Alte Bekannte, neue Gesichter – Design Miami Basel 2013
Die achte Ausgabe der Sammlerschau Design Miami Basel debütierte in neuen Räumen: in der von Herzog & de Meuron erbauten Halle 1 der Basler Messe. Der Schwerpunkt auf Arbeiten der dreißiger bis fünfziger Jahre wurde um bislang weniger ausgeschöpfte Namen erweitert, während das zeitgenössische Design mit opulenten, sinnlichen Oberflächen köderte.
Sie ist klein, hochpreisig und ein Stück weit auch skurril. Seit acht Jahren bildet die Design Miami Basel eine Plattform, die sich von der Maschinerie der großen Möbel-, Licht- und sonstigen Designmessen unterscheidet. Sind diese naturgemäß der Präsentation von Neuheiten verpflichtet, ist das Spektrum der Sammlerschau weiter gefasst. Das Neue wirkt nicht für sich alleine oder erhält allein durch seine Aktualität Berechtigung. Es muss sich an Klassikern, Unikaten und unbekannten Kleinserien messen lassen – und manchmal sogar an ganzen Häusern.
Auch in diesem Jahr hat der Pariser Galerist Patrick Seguin eine mobile Architektur von Jean Prouvé mit an den Rhein gebracht. Das 57 Quadratmeter große Maison des Jours Meilleurs (Haus der besseren Tage), das 1954 auf der Pariser Möbelmesse am Quai Alexandre III. präsentiert wurde, zieht gleich am Eingang der Halle 1.1 die Blicke auf sich. Seine Besonderheiten sind nur nur hölzerne Wände und sanft abgerundete Ecken. In der Mitte des offenen Raumes wurden Badezimmer und Toilette in einer freistehenden, grünen Kapsel untergebracht, die zugleich eine statische Funktion im kompakten Wohnen übernahm.
Abseits vom Standard
Diesem Bau widerfuhr dasselbe Schicksal wie fast allen Architekturen Jean Prouvés: Mit seinem visionären Ansatz, das Badezimmer als freistehende Kapsel zu inszenieren, widersprach es den Standards der Behörden, die folglich die Zulassung zur Serienproduktion verweigerten. Das Gebäue, das selbst der kritische Le Corbusier als „schönstes Haus, das je gebaut wurde“ bezeichnete, war in einem erstaunlich guten Zustand zu sehen und hätte schon allein die Reise nach Basel gerechtfertigt.
Anders als im Vorjahr waren Einzelpräsentationen an den übrigen Ständen rar gesät. Der Fokus auf die dreißiger bis fünfziger Jahre blieb zwar weiterhin bestehen. Doch es mischten sich auch weniger bekannte Namen unter die Ikonen von Prouvé, Perriand, Mollino oder Gray. Pionierarbeit im wahrhaftigen Sinne leistete der Pariser Galerist Pascal Cuisinier, der zum ersten Mal auf der Design Miami Basel vertreten war. Sein Schwerpunkt bilden die fünfziger Jahre des französischen Designs, das anders als die modernistischen Formen vermuten lassen fast ausschließlich in Kleinstserien oder Unikaten arbeitete.
Astronomisches Sitzen
Der Sessel Saturn (1954) von Geneviève Dangles und Christian Defrance zog gleich im Doppelpack die Blicke auf sich. Das Möbel kombiniert eine runde, gepolsterte Sitzfläche mit einem umlaufenden Ring, der aus einem holzbasiertem Kunststoff gefertigt und anschließend ebenfalls mit einem dünnen Polster überzogen worden war. Der Reiz der Arbeit liegt in ihrer Leichtigkeit und Skulpturalität, die ihrer Zeit um mindestens eine Dekade voraus war. Für das Designerduo Dangles-Defrance zählt der Sessel zu den wenigen eigenen Möbelarbeiten, bevor sie sich ab Ende der fünfziger Jahre ausschließlich der Inneneinrichtung verschrieben.
„Es ist schwer, über Namen wie diese etwas herauszufinden, da es kaum Literatur gibt. Selbst die Designer haben ihre Arbeiten nur unzureichend dokumentiert, während Hersteller meist nicht involviert waren“, erklärt Pascal Cuisinier. Den Preziosen auf die Schliche zu kommen, erfordert präzise Detektivarbeit und eine gewisse Portion Glück. Aufschluss über die Provenienz geben oft nur Magazine aus der Entstehungszeit, von denen Cuisinier ein umfangreiches Archiv besitzt. Ein Fundstück, das er auf diese Weise identifizieren konnte, ist das multifunktionales Möbel La Banquette von Pierre Paulin. Der Entwurf aus dem Jahr 1953 ist Sofa und Beistelltisch in einem und mag mit seiner kubischen Gestalt so gar nicht zu Paulins organischen Arbeiten der sechziger Jahre passen. Die Dimensionen der hölzernen Ablagefläche sind so gewählt, dass die beiden Rückenkissen genau hineinpassen und das Sitzmöbel in ein elegantes Tagesbett verwandelt werden kann.
Kalkulierte Werte
Das Zeitgenössische steht im Sammelmarkt von Natur aus unter Zugzwang. Denn anders als in der Kunst, wo bereits ein Name die Preiskategorie der Arbeiten definieren kann, werden im Design noch andere Parameter hinzugezogen. Neben einer geringen Auflage rücken die Materialität sowie die investierten Arbeitsstunden in den Fokus, um den Wert der Dinge zu bestimmen. Der Planetarium Screen (2013, Galerie BSL Paris) des algerischen Gestalters Taher Chemirk verbindet ein Gestell aus Messing mit 2230 Achatscheiben, die sich wie die Augen von Pfauenfedern im Raum aufstellen. Und der spanische Gestalter Tomás Alonso kooperierte für sein Tea Set (2012, Galerie Victor Hunt) mit der Wiener Silbermanufaktur, um den Preis von 12.000 seine Berechtigung zu geben.
Wie aus einer vergleichsweise hohen Auflage von 99 Exemplaren dennoch Unikate zu destillieren sind, zeigt der belgische Designer Sylvain Willenz mit seinen Block Containers (2013, ebenfalls für die Brüssler Galerie Victor Hunt). Die gläsernen Tabletts, Schalen und Vasen werden erst nach dem Kauf von einer böhmischen Glasmanufaktur angefertigt. Der Clou liegt in einer ungewöhnlich breiten Palette von mehr als 150 Farben. Treffen die Kunden die richtige Auswahl, erhalten ihre neu erworbenen Trophäen tatsächlich den Charakter eines Unikats – vorausgesetzt, kein anderer Käufer teilt denselben Farbgeschmack.
Reiz der Oberfläche
Auf Farbe setzt auch die Galerie Carwen aus Beirut mit den Arbeiten der Pariser Architektin und Designerin India Mahdavi. Ihre Landscape Tables (2013, je nach Größe zwischen 22.000 und 38.500 Euro) kombinieren einen Sockel aus massivem Messing mit einer Tischoberfläche aus rautenförmigen Kacheln. Gefertigt wurden die Keramikplatten von der türkischen Manufaktur Iznik, die im Mittleren Osten als erste Adresse bei der Ausstattung von Moscheen und prestigeträchtiger Bauten gilt. Das Ergebnis ist bunt, poppig und wirkt mit seinen leicht pastelligen Tönen wie eine Miami-Vice-Requisite auf einem Kindergeburtstag.
Eine Verschmelzung von Zeit und Raum wurde ebenso geboten, indem zwei Galerien mit kaum gegensätzlicher denkbarem Programm – die Pariser Galerie Steinitz mit einem Schwerpunkt auf Möbeln des 18. Jahrhunderts und die aufs Zeitgenössische fokussiere Carpenters Workshop Gallery (London, Paris) – einen gemeinsamen Stand bestritten. Stilecht wurde kein White Cube in den Basler Messehallen aufgebaut, sondern ein bühnenartiges Apartment mit reich verzierten Eichenwänden. Und so verbanden sich prachtvolle Kommoden, orientalische und chinesische Antiquitäten mit Arbeiten von Robert Stadler, Atelier Van Lieshout und Mathieu Lehanneur zu einer Melange, als hätte Gianni Versace einen Einblick in seine Privatgemächer gegeben. Den Mittelpunkt der Schau bildete ein aus Bronze gefertigter Schrank von Studio Job, der aus einem Modell der Kathedrale von Chartres herauswächst und mit seinem offensichtlichen Hang zum schlechte Geschmack genau das Gegenteil bewirkt.
Mut zum Standpunkt
Gewiss, auch auf dieser Schau wurde das Wohnen nicht neu erfunden. Doch es ist beeindruckend, mit welcher Lässigkeit und Nonchalance ein gläserner Schreibtisch von Gio Ponti (1939, Galerie Nilufar Mailand) oder der mit Kordeln bespannte Sessel PK 25 von Poul Kjærholm (1951, Galerie Dansk Møbelkunst Paris) fast die gesamte Neuheitenflut der letzten Mailänder und Kölner Möbelmessen an die Wand spielen. Inmitten eines Sammlerbiotops mit Hang zum Retrospektiven war zu finden, woran es dem Design der Gegenwart mangelt: Standpunkte.
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