Stories

„Dort zu sein, wo Menschen hinschauen"

von Hannah Bauhoff, 27.11.2009


Siebdruckarbeiten, beringte Knochen, dazwischen Gemälde – alles in einem Raum. Dann: großformatige, grelle Leuchtinstallationen. Pro Raum eine. Sie beeindrucken, faszinieren – und stoßen ab. Die Texte, die über Laufschriftbänder in den weißen Räumen des Museums laufen, sind alles andere als schön. Sie handeln von sexueller Gewalt, Tod und Krieg. Diese Leuchtprojektionen mit ihren brutalen Sätzen sind das Markenzeichen von Jenny Holzer, die in einer Sonderschau in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel nun ihre wichtigsten und aktuellsten Arbeiten zum ersten Mal in Europa zeigt.



Die Amerikanerin Jenny Holzer, geboren 1950 in Ohio, zeigt bis zum 20. Januar 2010 eine attraktive Mischung an Arbeiten, die in dem Schweizer Museum nach erfolgreichen Präsentationen in Chicago und New York in einer großzügigen Art und Weise ausgestellt werden. Holzer, eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart, ist in den späten siebziger Jahren durch subversive Statements, kurze Sätze auf T-Shirts, Plakaten und Schildern, bekannt geworden: den sogenannten „Truisms". Mit der Entdeckung der LED-Technik in den achtziger Jahren gelang ihr der große Durchbruch. Statt eigenhändig mit Kleister und Plakaten nachts die Litfasssäulen und Werbeflächen der Stadt zu bekleben, nutzte sie zunächst brachliegende elektronische Werbeflächen. Ihr Ziel: harte, relevante Themen unübersehbar, lautstark und prägnant zu vermitteln, „wie man es von Gesellschaftsklatsch, Konzert- oder Produktwerbung manchmal noch etwas zurückhaltender aus der Nachrichtenvermittlung kennt“, so die Künstlerin.

Doch damit nicht genug: Holzer entwickelte ihre Technik weiter. Sie begann mit elektronischen Projektionen auf öffentlichen Gebäuden zu arbeiten, die oft in Konkurrenz zur Architektur standen wie beispielsweise bei den Guggenheim-Museen von Frank Lloyd Wright in New York und Frank O. Gehry in Bilbao, Norman Fosters Deutschen Bundestag oder Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in Berlin. Mit ihren langen Laufbändern erweiterte, ja veränderte sie die Wahrnehmung der Menschen – um dort zu sein, wo Menschen hinschauen. Aus diesem Grund entschied sich Holzer nun ­– in enger Zusammenarbeit mit den Kuratoren Philippe Büttner und Elizabeth Smith – ihre Arbeiten auch außerhalb der Fondation Beyeler im öffentlichen Raum zu zeigen: in und um Basel sowie in Zürich.

Zuerst Öl auf Leinwand

Gleich zu Beginn der Ausstellung, die sich über acht Räume (Saal 11 bis 19) erstreckt, überrascht Holzer den Besucher mit einem anderen Medium, einer anderen Ästhetik: Im Eingangsbereich hängt eine Serie von hellen Leinwänden. Darauf Handabdrücke von amerikanischen Soldaten, die Kriegsverbrechen beschuldigt werden. Sie sind zensiert, aber freigegeben von der US Army und frei von individuellen Spuren. Diese Abdrücke, die via Siebdruck auf die Leinwände aufgebracht wurden, sind stark vergrößert:: Schwarze Balken, gepaart mit einzelnen Buchstaben und großen dunklen (Hand-)Flächen sowie den zierlichen Linien der Fingerabdrücke bilden eine Harmonie – und stehen damit im krassen Gegensatz zu ihrer Aussage: Objektästhetik versus Inhalt. Schönheit der Kunst versus Gewalt und Mord. Menschliche Abgründe versus menschliches Gestalten. Ein Motiv, das sich durch alle ausgestellten Arbeiten zieht.

Saal 17, Saal 18

So auch in Raum 17. Dort wird die Wirkung der als Serie präsentiertenen Gemälde durch die große LED-Arbeit „Purple“ noch gesteigert. In Windeseile huschen Ausschnitte aus Verhören der beschuldigten Soldaten in einer atemberaubenden elektronischen Präzision vorbei. Variantenreich setzt Holzer die reduzierten Mittel dieser Technik ein – und erzeugt trotz Technik und gleichmäßiger Taktung mit „Purple“ ein beeindruckendes, geradezu malerisches Werk. Ebenso beeindruckend ist die in Saal 18 gezeigten LED-Installation: Hier liegt die gigantisch große Bodenarbeit „For Chicago“ aus dem Jahr 2008, eine Reihe langer, am Boden montierter LED-Schienen. Über diese laufen Ausschnitte von Jenny Holzers eigenen Texten aus dem Zeitraum von 1977 bis 2001. Die Texte werden verdichtet und bekommen dadurch eine unerhört visuelle Qualität. Die Wörter erscheinen mal schneller, laufen auf den Betrachter zu, teils kreuzen sie sich, verschwimmen und lösen sich in grafischen Phänomenen auf, die sich auf dem Boden im ganzen Raum fortsetzen und diesen zu überschwemmen scheinen. Die Texte werden neu mit einem überwältigenden visuellen Prozess verbunden – und nicht mehr als Fließtext wahrgenommen. Es zählen die Buchstaben, die Punkte, die Pixel, die LEDs. Nicht das Hirn, sondern das Auge denkt hier mit.

Seit über dreißig Jahren steht die geschriebene Sprache bei Holzer im Zentrum ihres künstlerischen Schaffens. Es geht um Alltagsweisheiten, um Intimes bis zu den grausamen Realitäten der Gesellschaft. Ihre Botschaften sind gleichzeitig politisch und formal schön. Statements, die auf pulsierenden Schrifttafeln des Kommerzes leuchten, die den Renzo-Piano-Bau in Riehen mit seinen weißen Räumen und deckenhohen Fenstern in ein besonderes, rot-violettes Licht tauchen und nahezu erglühen lassen.

Von Dan Flavin inspiriert

Mit ihren LED-Objekten und Installationen verbindet Holzer leuchtend-visuelle Effekte mit allgemeinen Weisheiten und politischen Themen. Es geht um Formulierungen, Ton, Rhythmus, Länge – und um die Ursprünge von Holzers Texte. Diese sind trotz ihrer Poetik politisch und sozialkritisch, dabei in ihrer Abstraktion wohlgeformt. Ein Beispiel dafür ist die Skulptur „Thorax“ in Saal 19. Rippenartig angeordnete Elemente evozieren unmissverständlich einen menschlichen Körper, der fast beschwörerisch zum Träger einer menschlichen Botschaft wird. Damit erinnert die Skulptur an die Leuchtstoffröhreninstallationen von Donald Judd, der – ebenso wie die Arbeiten von Dan Flavin – Holzers Arbeit stark beeinflusst hat.

Holzers Projektionen laden ein. Zum Lesen und Sich-Verlieren. Der Betrachter ergibt sich dem Farbspiel, den Veränderungen und der magischen Ausstrahlung. Es werden farbige Male in den Raum geworfen – Erinnerungen an Gewalt und Verbrechen und Mahnung zugleich. Dabei sei ihre Kunst jedoch nicht pessimistisch, sondern „äußerst lebensnah“, so Holzer, die vieles gleichzeitig will. Nämlich: „Kunst für das Publikum nach draußen bringen, als Malerin tiefgründige, zugleich geordnete Bilder schaffen, unmissverständlich sein ohne Didaktik, die richtigen Themen finden, Räume transformieren, die Leute verwirren und erstarren lassen, Schönheit darbieten, humorvoll sein und niemals lügen.“ Das ist ihr mit dieser Ausstellung definitiv gelungen.


Ausstellung

Jenny Holzer
1. November 2009 bis zum 24. Januar 2010
Fondation Beyeler
Baselstrasse 77
CH-4125 Riehen / Basel
www.beyeler.com

Der Katalog zur Ausstellung ist im Hatje und Cantz Verlag erschienen und enthält neben Essays der Kuratorin Elizabeth A. T. Smith und Joan Smith ein langes Interview mit Jenny Holzer. Die auf den 136 Seiten verteilten 108 Fotos der Arbeiten Holzers – davon 96 farbig – geben dem Leser einen schönen, farbintensiven Eindruck ihres Schaffens.


Veranstaltungen

11. Dezember 2009 sowie 8. Januar 2010
Bei „Jenny Holzer am Abend“ bleibt das Museum bis 21 Uhr geöffnet. Besucher unter 25 Jahren haben freien Eintritt. In der Zeit von 18.30 bis 20 Uhr führt der Kurator Philippe Büttner durch die Ausstellung.

12. Januar 2010, 19.00 Uhr
Artist Talk: Jenny Holzer im Gespräch mit Jacques Herzog, Herzog & de Meuron Architects

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Links

Jenny Holzer

www.jennyholzer.com

Fondation Beyeler

www.beyeler.com

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