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Designmai 2007

von Designlines, 22.05.2007

Digitale Fähigkeiten -Digitalability- war das Motto des diesjährigen Designmai in Berlin, der vom 12. bis 20. Mai aktuelle Entwicklungen und Tendenzen der nationalen und internationalen Designszene präsentierte. Anders als im letzten Jahr gab es keine zentrale Ausstellung mehr, sondern viele über die Stadt verteilte Anlaufpunkte. Der fünfte Designmai kehrte damit zu seinen Anfängen zurück und stellte die lebendige Struktur der Berliner Designszene wieder in den Mittelpunkt.
Eine Reise wie eine Schnitzeljagd
Jeder Ort ist gekennzeichnet mit einer Fahne in modischem Hellgrün – der Farbe des Designmais. Über die gesamte Stadt verteilt weisen sie, dem dezentralen Verteilungsprinzip entsprechend, den Weg zu den einzelnen Präsentationen – vom trendigen Mitte bis hin zum bürgerlichen Zehlendorf.
Direkten Bezug auf den Veranstaltungstitel nahm die Ausstellung des zentralen Designmai Forums, das die Auswirkungen moderner Fertigungsprozesse wie Rapid Prototyping auf die Gestaltung präsentierte. Eine spannende Ausstellung über die recht junge und noch teure Technologie, in der amorphe und komplex gestaltete Einrichtungsaccessoires vorgeführt werden. Als am Rechner entwickelte und über 3D-Drucker reproduzierte Entwürfe sind sie Ausdruck aktueller technischer Möglichkeiten, lassen sich jedoch in Punkto Sinnhaftigkeit nicht selten mit einem großen Fragezeichen versehen.
In der Gegend rund um den Hackeschen Markt luden auch weitere Stationen ein. So schloss sich beispielsweise die Ausstellung „Epiphyten“ im alten Postfuhramt an der Oranienburger Strasse mit ihren polymorphen Zuchtmöbeln aus Corian ebenfalls dem diesjährigen Thema der „Digitability“ an. Ganz weit im Süden Berlins, in Zehlendorf Dahlem, lud das Haus am Waldsee zu der Ausstellung „Full House“ ein und ließ die Wohnräume der ehemaligen Villa wieder aufleben, indem verschiedene Designer und Künstler die Räume ihrer ehemaligen Funktion gemäß wieder neu einrichteten. Im Garten der Villa mit einer Tasse Cafe oder einem Glas Wein in der Hand ließ sich der ganze Designrummel gut vergessen, wenn nicht das Gefühl gewesen wäre, etwas zu verpassen, was am anderen Ende der Stadt in jenem Moment statt fand. In Charlottenburg flatterten diesmal aber deutlich weniger grüne Fahnen als noch im vergangenen Jahr, da einige Hersteller dem Designmai den Rücken kehrten. Dennoch luden Kahla, BMW sowie Bisazza wieder zum Cocktail ein und zeigten ihre aktuellen Produktneuheiten. Im Foyer des Stilwerk läuft noch bis zum 26. Mai die Ausstellung Intercity Praha-Berlin, wo junge Designer aus beiden Städten ihre Projekte vorstellen. Auch in Treptow am Flutgraben präsentierte sich beim Designmai Youngsters der Nachwuchs mit Projekten und Ideen, die die Bandbreite der kommenden Generation widerspiegelten. Zwischen künstlerischen, ernsten, bunten und originellen Produkten fand sich das ein oder andere Highlight, das dann im angegliederten Shop erworben werden konnte.
Noch lange nicht am Ziel
Doch auch, wenn sich der Designmai bereits in seinem fünften Jahr präsentiert, scheint die Berliner Kreativszene noch immer reichlich uneins mit sich selbst zu sein. So finden viele Ausstellungen noch immer außerhalb des Gesamtkontextes statt oder lassen das Maß an Professionalität vermissen, das man sich gerne gewünscht hätte. Die Auflösung der zentralen Ausstellung zugunsten der kleinteiligeren Präsentationen ist sicher sinnvoll, da es die Stärken der Berliner Kreativen als eine äußerst vielfältige Szene unterstreicht. Doch das alleine reicht nicht aus, will Berlin seinem Titel als „City of Design“, den die Stadt 2006 von der UNESCO verliehen bekommen hat, auch wirklich gerecht werden. Berlin muss sich öffnen und nicht mehr nur auf lokalem Niveau verharren. Statt auf einem Kasten Bier in der Ausstellung zu sitzen und gespannt auf den Bildschirm eines Laptops zu schauen, sollten die Berliner Kreativen lieber etwas auf die Beine stellen, das auch nach außen strahlen kann – vor allem in einem internationalen Rahmen. Dass das Potential dazu an der Spree vorhanden ist, hat der diesjährige Designmai bereits gezeigt.
Kein leichtes Leben
Künstler haben es nicht leicht im Leben, die meiste Zeit müssen sie um ihre Existenz bangen und nur wenige wissen ihre Arbeit richtig zu schätzen. Zu dieser Aussage lassen sich viele kreative Menschen hinreißen. Leider nicht ohne Grund. Und wie steht es mit dem Designer?
Während des öffentlichen Gespräches, zu dem am 15. Mai das Haus am Waldsee eingeladen hatte, plauderte der in Berlin lebende Werner Aisslinger vor allem aus seinem Leben als Designer. Sehr realitätsbezogen schilderte er seinen eigenen Werdegang, die Entscheidung nach diversen Prakitka bei Film und Theater das Designstudium zu beginnen und über die Probleme, die es zu bewältigen gilt, wenn man ein Produkt von einer Idee über den Prototyp bis hin zur Serienreife bringen will. „Wie alle Künstler lebt auch der Designer von einem Hoch zum nächsten Tief.“ weiß er dabei zu berichten.
Aisslinger gründete 1993 nach drei Jahren als Freelancer, in denen er Erfahrungen bei Jasper Morrison und Ron Arad in London und im Studio de Lucchi in Mailand gesammelt hatte, sein eigenes Büro in Berlin. Seitdem entwickelt er Designprodukte, -konzepte und Architekturen und etablierte sich schließlich im Jahr 2000 mit den ersten industriell hergestellten „Gel-Chair´s“ die er für Capellini entwarf und der ihm mehrer Preise einbrachte. Im Haus am Waldsee stellte er dem Publikum das ungewöhnliche Regalsystem books vor, das Teil der Ausstellung „Full House“ ist. Das Buchregal besteht aus großformatigen fest eingeschlagenen Bänden, die durch Metallkreuze miteinander verbunden werden. Die etwa gleichgroßen Bücher erwarb Herr Aisslinger bei Ebay oder im Antiquariat. Neben der Recyclingidee dieses Entwurfs wies er auf den individuellen Zuschnitt des Systems hin, denn das Regal kann vom Nutzer nach Belieben durch die Wahl der verwendeten Literatur gestaltet und verändert werden. Jedes Regal ist ein Unikat.
Ein weiteres Projekt, den „Loftcube“ eine mobile Wohneinheit, die als Fertighaus auf Dächern montiert wird und auf kleinsten Raum alles Notwendige zum Wohnen umfasst, konnte Werner Aisslinger nur anhand eines Portfolios präsentieren. Der Kubus wird erst Ende des Monats im Garten der Villa am Waldsee ausgestellt werden, bevor er dauerhaft in die Filmstudios in Babelsberg übersiedelt.
Auch Fragen von Müttern und deren am Designstudium interessierten Töchtern, beantwortete der der Designer in den anschließenden Publikumsfragen und gab noch einige gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg: Um im Produktdesign erfolgreich zu sein, müsse man sehr viel Energie und Ausdauer mitbringen. Es sei viel schwieriger Entwürfe und Ideen dem Endkunden anzubieten, da die Herstellung viel teurer sei, als etwa im Modedesign oder im Medienbereich. Hinzu komme die schwierige Absatzlage, denn viele Kunden wüßten den Wert eines teuren Designobjekts nicht zu schätzen und legten sich viel lieber ein günstigeres Massenprodukt zu. Werner Aisslinger hat den steinigen Weg zum Erfolg hinter sich und gibt seit 1998 als Professor für Produktdesign an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe eigene Erfahrungen an junge Studierende weiter, hoffentlich mit mehr Zuversicht, denn aller Anfang ist bekanntlich schwer!
Youngsters - Experimentierfeld Design
Alle strömen nach Berlin. Wer jung und kreativ ist lässt sich gern hier nieder. Geringe Mieten und zahlreiche Gleichgesinnte sind Standortvorteil einer Metropole, die im letzten Jahr ganz offiziell von der Unesco mit dem Titel „Stadt des Designs“ geadelt wurde. Egal ob Hype oder Hoffnung, Designbüros, Galerien und Bürogemeinschaften bilden ein kreatives Potenzial, wie in sonst keiner deutschen Stadt. Einmal im Jahr trifft sich der lokale und internationale Gestalternachwuchs dann bei den Designmai Youngsters und präsentiert seine Produkte.
Zum fünfjährigen Jubiläum haben die Veranstalter den Youngsters eine neue Ausstellungshalle spendiert. Während man im letzten Jahr noch durch die mehrgeschossige und etwas chaotisch-marode „Kunstfabrik am Flutgraben“ spazierte, findet man sich dieses Jahr plötzlich im aufgeräumten Messeambiente einer ehemaligen Fabrikhalle wieder. Wie so oft bei Ausstellungen mit studentischem Schwerpunkt trifft man auch hier auf eine bunte Mischung aus futuristischen Konzepten, Spaßprodukten und bodenständigem Möbel- und Lichtdesign.
Mehr Statement als ernst zu nehmendes Produkt ist beispielsweise die Schwimmweste für Kühe, die den vierbeinigen Nichtschwimmern bei steigendem Wasserstand rettenden Auftrieb geben soll. Damit blicken die Designer von guth+volkmann dem Klimawandel entgegen, wohingegen sich die Gruppe formfjord eher auf die guten alten Zeiten besinnen: Omas in die Jahre gekommenen Untertassen werden mit einem einfachen Schlitz versehen und dürfen sich nun auf eine zweite Karriere als Seifenschale freuen. Zwischen vielem, das man milde als eher vordergründig originell bezeichnen möchte, findet sich aber auch das ein oder andere Objekt, dem man eine baldige Serienproduktion wünscht.
Das Designbüro Studiohausen präsentierte mit „Serpentine“ eine schlichte und funktionale Leuchte aus mundgeblasenem Glas, an deren Hals das Kabel in einer Schlaufe austritt und die Möglichkeit gibt, stufenlos die Höhe zu verstellen. Ebenfalls charmant sind die stapelbaren Gartenstühle „stacking hommage“, die eine vielversprechende Alternative zum klassischen Spritzguss-Monoblock darstellen. Drei Stuhl-Klassiker- Barcelona Chair, Lounge Chair und Corbusiers LC - hat sich der Designer Dirk Winkel vorgenommen und in stapelbare Kunststoffstühle transformiert. Bleibt nur inständig zu hoffen, dass sie den Weg in die deutschen Gärten finden - was nicht unwahrscheinlich ist, denn einige Produkte aus den letzten Jahren „Youngsters“ finden sich mittlerweile in den Katalogen großer Hersteller.
Full House
Mal wieder ins Grüne fahren oder doch lieber in eine Ausstellung? Diese Entscheidung stellt sich uns an jedem Wochenende mit schönem Wetter, besonders jetzt im sommerlich warmen Design-Mai mit viel zu vielen interessanten Veranstaltungen. Für Unentschlossene ist „Full House“ daher ein echter Joker: Die Design-Ausstellung im Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf kombiniert Kulturgenuss mit Grünerlebnis am Wasser.
17 Berliner Designer haben die Villa auf Einladung der Kuratorin Katja Blomberg eingerichtet, seit langer Zeit kann sie nun erstmals wieder als „Haus“ erlebt werden. Positiv gestimmt betreten wir das herrschaftliche Anwesen an der Argentinischen Allee: Wir verpassen nichts, kommen trotzdem nach draußen – und der Nachwuchs auch nicht zu kurz. Für den sind im parkartigen Garten der Villa diverse Spielgeräte aufgebaut: Eine Blockhütte mit versteckter Falltür zum Beispiel, ein froschgrünes Kletter-Sitzgerüst oder eine Wipp-Bank, die von den Kindern gleich zur Extrem-Rutsche umfunktioniert wird. Die Erwachsenen können sich derweil in überdimensionalen geflochtenen Blätter-Liegen (Vogt + Weizenegger) fläzen oder auf zu Hockern umfunktionierten Blumentöpfen, auf Keramik-Kissen (Kafka) oder in einem Bauzaun Platz nehmen. Und diese Sitzgelegenheiten sind tatsächlich bequemer als ihre Beschreibung vermuten lässt. Nachdem wir uns erholt haben, betreten wir das Innere der Villa: Hauptraum der unteren Etage ist ein langer Salon, in dem vor allem die Bisazza-Sessel (J. Mayer H.) und das große Bücher-Kolumbarium von Werner Aisslinger auffallen. Auch das Bad wird hier als Duschkabine aus halbtransparenten Schläuchen öffentlich. Ganz neu ist „Cook’n Roll“, eine feine kleine Küche auf Rollen aus tarngrauem Schiefer und farbgleichem Linoleum (jomad). Im Obergeschoss treffen wir dann wieder alte Designmai-Bekannte wie die Arbeitstische von Cube, Traum aller Schreibtisch-Chaoten, denn sie lassen sich mit einem Handgriff zum unauffällig aufgeräumten Container verwandeln. Oder die Klappstühle von Nils Frederking, deren ausgefeilte Technik immer wieder verblüfft. Oder die zellartigen Garderobenhaken, die wie Parasiten im Treppenhaus kleben... Das Haus am Waldsee war lange nicht mehr so voller Leben.
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