Die neue Romantik
Der Begriff Romantik wird eigentlich in Verbindung mit Literatur, Musik und Kunst aus der Vergangenheit gebraucht. Dass er aber auch für eine zeitgenössische Designströmung stehen kann, beweist die aktuelle Ausstellung „Isn’t it romantic?“ im Kölner Museum für angewandte Kunst mit poetischen, aber auch provokanten Projekten.
Als die Dürre im Mittelalter Sizilien traf, beteten die Bewohner von Salemi zu ihrem Schutzheiligen San Giovanni und baten ihn um Regen. Als tatsächlich Regen einsetzte und sie vor der drohenden Hungersnot rettete, dankten sie dem Heiligen mit einem Festessen und machten seinen Namens- zu ihrem Nationalfeiertag. Seitdem wird jedes Jahr am 19. März der Heilige San Giovanni in der sizilianischen Gemeinde begangen – mit Brotbackkünsten in den seltsamsten Formen. Diese Tradition griffen die beiden italienischen Designer Andrea Trimarchi und Simone Farresin vom Studio Formafantasma neu auf und konzipierten das Projekt Autarchy. Wer die Serie von gebackenen Gefäßen zum ersten Mal in ihrer Gesamtheit sieht, den mag das Gefühl nicht loslassen, vor einem nostalgisch-verklärten Stillleben zu stehen. Jedoch verweist das Projekt nicht nur auf vergessene Kulturtechniken wie das Brotbacken. Autarchy basiert auf einer sehr rationalen Analyse der verwendeten Rohstoffe: ein Bio-Material, das sich aus Mehl, Kalkstein sowie einer farbgebenden Mischung von Pflanzen zusammensetzt und vollkommen kompostierbar ist.
Gefühl versus Vernunft
Autarchy ist seit dem 14. Januar zusammen mit Arbeiten von insgesamt 40 Designern unter dem Ausstellungstitel „Isn’t it romantic?“ im Kölner Museum für angewandte Kunst zu sehen. Kuratiert von Tulga Beyerle, der Direktorin der Vienna Design Week, ist die Ausstellung ein Versuch, sich dem heutigen Verständnis von Romantik zu nähern und der neuen Sehnsucht nach ihr auf den Grund zu gehen. Zum einen werden dazu kommerziell erfolgreiche Produkte in Form von Tableaus präsentiert. Zum anderen sind freie Arbeiten von jungen Designern zu sehen, die unterschiedliche konzeptionelle Ansätze zur Interpretation eines gegenwärtigen Romantikbegriffs widerspiegeln.
Zunächst würde man die wenigsten Exponate der Ausstellung als romantisch bezeichnen. „Doch schaut man genauer hin, dann entdeckt man eine kontinuierliche und durchaus bedeutsame Strömung im Design, die zwar selten mit einem Namen belegt wird, aber durchaus als Romantik bezeichnet werden könnte. Der Romantiker glaubt eher an das Gefühl als an die Vernunft“, sagt Deyan Sudjic, Direktor des Londoner Designmuseums. „Und nicht zuletzt ermöglicht der Gedanke der Romantik im Design einen sinnvollen und frischen Ansatz, um einige Aspekte der Designpraxis näher zu beleuchten.“ In der Ausstellung „Isn’t it romantic?“ wird dazu mit dem Vagen gespielt. Anstatt Thesen aufzustellen, werden in der Schau Atmosphären geschaffen, die zwar Bezugspunkte zwischen den einzelnen Objekten herstellen, jedoch dabei nebulös und im Ungefähren bleiben. Damit aber gleichzeitig Raum für Gefühle und Assoziationen lassen.
Materialien und Fertigungsmethoden
Mit Andrea Trimarchi und Simone Farresin teilen auch andere Designer das Interesse für die traditionelle Handwerkskunst, die im 20. Jahrhundert lange Zeit von der Designindustrie mit ihrem sachlich und produktionstechnisch orientierten Funktionalismus nahezu eliminiert wurde. Das Interesse rührt dabei nicht von einer simplen Verweigerung der industriellen Produktion her. Vielmehr entstammt es der Suche nach neuen Inspirationsquellen und vergessenen Herstellungstechniken. Als Teil der Abschlussarbeit seines Designstudiums am Londoner Royal College of Art entwarf der Brite Max Lamb den Pewter Stool, dessen Entstehungsprozess Teil des Projektes ist. Mit nicht mehr als einem tragbaren Gaskocher, Kochtöpfen und Zinnbarren ausgestattet, fuhr er an einen Sandstrand, um einfache Möbel aus Zinn im Sandgussverfahren herzustellen. Den Ablauf dokumentierte er in einem Video, das nun in der Ausstellung zu sehen ist. Die Holländerin Pieke Bergmans wiederum hat sich mit der Glastradition auseinandergesetzt und versucht, die Grenzen des Materials auszuloten. Im Projekt Crystal Virus bemächtigt sich eine Glasvase eines alltäglichen Objekts wie einem Stuhl und ‚infiziert’ dieses: Im Herstellungsprozess wird schmelzendes Glas auf das Objekt geblasen, sodass sich beide miteinander vereinen.
Moderne Stillleben
Den konzeptionellen Projekten gegenüber stehen – in einem separaten Raum – kleine Wohninseln, die auf den ersten Blick im starken Kontrast zueinander zu stehen scheinen. Dank ihrer Themen wie „Das moderne Boudoir“ oder „Mondänes Leben auf dem Land“ stellen sie jedoch als Gesamtheit Schlüssigkeit her. Sie sind mit Produkten ausstaffiert, die weiche, textile, naturverbundene, teilweise aber auch absurde Züge tragen und im starken Gegensatz stehen zu den unglamourösen Alltagsgegenständen oder auch „Werkzeugen fürs Leben“ des von der Moderne geprägten Minimalismuskonzeptes. Das Tableau „Modernes Leben auf dem Land“ etwa setzt sich aus Objekten wie dem aus Altpapierfasern gefertigten Pulp Table von Jo Meester, dem Stuhl Vegetal der Gebrüder Bouroullec und Maxim Velcovskys Keramikobjekten Waterproof Onion zusammen. Darüber hängt die glitzernde Leuchtengruppe Sparkle Shady von Jaime Hayón, die ganz bewusst als ‚Störfaktor’ gewählt wurde, unter anderem, um das Fragmentarische und Unvollkommene des neuen Konzeptes der Erholung und Ruhe hervorzuheben – und somit auch der gesamten Ausstellung.
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