Die Welt, wie sie dir gefällt
Bauen, Basteln, Kochen, Nähen: Die Sehnsucht nach Individualität in Zeiten der globalisierten Uniformität wächst seit geraumer Zeit. Do-it-Yourself! Heute geht es dabei nicht mehr ausschließlich um die Kritik am Konsum von anonymer Massenware. Im Mittelpunkt steht, Entscheidungen selbst zu treffen und als Abwechslung von der Kopfarbeit am Computer wieder etwas selbst in die Hand zu nehmen, die Farbe zu riechen und das Material zu fühlen. Anlässlich des bereits von Baumärkten und Möbeldesignern aufgenommenen und kommerzialisierten Trends präsentiert das Wiener Museum für Angewandte Kunst MAK die Entwicklungsgeschichte der DIY-Möbelkultur seit heute in der Ausstellung Nomadic Furniture 3.0 – Neues befreites Wohnen?.
Die erste bekannte DIY-Möbelserie entwarf Gerrit Rietveld aus der wirtschaftlichen Not heraus in den dreißiger Jahren. Revolutionär war die Serie namens Crate Furniture, die als Bausatz zum selbst Zusammenbauen angeboten wurde. Ab den 50er Jahren schwappte aus England eine DIY-Welle auf den Kontinent, die spätestens mit der Punk-Szene als Protesthaltung gegen das System und die Norm rebellierte.
Heute verbreitet sich die DIY-Kultur durch Internetportale und Online-Communities rasant. Zahlreiche Internetforen und Websites bieten Anregungen, Bauanleitungen, Handwerkertipps. Bei Angeboten wie frag-mutti.de ist jede Frage kostenlos, per Klick, erlaubt. Design-Liebhaber mit begrenztem Budget müssen nicht mehr auf ihr Designmöbel verzichten, sondern können einfach selbst Hand anlegen. Das Süddeutsche Magazin präsentiert Entwürfe bekannter Designer, wie zum Beispiel Konstantin Grcic und Ingo Maurer, die man legal nachbauen darf. Das Angebot reicht von Sitzobjekten wie Christoph Böningers Schubsessel, der aus der Blechwanne einer Schubkarre und einem Untergestell aus Holzleisten besteht bis hin zum fliegenden Regal des Designer-Dous Kueng Caputo, das an einem Seil schwebt.
Kommerzielle Individualität
Für alle, die nicht im grauen Einheitsbrei des Sortiments billiger Möbelketten versumpfen wollen, bietet sich die serielle Halbfertigung an. Dabei wird der Konsument als Co-Designer in die Gestaltung eingebunden. Viele Baumärkte bieten Zuschnitt und Bausätze für den Eigenbau an. Ein Konzept, das die polnischen Nachwuchsdesigner von Bezaproject, zu Patch inspirierte. Mit den pflasterartigen Beschlägen lässt sich ein Regal intuitiv aus Holz aller Arten zusammenbauen. Recycelbare Materialien spielen seit den 70 Jahren mit dem Aufkommen des Umweltbewusstseins und Nachhaltigkeitsgedanken eine bedeutende Rolle. Re- und Upcycling sind gefragt, und so kann beispielweise eine alte Schuppentür als Tischplatte oder Sitzbank mit den seriell gefertigten Tischbeinen vom Designbüro Marchgut kombiniert werden.
Durch das wachsende Interesse am Selberschaffen entwickeln sich in Großstätten öffentliche Werkstätten, die mit High-Tech-Geräten ausgestattet sind. Dank dieser Maschinen heben die Fab Labs das Selbermachen auf eine professionelle Ebene. Die wirtschaftliche Chance darin erkannte das niederländische Designkollektiv Droog und präsentierte 2011 das Konzept design for download. Eine Onlineplattform, auf der man mit einer speziellen Software Möbel, wie die Boxen Box-o-Rama, am Rechner selbst anordnet und skaliert. Anschließend druckt man den Bauplan gegen eine Gebühr aus und schaut auf dem Portal nach, wo sich die nächste Werkstatt mit einer CNC-Fräse befindet.
Eigene Ideen zu verwirklichen und greifbar zu machen, das ermöglichen auch digitale 3D Drucker. Das Designstudio Minale-Maeda hat dafür inside-out-furniture gestaltet, eine Möbelserie, die durch 3D-geprintete Klammern zusammen gehalten wird und sich ohne Werkzeug aufbauen lässt. Durch die 3D-Printtechnik eröffnet sich der Zugang zu einer neuen Welt des professionellen Selbgestaltens. Einen Überblick über die unterschiedlichen Phasen des Designs und der Produktion zeigt die seit heute geöffnete Ausstellung Nomadic Furniture 3.0 im Wiener MAK.
DIY – eine Ausstellung zum Mitmachen
Der Name greift die Titel der Handbücher Nomadic Furniture 1 und 2 auf, in denen 1973/74 Victor Papanek und James Hennessey Anleitungen zum Bau billiger Möbel boten. In der Ausstellung werden nicht nur historische und zeitgenössische Exemplare gegenüber gestellt, sondern auch Zusammenhänge aufgezeigt. Beispielsweise wird erklärt, wieso der Sessel Sedia Veneziane von Raumlaborberlin als eine moderne Auffassung des Sedia 1 Chair von Enzo Mari verstanden werden kann. Das Spektrum der Ausstellung dokumentiert die Reichweite der DIY-Möbelkultur, die sich zwischen betont funktionalen Möbeln bis hin zu feingliedrigen Leuchtobjekten erstreckt. Hinzu kommen Objekte der seriellen Halbfertigung, die einen gewichtigen Teil der jungen, flexiblen Wohnkultur ausmachen. Im Fokus stehen unter anderem kostengünstige und formschöne Möbel, die aus Holz fast ohne Werkzeug zu bauen sind, wie beispielsweise der Mak-Table, den Chmara.Rosinke aus verschieden großen Brettern und einem Spanngurt entwarfen.
„In und während der Ausstellung gibt es mehrere Möglichkeiten selbst Hand anzulegen“, erklärt Thomas Geisler, einer der Kuratoren. Begleitend werden Workshops zum Zuschauen und Mitmachen angeboten, die die Ausstellung wachsen lassen. Vertreten sind unter anderem Raumlaborberlin mit dem Generator, der den Sessel Sedia Venizianer in amerikanischer Ballon-Frame-Schnellbauweise in Wände und Bühnen umfunktioniert. Oder Jerszy Seymour, der mit Niedrigschmelzkunstoffen experimentiert und seine bekannten Stühle Amateur Workshop aus Holzleisten baut, die mit Wachsklumpen verbunden sind. Chmara.Rosinke wiederum kann man live dabei zusehen, wie sie Möbel nach Bauplänen umsetzen. Außerdem dürfen historische und zeitgenössische Entwürfe nachgebaut oder verbessert werden. Gegen Ende der Ausstellungszeit wird es ein DIY-Happening geben, zu dem einige der beteiligten DesignerInnen ihre zum Teil selbst gebauten Maschinen und Werkzeuge in Betrieb nehmen – das Ganze heißt dann Design-It-yourself-Nite und findet während der Vienna Design Week 2013 statt, erklärt Gastkuratorin Martina Fineder.
Internet, Computer und Träume haben wir alle. Wer begab sich nicht schon mal auf die Suche nach etwas, das in seinen Vorstellung genau existierte, aber nirgends zu finden war oder lediglich zu einem hohen Preis? Damit könnte bald Schluss sein. 3D-Print macht bald vieles möglich, und wer weiß, vielleicht heißt es in Zukunft nicht mehr: do it yourself. Sondern: Mach dir die Welt wie sie dir gefällt. Lasst uns nicht länger von Luftschlösser träumen, sondern sie verdammt nochmal selbst drucken!
Ausstellung Nomadic Furniture 3.0 - Neues befreites Wohnen?
MAK-Ausstellungshalle, Wien
12. Juni bis 06. Oktober 2013
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