Geschüttelt, nicht gerührt
50 Jahre nach seinem Leinwandjubiläum widmet das Londoner Barbican Centre dem bekanntesten britischen Geheimagenten eine umfassende Retrospektive. Designing 007: Fifty Years of Bond Style heißt die Schau mit über 400 Exponaten, von Ursula Andress‘ weißem Bikini aus Dr. No bis hin zum schwimmenden Lotus Esprit aus Der Spion, der mich liebte, die eines deutlich machen: Der Erfolg der Agentenreihe ist längst nicht nur dem Charme ihrer Hauptdarsteller geschuldet. Als Zusammenspiel aus Design, Architektur, Mode und feiner Lebensart sind die Bond-Filme wie ein Seismograph für den Zustand der Welt.
Bereits die erste Einstellung spricht Bände: Noch bevor sich Sean Connery im ersten Bond-Abenteuer Dr. No (1962) am Spieltisch des Londoner Casinos Les Ambassadeurs mit den Worten „Bond, James Bond“ zu erkennen gibt, bekommen die Zuschauer lediglich seine Garderobe zu sehen. In Nahaufnahme fokussiert die Kamera seine Karten spielenden Hände und die Ärmel seines Smokings, fährt langsam höher und gibt das seidene Revers frei, bis das Gesicht beim Anzünden einer Zigarette und den berühmten drei Worten offenbart wird. Die Reihenfolge ist gezielt gewählt: Bond tritt nicht als Haudrauf-Agent in Erscheinung, sondern als Mann mit Manieren, dem man die Rolle des Kämpfers zunächst kaum abnehmen mag.
Maßanzüge als Nachthemden
Angefertigt wurde der Smoking wie auch die übrige Garderobe des Films vom Londoner Schneider Anthony Sinclair, der in der Tat vor keiner leichten Aufgabe stand. Denn Sean Connery war als Hauptdarsteller nur zweite Wahl. Ian Fleming, der Autor der Bond-Romane, wollte lieber Cary Grant in der Rolle des Geheimagenten und hielt den groß gewachsenen Schotten für gänzlich ungeeignet. Zu muskulös und grob erschien ihm der Ex-Bodybuilder, der in seiner Freizeit bevorzugt Jeans und Bomberjacken trug. Dennoch hielt Produzent Albert R. Broccoli Connery für einen „ungeschliffenen Diamanten“ und nahm ihn unter Vertrag.
Fleming und der Regisseur der Dr. No-Verfilmung, Terence Young, griffen zu ihrer Geheimwaffe und entsandten Connery zu ihrem gemeinsamen Schneider. Antony Sinclair vermochte seine muskulösen Züge tatsächlich zu mildern und ihm mit weich fallenden Stoffen einen kultivierten Auftritt zu verschaffen. Terence Young trug ihm zudem auf, auch nachts in den Maßanzügen zu schlafen, um sich in ihnen wohl zu fühlen und Souveränität zu erlangen. Die Rolle des James Bond musste Sean Connery auf diese Weise nicht nur einstudieren. Sie wurde ihm tatsächlich auf den Leib geschneidert.
Die Rolle des Casinos
Zu sehen ist der Smoking aus Dr. No zusammen mit über 400 weiteren Exponaten im Londoner Barbican Centre, das die filmische Ausstattung der vergangenen fünf Jahrzehnte Revue passieren lässt. Ein ganzer Raum wurde eigens der Welt der Casinos gewidmet, die zu den Bond-Abenteuern dazu gehören wie schnelle Autos, schöne Frauen und die obligatorischen Gadgets. Dass Gegner keineswegs nur mit Fäusten und Waffen zur Strecke gebracht, sondern ebenso beim Glücksspiel in die Enge getrieben werden, offenbart zugleich einen der zahlreichen autobiografischen Züge, die Ian Flemming seinen Büchern mit auf den Weg gab.
In den dreißiger Jahren arbeite der Enkel des Londoner Bankiers Robert Fleming selbst als Spion für den englischen Geheimdienst, getarnt als Journalist für die Nachrichtenagentur Reuters und die Londoner Times. Während des Zweiten Weltkriegs leitete er eine Spionageabteilung unter seinem eigenen Namen und wurde zu Beginn der vierziger Jahre zum Verbindungsoffizier im portugiesischen Badeort Estoril. Im dortigen Casino, das seinerzeit das größte in Europa war, konnte er seiner Spielleidenschaft offen nachgehen und lernte wie sein späterer Romanheld vor allem am Kartenspiel Baccarat Chemin de Fer Gefallen. Kurz vor Kriegsende wurde Ian Fleming nach Jamaica verlegt und verbrachte seitdem die Wintermonate auf der karibischen Insel. In seinem am Strand erbauten Haus Goldeneye, benannt nach einer seiner früheren Geheimdienst-Operationen, begann er 1952 mit dem Schreiben an seinem ersten Bond-Abenteuer Casino Royal.
Goldene Schreibmaschine
Verfasst wurde dieses auf keiner gewöhnlichen Schreibmaschine, sondern auf einer mit Gold überzogenen Royal Quiet De Luxe, die sich Fleming 1952 in New York anfertigen ließ. In der Londoner Ausstellung ist diese zwar nur als Nachbau zu sehen – das Original wurde 1994 für 56.000 Britische Pfund an einen anonymen Sammler versteigert –, doch führt selbst der Nachbau die Exzentrik des viel gereisten Autoren treffend vor Augen. An einer Pinnwand werden seine persönlichen Kontakte zu ehemaligen Agenten, Geheimdienstmitarbeitern, Forschern oder Schriftstellern nachzeichnet. Fleming, der in den fünfziger Jahren erneut für die Sunday Times als Journalist zu arbeiten begann, verfasste bis zu seinem Tod 1964 insgesamt zwölf Bond-Romane. Die meisten von ihnen brachte er in weniger als acht Wochen zu Papier, während er die Vermarktung der Filmrechte schon frühzeitig in Angriff nahm.
„Dem Zeitgenössischen eine Spur voraus“, beschrieb Set-Designer Ken Adam den Stil von James Bond. Die Kulissen und Objekte, die er für den Großteil der Bond-Verfilmungen der sechziger und siebziger Jahre konzipierte, waren jedoch alles andere als reine Ausführungen vom Flemings Ideen. Adam gab den Filmen ihre visuelle Identität, die entscheidend zum Erfolg der Agentenreihe beitrug. Mal entwarf er fiktive, mysteriöse Räume wie die in einem erloschenen Vulkan untergebrachte Zentrale des Schurken Blofeld in Man lebt nur zweimal (1967) oder gab Einblicke in ansonsten verschlossene Orte wie das Depot der US-Goldreserven. „Wenn ich Dekore wie Fort Knox für Goldfinger oder den Tanker für Der Spion, der mich liebte entwerfe, dann ist das ja nicht die Realität. Das ist meine Realität, eine fast theatralische Realität, die aber für das Publikum oft mehr gilt als die Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit kann mitunter sehr langweilig sein“, brachte Adam die Wirkung seiner Arbeit auf den Punkt.
Erfolg der Gadgets
Während Fleming in seinen Romanen lediglich für Goldfinger einen Aston Martin mit Spezialausstattung vorsah, wurden die Gadgets bald zum Markenzeichen der Bond-Verfilmungen. Ein Umstand, der sich auch publikumswirksam im Parcours der Londoner Ausstellung widerspiegelt. Knapp ein Drittel ihrer Fläche sind den Erfindungen aus der Werkstatt des Bond-Tüftlers Q widmet, darunter der Minihelikopter Litte Nellie aus Man lebt nur zweimal oder das Q Boot aus Die Welt ist nicht genug (1999). Welchen Effekt die Gadgets bei Goldfinger bewirkten, ließ auch die Produzenten aufhorchen. Binnen zwei Wochen nach Kinostart spielte der Film die Produktionskosten von drei Millionen US-Dollar wieder ein, während Aston Martin im Folgejahr rund 40 Prozent mehr Autos verkaufte.
Einen fast intimen Einblick gibt das Kapitel der „Schurken“ und ihrer Komplizen. Zu sehen sind aus intimer Nähe die Kostüme von Blofeld, Dr. No, das Gebiss des „Eisenbeißers“ aus Moonraker (1977) oder der mit einem Giftstachel ausgerüstete Schuh der russischen Agentin Rosa Klebb aus Liebesgrüße aus Moskau. Auch Ursula Andress‘ weißer Bikini aus Dr. No darf nicht fehlen, wenngleich in einer eigenen Kategorie „Strand“ mitsamt der Wiederauflage desselben Kleidungsstücks aufbereitet, das Halle Barry 2002 in Stirb an einem anderen Tag trug. Doch schon hier wird eines deutlich: Die Bond-Filme der neueren Art sind immer stärker in der Bilderwelt ihrer Vorgänger gefangen – und das bei weitem nicht nur in Smoking tragenden Casino-Szenen.
Inflation der Bilder
Schon Ken Adam sah sich genötigt, seine Interieurs von Film zu Film immer weiter zu steigern, bis sie mit der Raumstation aus Moonraker ihren Höhepunkt erreichten. Kein Bond-Film hat daran bisher angeknüpft und die Kulissen lieber realen Architekturen überlassen. Selbst der Eispalast aus Stirb an einem anderen Tag wurde zum Großteil in Nicholas Grimshaws 2001 fertiggestelltem Eden Project im englischen Cornwall gedreht, während für den letzten Bondstreifen A Quantum of Solance das von Auer und Weber erbaute Residencia Hotel in der chilenischen Wüste zum Einsatz kam. Und auch die Special Effects bilden keine neuen Welten mehr ab, sondern lassen höchstens einen venezianischen Palazzo in Casino Royal (2006) im Canal Grande versinken. Von Zukunft ist schon lange keine Rede mehr.
Stattdessen sind es vor allem die Stunts, mit denen die Agentenreihe dem Zeitgeist angepasst werden soll. Schnelle Schnitte, harte Kämpfe, zerfetze Körperteile. Es herrscht plötzlich Krieg auf der Leinwand, was zugegeben sehr real wirkt. Doch lag der Charme der Bond-Filme nicht darin, dass sie eben nicht real waren? Dass die Klasse alter Schule mit einer entwaffnenden Lässigkeit und Ironie gepaart und somit frisch durchdacht wurde? Die Erfindungen von Q oder der Krater von Blofeld waren ja nicht zum Nachbauen gedacht, sondern Gags. Eben das, was sich kleine wie große Jungs schon immer gewünscht haben. Die heutigen Produkte müssen zugleich im Handel erhältlich sein. Da machen auch die schnittigen Anzüge (nachdem Brioni in den neunziger Jahren Pierce Brosnan einkleidete, übernahm Tom Ford mit A Quantum of Solance die Ausstattung) nicht wett, dass Bond kaum mehr als ein Werbestreifen auf zweieinhalb Stunden Länge geworden ist. Am Ende gewinnt eben doch – und das längst nicht nur beim Baccarat – die Bank.
Designing 007: Fifty Years of Bond Style
Barbican Centre London, bis 5. September 2012
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