Der Klüngel ist aus – Die Kölner Möbelmesse 2009
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Zehn Prozent weniger Besucher und über fünfzehn Prozent weniger Aussteller lautet das nüchterne Resultat der Kölner Möbelmesse „imm cologne 2009“, die an diesem Sonntag zu Ende ging. Während in vielen Hallen gähnende Leere herrschte, vermochten nur wenige der verbliebenen Aussteller mit neuen Ideen zu begeistern. Auch der Versuch, die leer gebliebenen Messestände mit großformatigen Kunstausstellungen zu kaschieren, könnte über den offensichtlichen Bedeutungsverlust der Messe nicht hinwegtäuschen. Der Gewinner dieser Entwicklung: Die fast zeitgleich stattfindende Pariser Möbelmesse „Maison & Objet“, die der imm cologne gleich dutzendweise ausländische Aussteller abwerben konnte. Für Abwechslung sorgte am Rhein unterdessen erneut das „Passagen“-Programm, das in diesem Jahr zugleich seinen 20. Geburtstag feiern konnte. Doch auch die Präsentationen der vielen jungen Designer blieben auffallend brav.
Eigentlich sollte man ein wenig Mitleid haben mit der altehrwürdigen Kölnmesse, der in diesem Jahr die Aussteller und Besucher davonlaufen sind wie den großen Volksparteien ihre Mitglieder. Erst recht, wenn man die ruhmreiche Vergangenheit der „Visiona“-Ausstellungen in Erinnerung ruft, auf denen einst Designer wie Joe Colombo und Verner Panton in den sechziger und siebziger Jahren die Zukunft des Wohnens neu gedacht haben: in Köln! War die Stadt in jenen Jahren tatsächlich Mittelpunkt der Designwelt, ist sie heute kaum mehr als ein Nebenschauplatz. Kamen zur imm 2008 noch über 107.000 Besucher, liegt die offizielle Zählung für 2009 bei lediglich „rund 100.000“. Angesichts dieser auffällig abgerundeten Zahl scheint der Verdacht nahe, dass die Wahrheit wohl eindeutig im fünfstelligen Bereich anzusiedeln ist. Zum Vergleich: Die Mailänder Möbelmesse kam 2008 mit 348.000 Besucher auf mehr als das Dreifache.
Der Preis der Arroganz
Dabei ist die imm cologne am eigenen Bedeutungsverlust nicht ganz ohne Mitschuld. Noch bis zur Jahrtausendwende war das Vergabeverfahren für die Ausstellungsflächen in Halle 11, dem Ort, der für Jahrzehnte als Mekka designorientierter Unternehmen galt, ein undurchschaubarer Sumpf. In bester Kölner Klüngelmanier wurden einige deutsche Aussteller von nicht immer nachvollziehbarer Qualität bevorzugt, während man gegenüber vielen ausländischen, allen voran den italienischen Ausstellern, überaus arrogant und herablassend auftrat. Solange die deutschen Zugpferde in Köln präsent waren, konnte man sich diese Politik erlauben. Doch nachdem bereits 2008 Unternehmen wie Thonet die Messe verlassen haben, und dieses Jahr mit Vitra sogar der prominenteste deutsche Aussteller Köln den Laufpass gegeben hat, ist die Messe mehr den je auf den Input ausländischer Hersteller angewiesen. Doch diese gaben – anstatt für Köln nun in die Bresche zu springen – der imm 2009 den kollektiven Dolchstoß: Gleich mehrere Dutzend italienischer Unternehmen, darunter Zanotta, Magis und Bonaldo, sind geschlossen nach Paris gegangen. An der Seine rollte man ihnen mit eigens engagierten italienischen Ansprechpartner für Aussteller und Presse dagegen großzügig den roten Teppich aus, während sie in Köln das Gefühl hatten, wie Bittsteller behandelt zu werden. In Zahlen gemessen drückt sich der Rückgang kaum weniger dramatisch aus: Kamen 2008 noch 1.251 Aussteller auf die imm, waren es 2009 lediglich 1.057.
Der Kampf mit der Lücke
Die einst so stolze Halle 11 wurde 2009 zu einer wahren Geisterstadt, in der die wenigen, verbliebenen Aussteller mitunter reichlich verloren wirkten. Um den Leerstand zu kaschieren, musste nun die Kunst herhalten. Die Messebesucher kamen somit unfreiwilliger Weise in den Genuss einer großen Soloausstellung des holländischen Künstlers Joep van Lieshout, der die zahlreichen unvermieteten Stände mit seinen großformatigen Skulpturen füllte. Dass sich dieser mit seinen Arbeiten auf ironische Weise mit dem Kreislauf des Lebens beschäftigt und die Alltagskultur mit scheinbar funktionalen Gegenständen aus Pappmaschée auf Korn nimmt, ließ die Szenerie der unterbesetzten Messe umso absurder erscheinen. Enttäuschend auch die „Composite Lounge“ des New Yorker Designers Stephen Burks. Von der Messe vorab als „kreativer Höhepunkt“ lautstark beworben, musste dieser seine Installation an der unattraktivsten Stelle der gesamten Halle 11.1 aufbauen – eingepfercht zwischen Lastenaufzügen und den Rückseiten dreier Stände unbedeutender Aussteller – so dass die Wirkung seiner konsumkritischen Arbeit vollends verpuffte.
Die Trends der imm 2009
Burks war jedoch auch an anderer Stelle präsent: Als Mitglied des Trendboards erarbeitete er im Auftrag der Messe zusammen mit den Designern Arik Levy und Eero Koivisto, Farbexperte Giulio Ridolfo sowie „Dezeen“-Begründer Marcus Fairs die alljährliche „Trendbibel“, mit der sich die imm am Puls der Zeit definieren möchte. Die vier vorgeschlagenen Themen – „Extra Much“, „Near and Far“, „Tepee Culture“ und „Re-Run-Time“ wirken allerdings auch in ihrer detaillierten Erklärung so vage und austauschbar wie ihre Namen. In einem Punkt behält die Trendjury jedoch eindeutig Recht: Es ist spürbar, dass in unruhigen Zeiten das eigene Zuhause eine größere Bedeutung erfährt und vor allem warme und natürliche Materialien wieder hoch im Kurs stehen. Die Bezugsstoffe der Polstermöbel, die mit runden, weichen Formen einladend wirken, fallen wieder etwas rauer und haptischer aus – wie schon einst in den krisengeplagten siebziger Jahren. Die bestimmende Farbe der Interieurs ist neben dunklen Holztönen vor allem Weiß, während im Polsterbereich auch gerne Türkis mit erdigen, schlammigen Tönen kombiniert wird. Passend zum Rückzug in das private Heim erleben auch Kamine und offene Feuerstellen eine neue Blühte, ausgeführt in cleanem, technischen Design aus Stahl und Glas.
Die Highlights der Messe
Eine Weiterentwicklung ihrer Algen haben Erwan und Ronan Bouroullec für Kvadrat präsentiert. Ihre Clouds sind mit festem Stoff bespannte Module, die mittels Klettverschluss zu großen zusammenhängenden „Wolken“ verbunden werden und als Raumteiler, Wandschmuck oder Sichtschutz dienen. Wiederauflagen spielten auf der diesjährigen imm ebenfalls eine entscheidende Rolle. So nahm Classicon gleich eine ganze Serie von Entwürfen des brasilianischen Designers Sergio Rodrigues ins Programm, darunter dessen Fell-bespannter Stuhl „Kilin“ von 1973. Wilkhahn legte den "Dreibeiner" von Walter Papst wieder auf, einen der ersten Entwürfe des 2008 verstorbenen Gestalters aus dem Jahr 1955. Auf puristische Eleganz setzte Peter Maly mit seinem Beistelltisch Tosai für das japanische Label Condé House. Modularität war dagegen bei COR besonders gefragt, dessen Sofasystem „Kelp“ durch Module mit verschiedenen Breiten, Sitztiefen und Armlehnen endlos erweitert werden kann. Auch das Regalsystem "SH05 ARIE", das Arik Levy für e15 entwarf, zeigt sich flexibel und kann entlang der Wand oder orthogonal um die Ecke geplant werden. Auf eklektische Vielfalt setzte das schwedische Designteam wis design mit seiner Kommode "collect" für Schönbuch, deren Schubladenfronten einen eigenwilligen Mix aus Buchen-, Eichen-, Ahorn-, Nussbaum- und Wengéholz erzeugen. Elegant auch der filigrane Sekretär „Split“ für das Homeoffice, entworfen von Meike Rüsser für Ligne Roset. Den Trend zu Gartenmöbeln mit Wohncharakter hat Patricia Urquiola mit ihren Gartenstuhl „Crinoline“ für B&B Italia fortgesetzt, der von Motiven traditioneller Flechtkunst in Indonesien inspiriert wurde. Ein Sofa zum Versinken präsentierte Kati Meyer-Brühl mit „Ladybug“, das eine weich geschwungene Rückenlehne mit einer flachen Ablagefläche kombiniert.
Ergänzendes Passagenprogramm
Die Passagen, einst gestartet als kleines Off-Rahmenprogramm parallel zur Messe, sollten in ihrem 20. Jubiläumsjahr noch größer, noch lebendiger und noch schöner werden – so zumindest das Versprechen der Initiatorin und Ausrichterin Sabine Voggenreiter. Angesichts solcher Vorankündigungen konnte das Gezeigte sowohl an Qualität als auch an Innovation und Besucherzahl nur hinter den Erwartungen zurückbleiben. Dabei gab es durchaus einige vielversprechende Ansätze und Ideen zu sehen wie das „Global Food Project“ von Mike Meiré. Der umtriebige Kreative zeigte in Kooperation mit Dornbracht zahlreiche Straßenküchen aus Ländern wie Uganda, China, Mexiko, Vietnam oder Argentinien. Eigens für diese Ausstellung gekauft und importiert – letzterer Aspekt laut Meiré die größte Schwierigkeit des Projektes – wurden diese in einem Industriebau im Kölner Viertel Ehrenfeld wie in einem Museum inszeniert. Platziert vor weißen Wänden zeugen sie von einer eigenständigen gestalterischen Qualität, wenngleich diese in ihrer Herstellung kaum beabsichtigt war. Design, so die Botschaft dieser Arbeit, wird als etwas dem Alltag Immanentes erklärt. Etwas, das auch ohne das Einwirken von Gestaltern geschieht und mitunter dennoch sehr poetische Momente entfalten kann.
Dichtes Gedränge am Abend
War der Andrang zu seiner Vernissage am ersten Messetag enorm – was im Vergleich zum trüben Geschehen der Messehallen umso mehr ins Auge fiel – herrschte auch am Abend des zweiten Messetages dichtes Gedränge in den Spichernhöfen, wo Boffi, Tobias Grau und B&B Italia ihre Neuheiten präsentierten. Auf der „Designer‘s Fair“ im „Rheintriadem“ am Konrad-Adenauer-Ufer zeigten zahlreiche junge Gestalter ihre Arbeiten, darunter auffallend viele Entwürfe in Porzellan. Weit weniger zerbrechlich ging es unterdessen in „Halle Elf“ zu, einem ehemaligen Speicher im Rheinauhafen und nicht zu verwechseln mit der „Halle 11“ auf dem Messegelände. Unter der Regie von Arik Levy entwickelten hier 31 Nachwuchsdesigner Wohnkonzepte aus vorgegebenen Materialien, die als „Cologne Guesthouse“ in einer 500 Quadratmeter großen denkmalgeschützten Säulenhalle gezeigt wurden. Levy verglich das Konzept des Cologne Guesthouse mit einem Marathon, bei dem alle Teilnehmer die gleichen Bedingungen haben. Das Ziel war es, in der gleichen Zeit, dem gleichen Raum und der gleichen Menge an Material individuelle Lösungen zu finden. Die Ergebnisse waren zum Teil erstaunlich, zum Teil einfach nur nett. Denn die 50 Quadratmeter Wabenplatten, 20 Meter Klebeband und zehn Kilogramm Heißkleber wurden häufig zu einem bunten Potpourri zusammengebastelt und luden trotz Dauerbeschallung der eigens engagierten DJs nur bedingt zum Verweilen ein. Neben den Entwürfen der Jungdesigner waren in Halle 11 – im Übrigen ein Gemeinschaftsprojekt der Koelnmesse, Design Post, Spichern Höfe, KAP Forum, Sabine Voggenreiter und dem Kölner Einrichtungshaus Pesch – auch die jüngsten Werke von Arik Levy selbst zu sehen. Doch nicht nur die Idee des Guesthouses Cologne war neu und ein Versuch, die imm cologne für Besucher besser abzurunden. Neu war auch die „CHAIR/iTY“-Aktion, bei der alte Stühle plus einer Spende von 100 Euro gegen 200 Designer-Stühle getauscht werden konnten und unter dem Motto „Design hilft“ einem gemeinnützigen Verein gegen Kinderarmut in Köln zugute kommt.
Kommunikative Plattform
Dennoch war auch hier immer wieder jene Frage zu hören, die die Stimmung der diesjährigen imm auf den Punkt brachte: Sollen wir wiederkommen? Der Lockruf von Paris ist laut in diesen Tagen und nicht wenige geben auch offen zu, ihm im kommenden Jahr zu folgen. Köln abzuschreiben, wäre allerdings ein wenig zu vorschnell gehandelt. Schließlich entwickelt die Stadt in diesen Tagen eine Qualität, die unter all den Unkenrufen beinahe untergeht: Auf keiner anderen Möbelmesse haben die Besucher derart viel Zeit, sich zu treffen, miteinander auszutauschen, gemeinsam zu frühstücken und nebenbei so manche Pläne für das neue Jahr zu schmieden. Wer die Chaostage der Mailänder Möbelmesse im April gut kennt, weiß diese Phase der Ruhe zu schätzen. Vielleicht liegt darin letztendlich auch die Zukunft der imm cologne: Sie sollte sich weniger als trendige Messe inszenieren – die sie definitiv auch nicht mehr werden wird – sondern vielmehr als eine Art kommunikative Drehscheibe verstehen, an der Designinteressierte bei Konferenzen, Diskussionsrunden und Ausstellungen zusammentreffen können wie schon jetzt allabendlich in der legendären Sixpack-Bar in der Aachener Straße. Darauf bitte unbedingt ein Kölsch.
Links
imm cologne
www.imm-cologne.deInterview Stephen Burks
Der New Yorker Designer über seine "Composite Lounge" auf der imm cologne 2009
www.designlines.deInterview Giulio Ridolfo
Giulio Ridolfo über Farbe als zweite Haut, nationale Identitäten und das Grau von Berlin.
www.designlines.deMehr Stories
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