Design Miami Basel 2017: Neo-Romantik
Zwischen Zeitgeist und Eskapismus: die Entdeckungen der Basler Sammlermesse.

Zwischen Zeitgeist und Eskapismus: Auf der Sammlermesse Design Miami Basel reihen sich Designikonen neben seltene Fundstücke und limitierte Editionen von heute. Im Fokus: Noch unverbrauchte Meister des Mid-Century, raffinierte Raumteiler und auffallend viele Architekten, die die luxuriöse Kleinserie als Spielwiese für ihre Ideen gebrauchen.
In einer schwarzen, fast leeren Messehalle steht eine Gruppe von Schreibtischen, in drei Reihen aufgestellt wie in einem überdimensionalen Klassenzimmer. Das Ausstellungsformat Design at Large liegt diesmal in den Händen des Männer-Modedesigners Thom Browne. Der New Yorker hat nicht nur den Businessanzug entstaubt, sondern ebenso mit ungewöhnlichen Modenschauen für Aufsehen gesorgt. Die Requisiten seiner 2014er-Herbst-Winterkollektion hat er gleich mit nach Basel genommen: eine Landschaft mit Bäumen, Flusslauf, Brücken und zahlreichen Tieren, die allesamt aus feinem Nadelstreifen-Zwirn gefertigt sind und einen düster-romantischen Hintergrund für das Schreibtisch-Ensemble gegenüber setzen.
Die Echtheit des Objekts
Typisch für Brownes Inszenierungen ist das Wechselspiel aus Individualität und Uniformität, das nun auf den Arbeitsplatz übertragen wird. Das Schreibtisch-Ensemble umfasst Entwürfe wie den puristischen Desk CM141 von Pierre Paulin (1954), den hocheleganten Glastisch PDG von Pierre Guariche (1961) oder Ron Arads dynamisch-skulpturalen Two Legs and a Table (1991). Der Rückblick auf fast hundert Jahre Designgeschichte wird hier anhand einer Möbeltypologie vollzogen, die keineswegs nur dem Erledigen von Papierkram, sondern ebenso der Repräsentation dient. In Zeiten der Digitalisierung schwingt an dieser Stelle unweigerlich eine Spur von Nostalgie mit. Und das soll es auch: Die Design Miami Basel feiert das Physische und Greifbare, die Echtheit des Objekts.
Fokus auf die Moderne
Der Schwerpunkt der Messe liegt auch weiterhin auf der Mitte des vorherigen Jahrhunderts. Neben den üblichen Verdächtigen haben diesmal jedoch zwei Namen auffallend an Boden gewonnen. Zum einen das Architekturbüro BBPR, Erbauer des von mittelalterlichen Giebelhäusern inspirierten Torre-Velasca-Hochhauses (1954-1958) in Mailand. Am Stand der Designgalerie Nifular werden die Sessel Elettra (1956) sowie ein Regal (1941) präsentiert, das mit seinen Y-förmigen Trägern zugleich ein wesentliches Konstruktionsmerkmal des Torre Velasca vorwegnimmt. Die Galerie Casati aus Chicago setzt einen Loveseat (1953) von BBTR prominent in Szene – inmitten eines von Philippe Nigro gestalteten Stand. Der zweite Name, der einem beim Rundgang häufig begegnet, ist Ico Parisi. Gleich mehrere Galerien präsentieren die zurückhaltenden wie filigranen Möbel des italienischen Architekten, der viel zu lange im Schatten prominenter Zeitgenossen wie Gio Ponti oder Carlo Mollino stand.
Raffinesse in Holz
Die brasilianische Moderne ist bei der Galerie Mercado Moderno aus Rio de Janeiro zu finden. Eine Entdeckung ist der Namoradeira Rocking Chair von José Zanine Caldas aus den frühen Siebzigerjahren. Der schaukelnde Loveseat ist in einem Stück aus einem Vinagreirabaum gefertigt worden. Der Clou: Die runde Außenkante des Stammes ist beibehalten worden und verleiht dem Möbel schließlich seine Beweglichkeit. Ebenfalls am Stand von Mercado Moderno ist der Pantographic Screen (1950) von Joaquim Tenreiro zu sehen: ein aus verschränkten Holzleisten gefertigter Paravent, der Blicke freihält und dennoch das Licht passieren lässt. Das Möbel wartet mit den Qualitäten eines Reliefs auf und stiftet jedem Raum auf Anhieb Atmosphäre.
Fokussierung auf die Wand
Raumteiler stehen auf dieser Messe ohnehin hoch im Kurs: Die New Yorker Galerie Chambers zeigt Oskar Ziętas metallenen Paravent Flamed Gold Sonar (2016) aus luftgefüllten Edelstahlblechen. Ebenfalls aus Stahl ist der Large Screen (1970) des griechisch-französischen Designers Philolaos Tloupas, der am Stand der New Yorker Magen H. Gallery präsentiert wird und mit seiner unregelmäßig gefalteten Oberfläche einen dynamisch-unsteten Effekt bewirkt. Auf Zeitreise begibt sich Wycliffe Stutchbury mit dem Paravent Annie’s Wood/Hundred Foot Drain (2017), dessen Seitenflächen mit gealterten Eichenholz-Plättchen ausstaffiert sind. „Die Herkunft des Materials ist essentiell für meine Arbeit. Das können ausrangierte Holzböden aus einem viktorianischen Terrassenhaus sein oder alte Gartenzäune oder Tore, bei denen der besondere Sinn des Ortes spürbar ist“, erklärt der 1965 geborene Gestalter, warum er die Zeichen der Zeit in seine Entwürfe einflechtet.
Sottsass Forever!
Auch die Postmoderne hat in der Sammlergunst deutlich zugelegt. Am Stand der Kölner Ammann Gallery sind Alessando Mendinis von Hand getupfter Proust Chair (1979) sowie der Wandteppich Balletto Geometrico von Andrea Branzi (1980) zu sehen. Ettore Sottsass wird anlässlich seines einhundertsten Geburtstags mit einer Solo-Show am Stand der New Yorker Galerie Friedman Benda geehrt. Vor einer stattlichen Reihung großformatiger Glasvasen werden die totemartigen Schrankserien Cabinet no. 81 (2005) und Cabinet (1964) aufgereiht. Letztere wird zum ersten Mal seit ihrer Premiere in der Öffentlichkeit gezeigt und unterstreicht – genau wie der nur wenige Meter weiter präsentierte Schrank La Casa con la Bambina Cinese (1962) am Stand von Giustini Stagetti – Galleria O.– wie der Mailänder Gestalter die Ästhetik der später von ihm gegründete Memphis-Gruppe um fast zwei Dekaden vorwegnahm.
Japanischer Jugendstil
Natürlich dürfen auch neue Arbeiten in Basel nicht fehlen. Der Pariser Galerist Philippe Gravier zeigt das Bücherregal Forest of Books von Sou Fujimoto. Das Möbel verfügt über ein Gestell aus identischen, dünnen Eisenstäben, die um einen Edelstahlring herum geordnet sind. „Die vertikalen Eisenstäbe erinnern an Eisenarbeiten aus der Zeit des Art Nouveau. Diese Reinterpretation einer alten Technik – Balustraden mit weichen Kurven, die an die Natur erinnern – verweist auf unterschiedliche Epochen und verbindet sie miteinander“, erklärt der japanische Architekt. Die Möbel sind keine wuchtigen Kästen, sondern leichte, durchsichtige Metallstrukturen, in die Bücher locker eingesteckt werden können und die ihre Anmutung je nach Art der Bestückung stark variieren.
Wohnen auf dem Mars
Gleich eine ganze Möbelkollektion hat MAD-Architects-Gründer Ma Yansong für die in Peking und Los Angeles ansässige Gallery All entworfen. „Wenn wir eines Tages auf den Mars fliegen, brauchen wir natürlich auch Möbel. Und genau die habe ich mir vorgestellt“, umschreibt der umtriebige Chinese seinen Ansatz. Beim Martial Dining Table wird die Tischplatte von einer auf den Kopf gestellten Hügellandschaft ausbalanciert. Das wirkt dynamisch, doch zugleich zu nah an den Tischen von Zaha Hadid, bei der Yangsong sein gestalterisches Handwerk erlernte. Hadid ist übrigens auch in Basel vertreten: Der auf Vintage-Autos spezialisierte Händler Rovecars zeigt die Prototypen Z-CAR I und Z-Car II, die 2005-2008 als PS-getriebene Kurvenwunder entwickelt wurden und eindeutig belegen, dass erfolgreiche Baumeister noch lange keine virtuosen Autogestalter sind.
Kristall aus dem 3D-Drucker
Einen Ausblick in die Zukunft gibt das japanische Designkollektiv Takt Project zusammen mit Swarovski. Für die Vase Ice Crystal kam ein Verfahren zum Einsatz, das vom Start-up-Unternehmen MICRON3DP in Tel Aviv entwickelt wurde und erstmals den Einsatz von Kristallglas im 3D-Druck erlaubt. „Man erkennt die einzelnen Ebenen, in denen der Laser arbeitet. Bei anderen Produkten mag das stören. Doch hier wollte ich daraus etwas Positives machen und einen neuen Lichteffekt erzeugen“, erklärt Takt-Project-Gründer Satoshi Yoshiizumi, der zusammen mit den Gestaltern Jimenez Lai und Marjan van Aubel den diesjährigen Designers of the Future Award von Swarovski gewonnen hat.
Emotionale Ebene
Was bleibt von dieser Messe: Zum einen die Gewissheit, dass uns die Vergangenheit auch weiterhin nicht loslässt. Selbst Architekten wie Sou Fujimoto predigen keine Askese, sondern wandeln auf den Pfaden des Romantischen und Nostalgischen. Das Digitale hat deswegen keineswegs ausgedient. Es wird vielmehr als ein selbstverständliches Werkzeug eingebettet, um auf einer emotionalen Ebene zu spielen und mit den Dingen Geschichten zu erzählen.
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