Helsinki World Design Capital 2012 – Teil 1
Auf Turin (2008) und Seoul (2010) folgt Helsinki. Zum dritten Mal hat die kanadische Non-Profit-Organisation International Council of Societies of Industrial Design den Titel einer World Design Capital vergeben und damit sicheres Gespür bewiesen. Die Finnen haben das Design nicht nur als aufgesetzten Wanderzirkus inszeniert, sondern tatsächlich in der Stadt verwurzelt. Vier Tage waren wir in Helsinki unterwegs und haben weit mehr als nur die Spuren der großen Meister gefunden. Eine Reise zu Wohnungen voller Picassos, Industriebrachen im Wandel und hinab zu einem Restaurant 100 Meter unter der Erde.
Wir trafen uns vor der Kapelle. Keine gewöhnliche, sondern die im Mai eröffnete Kapelle der Stille am Narinkka-Platz. Es ist der Auftakt einer viertägigen Reise durch die finnische Hauptstadt, und eine zusammengewürfelte Gruppe internationaler Journalisten lauscht den einleitenden Worten von Pekka Timonen, dem Direktor des zwölfmonatigen Designhauptstadt-Programms. Helsinki sei eine der schnellsten wachsenden Regionen Europas, bekommen wir zu hören. Und er verweist auf den alten, stillgelegten Güterhafen, der ähnlich wie die Hamburger Hafencity als neues Wohnquartier belebt werden soll. Und noch eine Zahl lässt aufhorchen: Bereits heute werden 25 Prozent der finnischen Wirtschaft auf direkte oder indirekte Weise durch Design erwirtschaftet, dessen Bedeutung sich längst sogar bis in die Amtsstuben der Politik herumgesprochen habe.
Sensibilisierung für Schönheit
„Die Aufgabe ist nicht mehr allein das Entwerfen von Gegenständen oder Kunsthandwerk, sondern die ganzheitliche Verwendung des Designs für eine Verbesserung des sozialen Lebens“, macht Timonen deutlich. Die Kapelle der Stille sei dafür ein Beispiel. Inmitten des quirligen, neuen Einkaufsviertels von Helsinki soll sie einen kontemplativen Ausgleich schaffen. Einen Ort zum Innehalten, der allen Glaubensrichtungen und Nichtgläubigen gleichermaßen offen steht. Entworfen wurde der Bau von Mikko Summanen und seinem Büro K2S als eine Mischung aus Schiffsbug und übergroßem Wasserbottich. Und dann kommt ein Satz, der so in Deutschland nicht ohne Weiteres fallen würde: „Ich hoffe, die Kapelle wird die Menschen sensibilisieren, Schönheit und Güte zu erkennen“, sagt Pfarrerin Tarja Jalli, die die Kapelle der Stille leitet. Wird Ästhetik hier wirklich als staatstragende Aufgabe verstanden, ja selbst als erstrebenswertes Allgemeingut?
Mit diesen Fragen im Kopf beginnt eine Rundfahrt im Bus durch die Stadt. Und in der Tat sind viele Baustellen zu sehen. Rund um Steven Holls 1998 eröffnetes Kiasma Museum wächst ein neues Stadtviertel empor. Den Auftakt machte das Haus der Musik mit seiner grünlichen Steinfassade, das direkt zwischen Parlament und Alvar Aaltos mit weißem Marmor überzogenen Finnlandia-Halle liegt, bereits im vergangenen Sommer. Vorbei an Eliel Saarinens Hauptbahnhof führt der Weg an der Anfang September eröffneten Universitätsbibliothek vorbei ins neue Hafen-Viertel und von dort wieder zurück an die Südspitze der Halbinsel, die das Zentrum von Helsinki bildet.
Picasso oder Bacon?
Vor einem ziegelsteinernen Haus kommt der Bus zum Stehen. Hinter den Bäumen auf der anderen Straßenseite liegt das Meer. Einige Segelboote blinken durch das Blattwerk hindurch. Wir betreten eine mondäne Wohnung, Cocktails werden gereicht und die Gäste begrüßt. Die Hausherrin entschuldigt sich, dass ihr Mann verspätet sei und wir doch schon einfach schon das Haus erkunden sollen. Dass es in diesem etwas anders zugeht, offenbart der Blick in die Bibliothek. Ein Picasso auf der linken Seite, ein Bacon gegenüber. Im Esszimmer ein Warhol, im Wohnzimmer eine Installation von Paik, um Untergeschoss ein Raum voller Hirsts. Jedes Nationalmuseum würde grün vor Neid auf diese Sammlung.
Wir befinden uns im Privathaus von Kaj Forsblom, dem Inhaber der gleichnamigen Galerie und Erbe eines der größten Vermögen des Landes. Dem Besuch, so geht das Gerücht herum, ging ein kleiner Eklat voraus. Denn die finnische Presse wurde aus Angst vor Getratsche in den Boulevard-Blättern kurzerhand ausgeladen. Und so trinkt und speist die internationale Runde unter sich inmitten einer Sammlung, die neben der Kunst auch mit einer eindrucksvollen Glassammlung, Möbeln von Eliel Saarinen sowie mit einer von Harri Koskinen entworfene Sauna aufwartet.
Widerstand an der Ladentheke
Am nächsten Morgen beginnen wir unsere Tour durch die Stadt. Vom Designmuseum und dem temporären, hölzernen Pavillon, der für die Tage der Designhauptstadt errichtet wurde, fuhrt der Weg direkt ins Dreieck zwischen den Geschäften von Artek, Marrimekko und Iittala. Wir gehen hinauf ins Savoy und bekommen eine Führung durch Alvar Aaltos Meisterwerk, das im Juli gerade 75 Jahre alt geworden und dafür erstaunlich gut in Schuss ist. Auf der Terrasse zeigt man uns stolz einen neu angelegten Kräutergarten. Der Küchenchef geht hier im Sommer persönlich pflücken, vorbei an den organischen Vasen, den güldenen Leuchten, den trompetenförmigen Stehleuchten, die Alto eigens für dieses Restaurant entwarf und heute zur Standardausrüstung jeder Berlin-Mitte-Wohnung gehören. Der entscheidende Unterschied: Die Möbel und Objekte, die uns auch an anderer Stelle immer wieder in der Stadt begegnen, sind hier kein Trend, sondern werden authentisch gelebt.
Zurück an der Esplanade, der Hauptmeile der Stadt, geht es weiter zu einer akademischen Buchhandlung. Auch sie wurde 1962 von Alvar Alto mit einem Innenleben aus weißem Marmor ausgestattet. Im kleinen Café im Obergeschoss hängen die goldenen Leuchten aus dem Savoy. Zum Lunch betreten wir die Schalterhalle einer ehemaligen Bank, wo einst die Stadtangestellten günstige Darlehn erhielten. Heute treffen sich Politik und Wirtschaft unter dem Jugendstil-Gewölbe des Restaurants Salutorget zum Lunch. Wir beenden gerade den Hauptgang, als eine eloquente junge Dame hereinkommt, mit dem Nachbartisch zu scherzen beginnt und sofort wieder weiter schwirrt. Sie heißt Laura Räty und leitet seit 2011 das Ressort für Gesundheit und Soziales in der Stadt und ist 36 Jahre jung, wie uns unser Gastgeber, der Pressechef der Stadt, verrät.
Überschaubare Messe
Am Nachmittag geht es hinaus zur Messe Habitare. Auch wenn einige Schwergewichte sind dabei, darunter ein kleiner Artek-Stand, Harri Koskinens neue Küche Silts für Saari oder ein Gemeinschaftsstand über Ökologisches Design, wo auch Alfredo Häberlis Tischserie April für den finnischen Möbelhersteller Nikari Oy zu sehen waren, haben wir den Rundgang im einer guten Stunde absolviert. Und schon geht es wieder weiter im Programm. In der Stadthalle stellt der Berliner Architekturjounalist Ulf Meyer seinen neuen Architekturführer von Helsinki vor. Am Abend fahren wir an den Stadtrand hinaus.
Es regnet in Strömen. Eine Jungdesigner-Ausstellung bespielt die Räume eines stillgelegten Fabrikgeländes sowie eine Landschaft von Containern, die in den Wassermassen zu schwimmen scheinen. Gestaltung ist hier ein wildes Potpourri aus Brauchbaren, Sonderbaren über Überflüssigem. Ein Kramladen der Form, der es schwer hat, gegen die allgegenwärtigen Aaltos, Wirkkalas und anderen Größen etwas auszurichten. Brauchen wir tatsächlich noch neue Dinge, beginnen wir uns zu fragen und ziehen weiter zu einem Dinner in einer einstigen Lagerhalle, die als temporäre Spielstätte des Küchenchefs Antto Melasniemi genutzt wird.
Hier geht es weiter zum zweiten Teil.
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