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Food Design - Gestaltung auf dem Teller

von Tanja Pabelick, 10.12.2007

Schon vor langer Zeit hat sich der Mensch vom zweckorientierten Essen verabschiedet. Statt sich bei knurrendem Magen mit der Keule auf die Lauer zu legen, schiebt er gemütlich den Einkaufswagen durch den Supermarkt und pflückt sich seine konservierte und hübsch verpackte Nahrung bequem aus prall gefüllten Regalen. Verantwortlich für den Evolutionssprung der Esswaren ist die Industrialisierung, die neben Gebrauchsgütern auch Lebensmittel zu durchgestalteten Massenprodukten machte und für die Konsumenten zum Prestigeobjekt. „Du bist, was Du isst“ sagt ein altes Sprichwort und bringt damit eine auch heute noch gültige Tatsache auf den Punkt: Der Inhalt des Kühlschranks verrät ebenso viel über Status und Lebensgefühl des Besitzers wie das Auto in seiner Garage. Und: Auch bei den Lebensmitteln kommt die Gestalt von Gestaltung.
Im letzten Jahr wurde dem Starkoch Ferran Adrià einer der bedeutendsten Designpreise Europas für sein Lebenswerk verliehen und der spanische Designer Marti Guixe feierte „10 years of food design“. Verkehrte Welt? Ein genauer Blick auf die Geschichte zeigt: Dekoratives und designtes Essen ist keine neumodische Erfindung versponnener Gestalter, sondern schon seit Jahrhunderten Teil unserer Kultur, wenngleich vieles im Ursprung weniger dem irdischen Konsumenten als den Göttern gefallen sollte. Angefangen hat alles mit den Teigwaren, die man als religiöse Opfergaben zu Brezeln, Zöpfen oder Kipferln knetete. Heute haben diese Produkte der Backkunst vor allem Bedeutung für die nationale Identität: Das Croissant hat für Frankreich einen ähnlichen Stellenwert wie der Eiffelturm und die Brezel ist typisch bayrisch.
Quadratisch, praktisch. Gut?
Mit der industriellen Revolution wurden auch die Lebensmittel zur massenproduzierten Ware und purzelten in genormter und immer gleicher Qualität und Form aus den Fertigungsstraßen. Vieles von dem, was uns heute vertraut und selbstverständlich erscheint, verdankt sein Erscheinungsbild vor allem maschinellen Anforderungen. Die konisch zulaufenden Ränder der Schokoladen sind nichts anderes als Entformungsschrägen, die dafür sorgen, dass sich das fertige Produkt nach dem Erkalten leichter aus der Negativform lösen lässt. Auch das hübsche Waffelmuster an der Unterseite von Konfekt ist eine Hinterlassenschaft des Produktionsprozesses, der die Pralinen nach dem Auftragen des letzten Überzugs zum Abtropfen auf ein Gitter schickte. Doch nicht nur die automatisierte Herstellung trägt zur Form der Dinge bei. Einfluss nimmt auch der ressourcensparende Transport von der Fabrik zum Endverbraucher, der nicht nur zu rechteckigen Verpackungen führt, sondern in manchen Fällen auch zu einem kastenförmigen Produkt. Zuckerwürfel, Spinatklötze, Fischstäbchen und Toastbrot sind - neben Ergonomie und Dosierbarkeit - nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen so herrlich kompakt. Die weltweite Standardgröße der quadratischen Weißbrotscheibe führt sogar zu Assimilationen bei den Belägen und Aufschnitten. Schmelzkäse und Formschinken sind oft exakt so groß wie der Toast und machen das Sandwich zum individuellen Multi-Komponenten-Lebensmittel.
Das Auge isst mit
Neben aller Praktikabilität interessiert den Kunden beim Kauf vor allem das Aussehen der Ware. Während in früheren Zeiten Produkte zur Qualitätskontrolle mit Hand und Nase untersucht wurden, muss man sich heute auf das Kleingedruckte verlassen. Haltbarkeitsdatum und Zutatenliste mit Nährwertangaben geben oft den einzigen Hinweis auf Zustand und Geschmack des steril verpackten Inhalts. Um sich aus der Masse hervorzuheben, bemühen sich die Food-Designer aber auch heute noch, die Sinne anzusprechen. Im Regal zählt die Optik: Farbe, Form und Image des Produkts sind die ausschlaggebenden Kriterien und entscheiden, ob der Kunde das Produkt zur Kasse trägt. Zu Hause ausgepackt, kommen noch andere Charakteristika dazu: Wie schön knackt die Wurst, ist das Brötchen knusprig oder duftet der Apfelstrudel so wie bei Oma? Was uns in diesem Augenblick ganz selbstverständlich erscheint, ist aber tatsächlich das Resultat jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit sensorischer Gestalter, die den Kunden über diese Qualitäten und Werteassoziationen emotional an ihr Produkt zu binden versuchen. Keine leichte Aufgabe, denn wie alle anderen Produkte sind auch die Nahrungsmittel sich stetig wandelnden Trends unterworfen. Gestern noch war es das Fast und Fun Food, dann kam Organic, Health und Slow Food. Heute ist Nahrung im besten Fall auch noch "Functional" und verfügt über Ingredienzien mit positiven medizinischen Nebenwirkungen wie etwa verdauungsfördernde, linksdrehende Joghurtkulturen.
Geeiste Luft aus Parmesan und Müsli
Die Trends der Branche finden sich in ihrer extremen und exklusiven Variante in den Studios der Lebensmittel-Künstler: den Restaurantküchen. Zukunftsweisend sind die Kreationen des Katalanen Ferran Adrià , der mit seinen dekonstruierten Lebensmittel-Schöpfungen alle Sinnesgewohnheiten aushebelt. Wer das Stangenei bereits für die verrückteste Erfindung seit Menschengedenken hält, hat sicherlich noch nicht von Adriàs Gelatinegemüse an Holzkohleöl gehört: eine Grillplatte, die aus sieben bunten Geleestreifen besteht und von einem mit Holzkohle versetzten Sonnenblumenöl begleitet wird. Gaumenfreuden, die kreativ und verrückt, vor allem aber innovativ sind. Nicht zuletzt, weil der Sternekoch bei all seinen Neuschöpfungen Anleihen aus Physik und Chemie nimmt und damit ein neues Kapitel der Kochgeschichte geschrieben hat. Adrià hat den klassischen Kochtopf fast vollständig aus seiner Küche verbannt, stattdessen finden sich dort Bunsenbrenner, Stickstoff und Reagenzglas, mit denen geschäumt, pulverisiert oder geeist wird. 2006 wurde ihm dafür der „Lucky Strike Designer Award“ verliehen, der jährlich einen Gestalter prämiert, dessen Arbeit das tägliche Leben in sozialer oder kultureller Hinsicht verbessert haben soll.
Olivenatome vom Techno-Tapaisten
Wahre Pionierarbeit auf dem Gebiet des Food Designs hat allerdings der Spanier Marti Guixe geleistet, der schon vor zehn Jahren beschloss die Welt des Lebensmitteldesigns zu revolutionieren, von nostalgischen Nutzlosigkeiten wie Teller und Besteck zu befreien und die Nahrungsaufnahme zu einem ebenso komfortablen wie spaßigen Erlebnis zu machen. Mit einer Hand soll gegessen werden – um mit der anderen beispielsweise die Computer-Tastatur zu bedienen – und es darf nicht tropfen und fetten. Das Resultat seiner Arbeit sind mundgerechte Portionen, die auch seine spanische Herkunft verraten: Dort wird Essen in kleinen Häppchen serviert und mit den Händen gegessen. Daher rühren wohl auch seine alternativen Berufsbezeichnungen „Tapaist“ und „Techno-Gastrosoph“.
Guixes Idee vom Essen im 21. Jahrhundert manifestiert sich in Produkten wie dem „Olive Atomic Snack“, der Olive und Holzpiekser zu einem Atommodell gesteckt in neuer Form zusammenbringt, oder dem 3D-Snack, einem geometrisch vorgeschnittenen Apfel, der durch Zahnstocher bis zum Verzehr fixiert bleibt. Praktische Lösungen, die trotz des einfachen Grundgedankens recht extravagant und künstlerisch daherkommen. Durchsetzen konnte sich die von Guixe initiierte Revolution bisher jedenfalls noch nicht und der Designer zog daraus dieses Jahr in Mailand auf dem Salone del Mobile die Konsequenz: „Ich bin fertig mit dem Food Design“. Ein ganzes Jahrzehnt hatte er der Gestaltung von Lebensmitteln gewidmet, ohne dass sich in der doch recht konservativen Branche etwas bewegt hatte. Uns hinterlässt er viele schöne Ideen und die Erkenntnis, dass Lebensmittel auch ohne „convenience“ und „lifestyle“ durch einfaches Überdenken eingefahrener Gewohnheiten einen Mehrwert erhalten können.
Mehr zum Thema:
Sonja Stummerer/Martin Hablesreiter:
Food Design von der Funktion zum Genuss
Wien/New York 2005
Springer-Verlag
Gebunden
132 Seiten, 23,6 x 23,2 x 1,4 cm
ISBN 3211235124
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Ferran Adrià

www.elbulli.com

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