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Die Entgiftung der Form – Die Kölner Möbelmesse 2010

von Norman Kietzmann, 26.01.2010


Die Kurve bekommen, lautet das Fazit der Internationalen Kölner Möbelmesse „imm Cologne 2010“, die am 24. Januar zu Ende ging. Mit rund 100.000 Besuchern konnte trotz der Verkürzung um einen Tag das Ergebnis des Vorjahres gehalten werden, und auch die Zahl der Aussteller stieg leicht auf 1.053 Unternehmen an. Dennoch wäre es zu früh, von Euphorie zu sprechen. Noch immer vermochte die Messe kaum Akzente zu setzen. Die „imm cologne“ bleibt, was sie ist: eine Veranstaltung, die nicht weiß, wohin sie soll.

 
Ein wenig erinnert die Situation an die Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Es ist Mitte Januar, die „imm“ steht bevor, und alle können beruhigt sein, dass es wieder haargenau so sein wird wie im Jahr zuvor. Die Uhren scheinen auf seltsame Weise stehen geblieben zu sein in Köln. Ein Widerspruch zur Schnelllebigkeit der Messen, die sich mit Neuheiten stets zu überbieten versuchen? Oder liegt darin nicht längst schon der Reiz der „imm“: Dass sie so eigentümlich schrullig wirkt wie eine alte Tante, der kurz nach Jahresbeginn alle einen gemeinsamen Besuch abstatten?

Der Auftakt der Messe

Auch in diesem Jahr folgt das Geschehen den einstudierten Mustern. Am Vorabend treffen alle beim Empfang der Zeitschrift „A&W“ aufeinander – wer will, zieht weiter in die Six-Pack-Bar – und am Tag darauf finden sich alle wieder in Halle 11, dem Mittelpunkt und zugleich Sorgenkind der Kölner Möbelmesse. Der Auftakt gelang diesmal besser als noch vor zwölf Monaten. Auf den Ständen und Gängen herrschte dichtes Gedränge und auch die Auslastung der dreigeschossigen Halle war weitgehend komplett. Kein Vergleich zur imm 2009, als fast ein Drittel der leer gebliebenen Ausstellungsflächen durch Kunstausstellungen kaschiert werden musste und sich die wenigen Besucher zwischenzeitlich wie auf einem Geisterschiff wähnten. Und dennoch: Der Eindruck nach dem ersten Rundgang blieb fade. Nur vereinzelt vermochten Entwürfe herauszustechen. Wirklich überraschen konnte dagegen kaum etwas.

Das gebändigte Wohnen

Dabei kann diese Wahrnehmung nicht allein der „imm“ zur Last gelegt werden, spiegelt sich hierbei in gewisser Weise die Situation der Einrichtungsbranche insgesamt wieder. Denn sind Begriffe wie „innovativ“ und „anders“ überhaupt noch Kriterien, die eine Rolle spielen? Die Einstellung der Einrichtungsbranche, die früher stets die Avantgarde des Designs definierte, ist einer unbestimmten Gleichgültigkeit gewichen. Gewohnt wird heute nicht mehr avantgardistisch, sondern konventionell. Es darf behaglich, ja sogar gemütlich sein. Der Rückzug in die eigenen vier Wände ist nicht mehr spießig, sondern Trend.

Während Experimentelles zunehmend ausgedient hat, steigt die Sehnsucht nach verlässlichen Werten und vertrauten Formen, Farben und Materialien. Das Trendboard der Kölnmesse hat dieser Entwicklung einen überaus treffenden Namen verpasst: „Detox“: „Es hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge angestaut. Vordergründig Attraktives, Schnelllebiges und Vergängliches, ästhetisch Fragwürdiges. Am Ende war alles toxisch und hat die Poren unserer Formen verstopft. Jetzt geht es um die Entgiftung der Form, das Freilegen ihrer Qualität: Es geht um das richtige Maß und das langfristige Maßhalten.“

Leder, Holz und Reeditionen

Der Großteil der Neuheiten in Halle 11 folgt diesem Konzept. Die Formen sind klar wie bei Philipp Mainzers kubischem Glastisch CT08 Vier oder dem auffallend schlanken Esstisch-Stuhl Cuoio von Eoos. Leder ist weiterhin stark vertreten und kommt außer in Schwarz und Weiß in einem dunkelbraunem Tabak-Ton zum Einsatz, wie beispielsweise bei der Sofa-Sitzlandschaft Jalis von Jehs & Laub. Dabei kann die Form des klassischen Ledersessels durchaus auf unorthodoxe Weise interpretiert werden, wie die Berliner Architekten Sauerbruch Hutton mit ihrem Munich Lounge Chair für die Sammlung Brandhorst zeigen. Dem Trend zu runderen und weniger kubischen Formen im Polstermöbelbereich folgt die Sitz-Serie Powder von Kati-Meyer Brühl.

Reeditionen sind ebenso stark vertreten wie der filigrane Barwagen von Herbert Hirche aus dem Jahr 1956 oder das Daybed DS-80 von de Sede aus den späten siebziger Jahren. Zeitlos klassisch zeigt sich das Sofa Ruché von Inga Sempé, bei dem eine traditionelle Holzbank mit einem Bezug in der Wabenoptik der fünfziger Jahre kombiniert wird. Dynamik bringt unterdessen das Schranksystem Reef von Neuland Design, dessen Front mit unregelmäßigen Vor- und Rücksprüngen aufgelockert wird. Einen ähnlichen Effekt erzielt die Wandverkleidung Spaltart von Klaus Wangen, bei der Peneele aus Spaltholz zu einem dynamisch rhythmisierten Relief verbunden wurden. 

Ein Dorf in der Stadt

Konzentrierten sich in Halle 11 die Aussteller zeitgenössischen Designs, wurde mit dem „Pure Village“ in Halle 3.2 ein neues Ausstellungskonzept erprobt. Hinter der angestrebten „Bündelung der Trends“ verbarg sich allerdings kaum mehr als eine Ansammlung würfelförmiger Stände, deren inhaltliche Ausrichtung vage blieb. So wurde in den Eckhäusern des „Designdorfes“ eine von der amerikanischen Designerin Johanna Grawunder kuratierte Ausstellung von Designentwürfen des letzten Jahres gezeigt – die allerdings allesamt ihre Premieren auf der vergangenen Mailänder Möbelmesse oder der Design Miami erlebten. Warum versucht Köln an dieser Stelle der Konkurrenz hinterherzulaufen, anstatt wie einst mit dem „ideal house“-Projekt mit eigenen Vorschlägen zu punkten?

In anderen Würfelständen präsentierten sich unterdessen externe Showrooms wie die gegenüber der Messe gelegene Designpost oder das KAP-Forum an der Agrippinawerft. Doch auch hier stellt sich die Frage nach dem Nutzen, statten die meisten Besucher den genannten Off-Spielstätten ohnehin einen Besuch im Anschluss an die Messe ab. „Aber ein Dorf mitten in der Stadt entstehen zu lassen – das ist schon was Besonderes, auch in der an Kuriositäten nicht gerade armen Domstadt“, textet dazu die Kölnmesse, als ginge es darum, einen Rummel zu bewerben. Impulse vermochte diese Inszenierung jedenfalls nicht zu setzen. Bestenfalls wieder ein paar Quadratmeter mehr vor Leerstand zu bewahren.

Die junge Generation

Weiter ging es eine Etage tiefer in Halle 3.1 mit den „d3 design talents“ – der offiziellen Spielstätte für Jungdesigner und Design-Hochschulen. Von experimenteller Spielfreude war auch hier nur vereinzelt etwas zu spüren. Fast hatte man den Eindruck, als wollten es die Jungdesigner den großen – und leider zurzeit etwas zögerlichen – Firmen nachmachen. Überzeugen konnten aber dennoch die Berlinerin Elisa Strozyk mit einem aus winzigen Holzpolygonen bestehenden wood carpet sowie der Niederländer Pepe Heykoop mit seiner aus bunten Bausteinen zusammengefügten Brickseries.

Sprunghaft zeigte sich auch die „Designer‘s Fair“ im Gebäude der ehemaligen Bahndirektion direkt am Rheinufer. Hier wurde in diesem Jahr die Auswahl von jungen deutschen Designern auf internationale Ebene erweitert. In Erinnerung blieben aber hauptsächlich jene Labels, die sich wie das Designbüro „llot llov“ bereits vorab mit ihren Entwürfen einen Namen gemacht haben. Viele Jungdesigner verharrten in Basteleien oder zeigten so mache Nachahmungen von Entwürfen bekannter holländischer Designer. Hier hätte man sich frischere und eigenständigere Positionen gewünscht.

Satelliten in der Stadt

Diese fanden sich durchaus im übrigen Passagenprogramm. So zeigte Boffi in den Spichernhöfen die Installation „Rainforest“ des französischen Architekten und Gartendesigners Patrick Nadeau, der tropische Kletterpflanzen von der Decke des Showrooms über Badewannen und Küchen herabhängen ließ. An der Lichtstraße inszenierte die Medienkunst-Gruppe „Interpalazzo“ für Dornbracht eine begehbare Licht- und Klanginstallation im Hof von Mike Meirés Factory, während Siedle am selben Ort eine Untersuchung zum Thema Schwellen im öffentlichen Raum vorstellte. Im KAP-Forum präsentierte Wilkhahn den Bürostuhl ON und der türkische Badhersteller Vitra zeigte neue Badentwürfe des britischen Designers Ross Lovegrove. Als Geheimtipp entpuppte sich die kleine, fast versteckt gelegene Retrospektive über Walter Pabst im Museum für Angewandte Kunst. Neben seinen Arbeiten als Designer wird dort ebenso die Entstehung seines mythologischen Romanes „Der Götterbaum“ dokumentiert, in dem er – vermutlich schon etwas alterswirr – den Schöpfungsort der Menschheit im Kosmos verortete.

Neues Messekonzept

Was ist das Fazit der Messe? Der Abschwung wurde zwar abgefedert, aber noch lange nicht aufgehalten. Das „Pure Village“ blieb kaum mehr als ein Lückenfüller ohne direkten Mehrwert für die Besucher. Immerhin soll die geplante Küchenmesse „LivingKitchen“ die "imm" ab 2011 im Zweijahresrhythmus ergänzen und damit den Leerraum zwischen der ebenfalls alle zwei Jahre in Mailand stattfindenden Eurocucina füllen. Ob dies reichen wird, die derzeitige Abwanderung weiterer Aussteller und Besucher in Richtung Paris zu stoppen, wo zeitgleich zur „imm“ die Messe „Maison & Objet“ stattfindet, wird sich zeigen. Dabei wäre es schade, der Tante am Rhein auf Dauer den Rücken zu kehren. Schließlich entfaltet die Messe mit ihrer konzentrierten und weniger marktschreierischen Atmosphäre durchaus eigene Qualitäten. Im kommenden Jahr werden wir wieder nach Köln fahren. Den Abstecher an die Seine haben wir allerdings auch eingeplant.
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Links

imm cologne 2009

www.designlines.de

imm cologne 2008

www.designlines.de

imm cologne

www.imm-cologne.de

imm cologne 2007

www.designlines.de

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