Die amerikanische Art
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Anfang März fand in Chicago die International Home + Housewares Show mit Tableware, Accessoires und Elektrogeräten für die Küche statt – das nordamerikanische Pendant zur ambiente. KitchenAid, Dansk, Le Creuset, Jura und Bodum waren einige der insgesamt 2137 Hersteller, die am Lake Michigan ihre Produktneuheiten präsentieren. Für gestaltungsaffine Besucher war vor allem das Messespecial Discover Design lohnenswert.
Läuft man als Europäer mit offenen Augen über die International Home + Housewares Show, kann man viel Interessantes, Ungewohntes und zuweilen Kurioses entdecken. Zwar gab es Hersteller, die sowohl in Frankfurt als auch in Chicago mit dabei waren, doch eines wurde schnell deutlich: In Amerika ticken die Uhren anders, insbesondere bei Fragen der Gestaltung, der Art der Produkte und der Preisgestaltung. Amerika ist anders, weil Amerika anders isst – so könnte man es zusammenfassen.
Alles anders
Es ist jedoch nicht so, dass nicht auch die Amerikaner gutes Design hätten – das war auch in Chicago zu sehen. Hinter dem verspielt anmutenden Messbecherset M-Cups von Fred & Friends in Form einer russischen Matroschka beispielsweise verbirgt sich eine clevere Idee: Die ineinander stapelbaren Elemente aus Kunststoff sind mit ihrer Skalierung gut zum Abmessen kleinerer Mengen Zucker oder Mehl geeignet. Oder der flexibel bewegliche Kochlöffel von Dreamfarm. Damit ist es kinderleicht, das Spiegelei aus der Pfanne zu heben. Kinderleicht ist auch die Bedienung von Bar10der. Das Bar-Utensil zum Mixen komplizierter Cocktails macht sich das Funktionsprinzip eines Schweizer Messers zueigen, lässt sich ebenfalls komplett zusammenklappen und findet deshalb selbst in der kleinsten Küche Platz.
Während sich diese Entwürfe durch Funktionalität und anspruchsvolles oder zumindest ideenreiches Design auszeichneten, gab es andere, über die man nur erstaunt den Kopf schüttelte. Wegen der (für uns) unsinnigen Funktionen, des verspielten Designs, der schlechten Verarbeitung – was auch die günstigen Verkaufspreise erklärt – oder der schieren Größe. Der amerikanische Markt jedenfalls scheint es herzugeben und beschenkt die Welt mit Toastern, die gleichzeitig Kaffee kochen können (Bella), Pappbechern mit aufgemalten Mündern und Nasen, so dass man beim Trinken seine Identität wechseln kann (Fred & Friends) oder überdimensionierten To-go-Warmhaltebechern (Thermos).
Mitnehmen oder stehenlassen
To-go-Produkte wie Warmhaltebecher, Isolierkannen oder Aufbewahrungsbehälter waren übrigens der große Renner in Chicago. Kein Wunder bei der ausgeprägten Fast-Food-Mentalität der Amerikaner. Und auch hier, wie in sämtlichen Produktkategorien der Messe, hieß es entweder: hopp oder flopp. Es waren die Bento-Boxen verschiedener Hersteller, die durch eine ausgesprochen formschöne Gestaltung auffielen. In den zum Teil mehrstöckigen Boxen können komplette Mahlzeiten luftdicht verstaut werden. Ins Auge stachen insbesondere die Exemplare von Monbento und Takenaka Kitchen. Letztere sind rechteckig, aus Kunststoff gefertigt, in verschiedenen Farben erhältlich und werden von farblich passenden Gummibändern zusammengehalten. Doch auch hier war es wie auf der gesamten Messe: Kaum hatte man ein gut gestaltetes Produkt entdeckt, folgte prompt der nächste visuelle Tiefschlag, hier in Form eines To-go-Warmhaltebechers, der mit einer speziell entwickelten „Saugnapf“-Methode am Tisch „festklebt“ und deshalb nicht umgestoßen werden kann. Dinge, die die Welt nicht braucht – hätte man dem begeisterten Erfinder am liebsten mitgeteilt und wurde dann doch noch belohnt.
Die Japaner kommen!
Denn ein paar Schritte entfernt von dem Thermosbecher-Ungetüm, ebenfalls im Messebreich Dine + Design, wurde der Liebhaber guter Gestaltung fündig. Hier wartete die Sonderausstellung Discover Design mit illustren Namen wie Alessi, Menu oder Joseph Joseph auf. Auf eine echte Entdeckungsreise konnte man sich bei den kleinen, noch unbekannten Herstellern begeben. Deren Produkte erscheinen in Kleinauflage, sind handgefertigt und setzen uralte Traditionen in modernes Produktdesign um. Federführend auf der Chicagoer Messe waren die Japaner. Kinto beispielsweise entwickelt üblicherweise Produkte, die multifunktional, schlicht und gleichzeitig überraschend sind. Mit Atelier Tete hat man jetzt ein neues Label gelauncht, das den Fokus auf handgefertigte Tableware legt. So entstehen beispielsweise wunderbare handgetöpferte Schalen, die multifunktional einsetzbar sind. Ebenso auf ein traditionelles japanisches Handwerk hat sich b Prize verlegt. Hier überzeugten henkellose Becher aus Holz, die mit traditioneller Urushi-Lackmalerei und einem Lederband versehen sind, so dass sie auch für unterwegs eignen. Ganz auf das Material Glas hat sich indes Toyo-Sasaki eingestellt. Neben der stapelbaren Serie Stackable ragte hier die feine mundgeblasene Trinkglas-Kollektion Fu-Be in Grau, Gelb, Blau und Transparent hervor.
Für positive Reaktionen sorgte auch ein Europäer: Sebastian Conran. Nicht nur wurde der von ihm gestaltete Messestand als bester der Messe ausgezeichnet. Mit seinem gerade gegründeten Label Universal Expert hat sich der britische Designer auf die Gestaltung von Tableware, Küchenaccessoies und Kleinelektro fokussiert. Seine bevorzugten Materialien sind Edelstahl, Porzellan, Glas und Holz. Der Sohn von Terence Conran nennt Dieter Rams als gestalterisches Vorbild und so erklären sich auch die einfachen und funktionalen Formen der bisher 150 Produkte. Langweilig wird es trotzdem nicht, wofür Extras wie die farbigen Griffe an den ansonsten schlicht weißen Porzellantassen sorgen.
Im Farbrausch
Apropos Farbe: KitchenAid wartete im Messebereich Wired + Well gleich mit neun neuen Farben für die ikonische Küchenmaschine der Serie Artisan auf. Demnächst werden Blueberry, Canopy oder Toffee unsere Backversuche in der Küche verschönern. Farbe war auch ein wichtiges Thema in der Hall of Global Innovation. Neben der Präsentation Going Green mit nachhaltigem Design stellte Pantone seine Farbe des Jahres vor: Emerald. Joseph Joseph hatten mit Smaragdgrün nichts am Hut, kehrten der Farborgie den Rücken und hatten sich für das zehnjährige Bestehen des Unternehmens etwas anderes einfallen lassen: eine Jubiläumskollektion in Edelstahl. Antony und Richard Joseph waren mit hohen Erwartungen nach Chicago gereist, ist der amerikanische Markt für sie doch der wichtigste überhaupt. Eine Erwartung jedenfalls ging schon am dritten Messetag in Erfüllung: Ihr neuer Seifenspender C-Pump erhielt den gia Global Innvation award für das beste Produktdesign. Kein Wunder, sind die Amerikaner doch geradezu süchtig nach europäischem Design, wie Richard anmerkte. Diese Bemerkung bestätigte den Gesamteindruck: Der amerikanische Markt changiert zwischen banalem Alltagsgeschmack und Designelite.
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