreizehn großformatige Zeichnungen, die der Hof-Sekretär des Fürstenhaus Savoyen-Piemont Tommaso Borgonio zwischen 1640 und 1681 anfertigte und Szenen von Balletten, Turnieren und Banketten zeigen. Präsentiert in einer aus schwarzen Wänden organisierten Ausstellungsarchitektur runden Musikinstrumente, Paradeuniformen, Schmuck, Kostüme, Geschirr oder ein Schlitten in Form eines Vogels die zumeist zweidimensionale Form der Darstellung ab.

Die Evolution der Feste

Wie sehr die Entwicklung der Festkultur mit der politischen Entwicklung des Herzogtums Savoyen-Piemont verknüpft ist, lässt sich während des Rundganges deutlich ablesen, der den Zeitraum von Mitte des Sechzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert chronologisch überspannt. Das Fest – anfangs noch hinter den Hofmauern verborgen – wandelt sich mit dem späteren Aufstieg des Herzogtums zum Königreich immer mehr zu einem Event, das die gesamte Stadt erfasste. Beeinflusst hat deren Stil und Ausdruck nicht zuletzt eine besondere Person: Christina von Frankreich, jüngste Tochter des französischen Königs Heinrich IV. und seiner zweiten Ehefrau Maria de‘ Medici, die im Februar 1619 den Savoyen-Erben Vittorio Amadeo I. heiratete und einen deutlich spürbaren französischen Einfluss mit nach Turin brachte. Standen dort vor allem klassische Turniere im Mittelpunkt, nahm auf Initiative von Christina mehr und mehr das Ballett eine entscheidende Rolle ein. Bei den für Hochzeiten, Geburtstagen oder Karneval aufgeführten Choreografien war der Hofstaat nicht nur Publikum sondern spielte – mit bizarren Kostümen verkleidet – regelmäßig selbst einige Rollen der Inszenierung mit.

Temporäre Bühnen

Markierten die Ballette bereits eine Abkehr von den auf militärischen Glanz hin ausgerichteten Ritterturnieren, die noch den frühen Barock ab Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bestimmten, wurden die Feste seit Beginn des Siebzehnten Jahrhunderts zu einer alle Sinne umfassenden Komposition aus Konzert, Oper, Schauspiel und Tanz, zu denen opulente Bankette gegeben wurden. So ließ Herzog Carlo Emanuele I. für den Geburtstag seiner Schwiegertochter Christina von Frankreich im Februar 1628 in der Mitte der großen Halle des Turiner Kastells ein hochseetaugliches „Schiff der Fröhlichkeit“ in Originalgröße aufbauen, auf dem ein Essen für die zukünftige Regentin und ihre Gäste gegeben wurde. Anschließend wurde auf einer ebenfalls im Saal errichteten Bühne die Oper „L‘Airone“ gespielt, die die Gäste vom Schiff aus verfolgen konnten. Die Zeichnung von Giovenale Boetto, die das beeindruckende Schauspiel festhielt, gilt seit dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls als verschollen. Jedoch konnte die Darstellung durch einen Abdruck in einem Buch aus dem 1920er Jahren gerettet werden.

Inszenierung von Feuerwerken

Umso mehr von ihrer vergänglichen Seite zeigten sich auch die zahlreichen Feuerwerke, die neben ihrer Rolle als Bestandteil der Feierlichkeiten zugleich auch der Erprobung und Zurschaustellung militärischen Könnens dienten. Für die Baumeister jener Epoche entstand mit der Gestaltung von Feuerwerkstürmen zugleich ein vollkommen neuer Bautypus: Von ihrem Aufbau den Türmen von Kathedralen nicht unähnlich, wurden auf ihren unterschiedlichen Ebenen bis hinauf zur Spitze die jeweiligen Effekte gezündet. Platziert im Ehrenhof des Turiner Kastells, der auf einer Seite zur Stadt hin geöffnet ist, konnte das Feuerwerk auch von den Bürgern der Stadt verfolgt werden. Die Festkultur des Hofes wurde somit zu einem öffentlichen Event, das zugleich auch deren Herrschaftsanspruch unverkennbar demonstrierte.  

Ephemere Bauten

Als das Herzogtum Savoyen-Piemont mit der Eroberung Siziliens 1713 durch Victor Amadeus II zum Königreich aufstieg, wurden die Feierlichkeiten endgültig über das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet. Für die Hochzeit seines Erben Carlo Emanuele III. di Savoia  und Luisa Christina di Sultzbach 1722 wurden nicht nur die Straßen und Häuser geschmückt, sondern auch bestehende Gebäude durch künstliche Fassaden verändert oder Straßenzüge mit eigens errichteten Bögen erweitert. Als Höhepunkt wurde die barocke Schauseite des Palazzo Madama mit einer zweiten, vorgehangenen Fassade aus bemaltem Öltuch verhüllt. Als am Abend während der Feierlichkeiten die Treppenhäuser und Säle des Palazzo hell erleuchtet waren, wurde die gemalte Fassade transparent und erzeugte ein interessantes Wechselspiel zwischen alt und neu, Illusion und Wirklichkeit.

Phantasie des Betrachters


Auch wenn bei weitem nicht mehr darstellbar ist, was sich tatsächlich damals in den Räumen des Palazzo Madama und all den anderen europäischen Fürsten- und Königshäusern abgespielt hat, lebt die Zeit der barocker Feste in der Phantasie des Betrachters weiter. Das Fest an sich hat unterdessen auch heute seinen Widerklang gefunden: In Form von extravaganten Events, mit denen sich nicht zuletzt Unternehmen aus der Mode- und Lifestyle-Branche inszenieren wie einst die Monarchen des Barock. Die Definition des Göttlich-Leuchtendem mag sich geändert haben. Die Sehnsucht nach der Party sicher nicht.



„Feste Barocche“ noch bis zum 05.07.2009 im
Palazzo Madama, Piazza Castello, Turin
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Links

Palazzo Madama Turin

www.palazzomadamatorino.it

Fondazione Torino Musei

www.fondazionetorinomusei.it

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