Die Stimmungsmacher
Magie oder Naturalismus? Schein oder schonungslose Wirklichkeit? Theater ist all das, und noch viel mehr. Die Geschichten und Schicksale, die auf der Bühne verhandelt werden, haben viele „Schöpfer“: Autoren, Regisseure, Dramaturgen, Bühnenbildner, Schauspieler – und natürlich die Beleuchter. Mit der technischen Entwicklung verstärkt sich die Bedeutung des Lichts als erzählerisches und gestalterisches Mittel der Inszenierung.
Tiefrot umranden die schweren Stoffbahnen das Geschehen auf der Bühne: Nichtsahnend besingt das Paar im Vordergrund den Liebesrausch, während sich auf der hell beschienenen Rückwand der riesige Schatten des Mörders nähert... Literarische Vorlage der Oper Cardillac ist E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi, die Geschichte vom mordenden Goldschmied, der Paris in Angst und Schrecken versetzt. Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung an der Wiener Staatsoper im Jahr 2010 (Bühne: Rolf Glittenberg, Licht: Mario Ferrara) bedient sich der Bildsprache des frühen 20. Jahrhunderts, als expressionistische Stummfilme wie Das Cabinet des Dr. Caligari oder Nosferatu – Symphonie des Grauens beim Publikum für Gänsehaut sorgten: Scherenschnitt-Optik und Schatten als Vorboten drohenden Unheils werden als effektvolle Stilmittel eingesetzt.
Lighting Emotion
Farben und Lichtstimmungen sind bei fast allen Menschen mit bestimmten Gefühlen verknüpft: die schwermütige Trübheit eines bläulichen Novemberabends, das schläfrige Licht der Nachmittagssonne, die durch Jalousien auf Boden und Wände fällt oder der hoffnungsvolle Schimmer des Sonnenaufgangs am Horizont. Tiefe erhält eine Erzählung natürlich durch die Auslegung und Interpretation des Textes durch Regisseur und Schauspieler – aber eben auch durch das Licht. Und wo Licht ist, da ist auch Schatten – gemeinsam dienen sie dazu, Vorgänge und Personen auszumodellieren und zu inszenieren. Modernen Theatern steht dafür ein ganzes Arsenal an Technik zur Verfügung.
Die Palette der Beleuchter
Gobos, Verfolger, HMIs, HQIs - was für manchen böhmische Dörfer, sind am Theater die „Pinsel“ der Lichtregie. Jeder Scheinwerfer hat seinen Einsatzbereich. Neben dem bekannten, meist handgesteuerten „Verfolger“ gibt es Leuchten für Flächenlicht, Effektlicht, Profillicht, bewegtes Licht oder Projektionen. Flutlichtstrahler übernehmen meist die gleichmäßige Ausleuchtung von Flächen, die Lichtkegel weisen weiche, diffuse Ränder auf. Allerdings haben sie eine enorme Hitzeentwicklung, Farbfolien können nur in beträchtlichem Abstand von der Lichtquelle montiert werden. Eine relativ günstige Möglichkeit, gerichtetes Licht zu erzeugen, bieten Linsen- und Stufenlinsenscheinwerfer: Hier kann das Licht durch Verstellen des Öffnungswinkels konzentriert werden. Parabolspiegelscheinwerfer wiederum kommen häufig in Gruppen bei Lichtrampen zum Einsatz, aber auch einzeln, beispielsweise als Verfolger: Zu bedenken ist bei diesen Leuchten, dass Änderungen der Helligkeit aufgrund der dicken Glühwendel relativ langsam vonstatten gehen. Auch Profilscheinwerfer, die eine scharfe Abgrenzung zu den Dunkelbereichen ermöglichen, werden gerne als Verfolger eingesetzt. Besondere Effekte lassen sich beispielsweise durch Gobos erzielen: Vignetten oder Negativmasken werden vor die Scheinwerfer montiert und erzeugen auf der Spielfläche je nach Wunsch verschiedene Muster, von einfachen Farbkreisen bis hin zum Schattenspiel belaubter Baumkronen; mit dem Gobo-Rotator lassen sich die Vignetten auch drehen. „Intelligentes Licht“ kommt hingegen insbesondere bei großen Shows und Konzerten zum Einsatz: Hierzu gehören spiegelbewegte Multifunktionsscheinwerfer (Scanner), Farbwechsler oder sogenannte Moving Heads.
Einleuchten
Um die Vielzahl an Lichtquellen zu steuern, ist aufwändiges Equipment erforderlich: Das Mischpult der Lichtregie ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Gleiches gilt für den Beleuchtungsplan, der für den Laien wie eine rätselhafte Landkarte wirkt, auf der unzählige Scheinwerfer verzeichnet sind. Diese werden auf die klassischen Beleuchtungspositionen verteilt: Portalbrücke und Z-Brücke sorgen dabei für Vorderlicht, während auf Türmen, Rängen und Proszenien das Seitenlicht eingerichtet wird.
Beim Einleuchten wird zunächst das Grundlicht festgelegt, das eine allgemeine, flächige Ausleuchtung der Bühne gewährleistet: Wichtig ist, dass kein Bereich „absäuft“. Das reicht jedoch noch nicht aus, der Szene Tiefe zu verleihen. Dafür werden, entsprechend der Inszenierung, einzelne Zonen akzentuiert, die regelmäßig oder in Schlüsselszenen bespielt werden – Sitzgruppen, eine Treppe, oder sogar bestimmte Zonen im Zuschauerraum. Schließlich müssen die Darsteller selbst in Szene gesetzt werden. Die diversen Lichtrichtungen – die nach Bedarf kombiniert werden können – wirken sich unterschiedlich aus: Vorderlicht beleuchtet zwar die Gesichtszüge ideal, reduziert aber die räumliche Tiefenwirkung. Diese wird durch Seitenlicht, und ganz besonders durch Gegenlicht erzielt: Im extremen Fall sind die Darsteller dann nur noch als Silhouette sichtbar. Das direkt von oben einfallende Kopflicht lässt beispielsweise bedeutungsvolle Personen im spirituellen Licht „baden“, während das Unterlicht als „unnatürliche“ Lichtrichtung nur selten und ganz gezielt eingesetzt wird: Die extremen Schatten auf den Gesichtszügen der Darsteller erzeugen einen Grusel-Effekt. Beim Einleuchten und den Beleuchtungsproben werden die unterschiedlichen Lichtstimmungen festgelegt: Kommt beispielsweise während Hamlets Monolog an der Rampe nur ein Scheinwerfer von der Z-Brücke zum Einsatz, so wird dies als eine Lichtstimmung bezeichnet und nummeriert. Jede Szene kann also mehrere Lichtstimmungen beinhalten. Nach Möglichkeit werden diese im Lichtpult gespeichert, um bei Bedarf abgerufen zu werden.
Projektionen
Im gesamten Bühnenbereich der Seebühne der Bregenzer Festspiele sind 479 Halogenscheinwerfer und 28 Tageslichtscheinwerfer montiert. Die Aufführung wird mit zwei Lichtcomputern gesteuert – um spezielle Lichteffekte zu erzeugen, kommen Moving Lights, Großbildprojektoren und Videobeamer zum Einsatz. Hier inszenierte im Jahr 2011 Keith Warner die Oper André Chénier (Licht: Davy Cunningham). Das Bühnenbild von David Fielding zitiert mit dem fast im Wasser versunkenen Torso des erstochenen Jakobinerführers Jean Paul Marat das berühmte Gemälde von Jacques-Louis David. Projektionen wie der Schriftzug „Liberté“ kommentieren auf einer Leinwand das Geschehen auf der Bühne. Als das Liebespaar Chénier und Maddalena zum Schluss zum Schafott geführt werden, bildet sich in einem 19 Meter hohen Spiegel ein Wasserfall: Darauf erscheint als Projektion der Sensenmann.
Projektionen sind auf der Bühne ein beliebtes Gestaltungsmittel – im schlimmsten Fall werden sie jedoch als Allzweckwaffe eingesetzt. Das ist immer dann der Fall, wenn das technische Equipment nicht mithält – oder wenn vom horror vacui geplagte Regisseure meinen, den Hintergrund um jeden Preis beleben zu müssen.
… und ewig strahlt die Glühbirne
Wie überall gilt auch im Bereich der Beleuchtung: Weniger ist oft mehr. Eine einzige Glühbirne erhellt in Markus Dietz' Woyzeck-Inszenierung am Kasseler Staatstheater 2011 (Licht: Oskar Bosman) die Liebesszene zwischen Marie und dem Tambourmajor – drei weitere werden herabgelassen, als Marie von Woyzeck später ermordet wird. Düster geht die Welt zugrunde...
Umso heller erstrahlen die Lichter in der Amphitryon-Inszenierung des Jahres 2007 am Maxim-Gorki-Theater (Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé). Die Geschichte von Alkmene, die von Zeus in Gestalt ihres Mannes Amphitryon verführt wird, spielt in einem als „Lichtkapsel“ gestalteten Bühnenraum, ausgekleidet mit unzähligen Glühlampen an Wänden und Decken, die man mit Backstage-Garderoben-Bereichen assoziiert. Die Beleuchtung verweist auf das „Show“-Element – und wird zum Echo der Frage nach Identität, Wahrheit und Schein.
The Show must Go on?
Licht macht vieles möglich, sollte aber niemals zum Selbstzweck werden: Gute Beleuchtung kann zwar eine schlechte Inszenierung nicht retten, aber die Wirkung einer gelungenen Inszenierung potenzieren. Auch das Licht erzählt Geschichten, und ihr Regisseur kann seine Paletten nutzen, um vertraute Assoziationen zu wecken – oder aber die herkömmlichen Bilder bewusst zu brechen.