Eating the Universe: vom Essen in der Kunst
„Wenn alle Künste untergehn, die edle Kochkunst bleibt bestehn“ – das sagt nicht nur der Volksmund, auch der Schweizer Künstler Daniel Spoerri hat sich dieses Motto zu eigen gemacht. In Spoerris Werk spielt Essen eine bedeutende Rolle, gilt er doch als Erfinder der sogenannten Eat Art. Diese integriert veritable Lebensmittel und alltägliches Tafelgeschirr in die Kunstwerke. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Essen und Nahrung werden zur Kunst erhoben. Diesem Phänomen widmet die Kunsthalle Düsseldorf die umfassende Schau „Eating the Universe: vom Essen in der Kunst“. Ausgehend von Spoerris Werk werden in der Ausstellung 23 zeitgenössische Positionen zum weiten Feld des Essens und der Nahrungsaufnahme präsentiert.
Essen ist ein elementares Grundbedürfnis des Menschen und der künstlerische Umgang mit dem Thema markiert die Schnittstelle zwischen Kunst und Leben. Essen als tagtägliche Notwendigkeit strahlt aber auf das gesamte Leben aus und erweist sich, wenn vielleicht auch erst auf den zweiten Blick, als durchaus komplexes Thema: geht es doch um soziale Hierarchien, gesellschaftliche Codes, individuelle Vorlieben und Abneigungen, intime Momente, aber auch öffentliche Präsentationen. Die Gedanken der Künstler kreisen um so unterschiedliche Themen wie Überfluss und Hunger, moderne Ernährungslehren und Koch-Shows, Konsum- und Globalisierungskritik bis hin zu Fast Food und Gesundheitswahn.
Spoerri und die Eat Art
Die Ausstellung mit insgesamt 90 Objekten gliedert sich in zwei Abschnitte, wovon der erste den Arbeiten Daniel Spoerris gewidmet ist. Der 1930 geborene Künstler hatte 1970 den Begriff Eat Art geprägt und neben einem Restaurant am Düsseldorfer Burgplatz auch die Eat-Art-Galerie eröffnet, für die Künstler wie Günther Uecker, Joseph Beuys oder André Thomkins Editionen aus Lebensmitteln und essbaren Materialien produzierten. Dabei ging es vor allem Beuys und Roth darum, Unbeständigkeit, Transformation und Zerfall des Mediums Nahrung bildlich auszudrücken – als Metapher für die Grundbedingungen menschlicher Existenz. Und nicht nur das: Kunst sollte einem breiten Publikum zugänglich gemacht, die etablierte Kunstwelt hinterfragt oder gar gänzlich in Frage gestellt werden.
Wenn Kunst und Leben eins werden
Spoerris intensiver Beschäftigung mit dem Thema Essen verdanken wir die sogenannten „Fallenbilder“ (tableaux piège): So verwendete der Schweizer übriggebliebene Reste von eigens zu diesem Zweck veranstalteten (Künstler-)Banketten und fixierte diese mitsamt des Tafelgeschirrs mit Kunstharz auf eine feste Unterlage. So schuf Spoerri dreidimensionale Stillleben als eingefrorene Momentaufnahmen. Auch wenn sich Künstler seit jeher mit den Sujets Nahrung, Essensaufnahme und Tafelgeschirr beschäftig hatten – man denke nur an die üppigen Stillleben des Barock oder das futuristische „Manifesto della Cucina Futurista“ von Filippo Tommaso Marinetti –, evozierten die Fallenbilder Spoerris eine folgenreiche Veränderung des Kunstbegriffs: Die Trennung von Kunst und Leben wurde durch die Vergänglichkeit der Werke quasi aufgehoben.
Von Butter, Brot und Zucker
Der zweite, weitaus größere Teil der Düsseldorfer Ausstellung widmet sich den Positionen zeitgenössischer Künstler, die alimentäre Materialien für ihre Werke nutzen oder das Thema Essen für sich gewählt haben, beispielsweise in Form von Videoinstallationen. Unter den ausgestellten Künstlern finden sich neben Beuys, Roth und Spoerri auch so klangvolle Namen wie Arman, César, Paul McCarthy, Gordon Matta-Clark oder Ben Vautier. Die verwendeten, essbaren Materialien reichen von Butter (Sonja Althäuser, „Das Willkommen“, Butterskulptur in beleuchteter Kühlvitrine, 2009), Brot (Jana Sterbak, „Bread Bed“, Eisen und Brot, 2006) bis hin zu Zucker (Thomas Rentmeister, „Ohne Titel“, Zucker und Einkaufswagen, 2007). Zuweilen bleibt der gute Geschmack auf der Strecke, wenn beispielsweise in der Videoinstallation „Dough“ von Mika Rottenberg (2006) der unappetitliche Ablauf einer Teigproduktion gezeigt wird.
Von den Sinnen und dem Sinnlichen
Und überhaupt: Die Vergänglichkeit von Lebensmitteln ist ein Themenschwerpunkt der Werke. Kein Wunder, denn sind Nahrungsmittel Hauptgestaltungsmittel eines Kunstwerks, bestimmt deren kontinuierliche Transformation dessen Aussehen und manches Mal auch dessen Geruch. Und so ist diese Ausstellung eine durch und durch sinnliche Angelegenheit. Denn wo sonst kann man in einem Museum süß-herbe Schokolade riechen? Die Künstlerin Anya Gallaccio macht es möglich, indem sie die Wände des Ausstellungsraums und eine Sitzbank mit dunkelbrauner, stark kakaohaltiger Kuvertüre bestrichen hat. Dieser Raum befindet sich in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Unerwartet und von fast poetischer Schönheit ist auch das um 1970 entstandene Gemälde „Sonnenaufgang“ von Dieter Roth: Hier ist die Sonne nicht konventionell mit dem Pinsel auf die Leinwand gemalt, sondern besteht aus einer veritablen Salamischeibe.
Die Küche als Architektur
Auch die Küche als kreativer und sozialer Produktionsort wird in der Schau thematisiert. In der Installation „Rotating Kitchen“ von Zeger Reyers beispielsweise bewegt sich eine komplett eingerichtete Küchenzeile in einer Stunde viermal um sich selbst, so dass der gesamte Inhalt des Küchenmobiliars durcheinander gewirbelt wird und nur noch ein Abfallhaufen übrig bleibt. Hier scheppert und bewegt sich etwas, werden alle Sinne angesprochen – der Besucher steht fasziniert vor dem nicht aufzuhaltenden Chaos. Andreas Wegner hingegen hat sich mit einer Ikone der Möbelgeschichte beschäftigt und reflektiert deren soziale und architektonische Bedingungen: der in den zwanziger Jahren entstandenen „Frankfurter Küche“ von Margarete Schütte-Lihotzky. Einem ganz anderen Thema widmet sich die Künstlerin Elke Krystufek in ihren Videoarbeiten „Vomitting“ (17.1.1992) und „Eating“ (18.1.1992). Hier geht es um gestörte Körperlichkeit, um das übergeordnete Thema Essen und Schönheitsideal.
Kochen ist Kunst
Der Titel der Ausstellung stammt von dem Künstler und Experimentalfilmer Peter Kubelka. Er hatte 1980 an der Frankfurter Städelschule einen Studiengang ins Leben gerufen, der sich „Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung“ nannte. Kubelka sieht die Speisenzubereitung als Kunst der Sinne, als ein kulturelles Phänomen, das den Menschen seit Beginn seiner Existenz begleitet. In einer Live-Fernsehsendung namens „Eating the Universe“ verwandelte er 1972 sein New Yorker Studio in ein Kochstudio und erläuterte dem Publikum seine Kunstphilosophie, während er selbst die Speisen zubereitete. Bereits zu dieser Zeit also vermengen sich Kochkunst und Kultur und wurde die Frage danach gestellt, ob der Koch nun Künstler oder Handwerker sei. Das Kochen und der Koch haben sich längst in unser kulturelles Gedächtnis geschrieben, wie die Tatsache beweist, dass der katalanische Starkoch Ferran Adrià an der Documenta 12 teilnahm. Roger Buergel, damaliger Leiter der Documenta, begründete seine Entscheidung folgendermaßen: „Ich habe Ferran Adrià eingeladen, weil er es geschafft hat, seine eigene Ästhetik hervorzubringen, die sich in etwas sehr Einflussreiches in der internationalen Szene verwandelt hat.“
Die Düsseldorfer Ausstellung stellte die Kuratoren übrigens vor einige ganz unerwartete Probleme: Als die Künstlerin Jana Sterbak für ihr Metallbett eine Matratze aus echtem Brot backen wollte, musste erst einmal ein geeigneter Ofen gefunden werden.
Informationen zur Ausstellung
Die Ausstellung „Eating the Universe. Vom Essen in der Kunst“ in der Kunsthalle Düsseldorf ist noch bis zum 28.02.2010 zu sehen. Weitere Stationen sind die Galerie im Taxispalais Innsbruck und das Kunstmuseum Stuttgart.
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen:
Kunsthalle Düsseldorf/ Galerie im Taxispalais Innsbruck/ Kunstmuseum Stuttgart (Hrsg.): Eating the Universe. Vom Essen in der Kunst. Köln (Dumont-Verlag) 2009. 312 Seiten, zahlreiche Abb., 29,90 Euro.
Ein Highlight des Begleitprogramms findet am Freitag, den 5. Februar 2010 im Haus Maria Theresia in Düsseldorf statt: das Eat-Art-Bankett „Un coup des dés“ mit dem Künstler Daniel Spoerri. Hier werden die Gäste zu Akteuren einer opulenten künstlerischen Inszenierung.
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