Epizentrum des Wohnens
Noch vor wenigen Jahrzehnten diente die rationalisierte Küche als Maschinenraum des Heims, wo das Essen von Frauenhand zubereitet, anschließend in der repräsentativen Umgebung von Ess- oder Wohnzimmer verspeist wurde. Beim Anblick des gestalterischen und finanziellen Aufwandes, der für das Design hochwertiger Küchen heute betrieben wird, ist ablesbar, dass die Küche zu einem wichtigen, wenn nicht gar dem repräsentativsten Bereich des Hauses avanciert ist: zum Ort der Zusammenführung leiblicher und sozialer Genüsse. Dass heutige Küchen einem längst vergangenen Modell nacheifern, scheint angesichts moderner High-Tech-Ausstattung schwer zu glauben. Welchen Weg hat die Küche seit ihrer Sozialisierung zurückgelegt und welche Entwicklungen haben wir in den kommenden Jahren zu erwarten?
Der erste Nachweis einer küchenähnlichen Anlage stammt aus der Zeit um 8.000 v. Chr. aus dem Raum Jericho. Zur Küche gehörten damals einfache Lehmöfen sowie offene Feuer- und Mahlsteine, die von mehreren Familien gemeinschaftlich genutzt wurden. Während die Griechen bereits eine separate Küche unterhielten, besaßen in Rom die meisten Bürger keine, da die Zubereitung von Speisen in öffentlichen Anlagen und zentralen Bäckereien erfolgte. Nur wohlhabende Römer verfügten über private Küchen, die in Räumen ohne Rauchabzug untergebracht waren. Im Mittelalter schließlich leitete ein über der offenen Feuerstelle am höchsten Punkt des Gebäudes eingelassenes Loch den beißenden Rauch ins Freie. Die Feuerstelle war einzige Lichtquelle und aufgrund der Wärmeentwicklung wichtigster Aufenthaltsort der Gemeinschaft. Mit der Erfindung des Kamins im ausgehenden Mittelalter wanderte die Feuerstelle schließlich vom Zentrum des Raumes an die Wand und die Küche verlor allmählich ihren Platz als Mittelpunkt des sozialen Lebens der Gruppe oder Familie.
Die rationalisierte Küche
Ein erster Fortschritt im Küchendesign brachte das ausgehende 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung mit der Erfindung des geschlossenen Herdes und der Entdeckung der Hygiene, mit der die Erfindung der „weißen Küche“ einherging. Die zunehmende Berufstätigkeit vieler Frauen machte zudem die Rationalisierung der Hausarbeit notwendig. Sogenannte Arbeitsküchen, wie man sie aus den Wohnsiedlungen der 1950er und 1960er Jahre kennt, hatten ihren Ursprung in den 1920er Jahren, als Margarete Schütte-Lihotzky, beauftragt von dem Frankfurter Baurat Ernst May, eine Küche entwarf, die durch Optimierung aller Abläufe den Grundstein der Einbauküche legte. Vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte die Frankfurter Küche als Inbegriff modernen Lebens zum internationalen Standard.
Zurück zur Gemeinschaftsküche
Bereits in den 1970er Jahren entsprach das Modell der rationalisierten, auf 6,5 qm optimierten Küche für die „moderne Frau“ nicht mehr dem allgemeinen Zeitgeist. Die Wohngemeinschaften der Achtundsechziger-Bewegung brachten den Tisch zurück in die Küche und machten diese als Mittelpunkt des sozialen Lebens wieder salonfähig. Gekocht und abgewaschen wurde sowieso gemeinsam. Eine Küche, die nicht als Essplatz, Aufenthaltsort und Mittelpunkt des gemeinschaftlichen Wohnens taugte, galt fortan als rückständig. In dem Buch „Die Küche zum Kochen. Werkstatt einer neuen Lebenskultur“ von 1982 stellte Otl Aicher den Werkstattcharakter der Küche in den Mittelpunkt und beschrieb sie als einen offenen Ort, an dem geselliges Beisammensein mit kunstvoller Handarbeit am sinnlichen Gegenstand Essen geschaffen wird. Spätestens seit den 1990er Jahren ist die Wohnküche aus dem Repertoire der Küchenhersteller nicht mehr wegzudenken. Die Änderung sozialer Lebensverhältnisse, die steigende Zahl von Singlehaushalten und schließlich der Eintritt des Mannes in die Welt des Kochens haben die Entwicklung der Küche nachhaltig beeinflusst. Ästhetik und Technik rücken zunehmend ins Zentrum und der Kauf einer Küche gleicht mitunter eher dem eines Mittelklasse-Wagen. Und wer viel Geld ausgibt, der möchte auch etwas davon zeigen. Auf hochwertig ausgestatteten Kücheninseln wird fortan vom Feinsten geschnippelt und gegart, während die Gäste, versorgt mit einem guten Glas Wein, als willkommenes Publikum dienen.
Kochen im Wohnzimmer
Während sich die Küche in letzten zwei Jahrzehnten zum Wohnraum hin öffnete, behielt sie als Werkstatt und Ort des Genusses ihre Eigenständigkeit durch die räumliche Anordnung und die Wahl der Möbel und Materialien. Inzwischen avanciert die Küche zum integrierten Bestandteil des Wohnens. Analog der Formensprache aller übrigen Lebensbereiche, nimmt die Küche kühl, pur und vor allem klar aufgeräumt darauf Bezug. Großer Wert wird auf ihre Funktionalität gelegt, was sich im Einbau hochentwickelter High-Tech-Geräte ausdrückt und in der Wahl hochwertiger Oberflächen wie Hölzer, Metalle, Natursteine oder Glas. In der Mitte des offenen Küchenbereichs befinden sich die von einer Arbeitsfläche eingefassten Kochfelder. Ob Gas-, Ceran- oder Induktionskochfeld, die Küche wird individuell auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmt. Dem kommt zu Gute, dass Küchen nicht nur einem Raster folgen, sondern zunehmend auch modular aufgebaut sind. Um die Anzahl der Küchengeräte bei aller Technikfreude nicht zu übertreiben, werden die Geräte mit mehreren Funktionen belegt. Ein Herd kann dabei zu Grill, Mikrowelle, " class="textlink">Dampfgarer oder Backofen werden. Im Großen wird die technische Entwicklung immer vernetzter und intelligenter. Und während der Kühlschrank uns in Zukunft seine Wünsche mitteilen kann, können wir den Braten schon mal von unterwegs per Handy zum Schmoren bringen. Während man in den 1990er Jahren die technischen Errungenschaften noch offen zur Schau stellte, werden sie in Zukunft hinter schwebenden Küchenzeilen oder edel verarbeiteten Wandschränken verschwinden. Lediglich der zum Altar erhobene Arbeits- und Kochblock mit einer archaisch darüber schwebenden Dampfesse erinnert noch entfernt an die „Werkstatt“ Otl Aichers. Wo jedoch einst das Werkzeug offen über der Werkbank hing und die Handarbeit sinnlich erlebbar gemacht wurde, bleiben heute sowohl Technik als auch Utensilien hinter grifflosen Fronten verborgen.