High-End von Hand
Dinge von Hand sind nicht nur charmant. Immer mehr beziehen Designer handwerkliche Prozesse in ihre Arbeit ein und verwischen die Grenzen zwischen Unikat und Serie. Nicht nur vom Aussterben bedrohte Berufszweige werden damit am Leben gehalten. Auch die Qualität der Produkte erreicht mitunter Maßstäbe, die ihre industriellen Pendants alt aussehen lassen.
Lassen wir an dieser Stelle die Form der Dinge kurz aus den Augen: Schließlich liegt der Reiz von handgefertigten Produkten vielmehr im Prozess ihrer Entstehung. Worauf es ankommt, sind ihre inneren Qualitäten, die sich selbst beim zweiten Blick nicht automatisch offenbaren müssen. Sie leben vom Wissen um ihre Existenz und schmieden auf diese Weise einen Pakt mit ihren Besitzern. Sie sind ein Investment mit Langzeitwirkung, das mitunter mehrere Generationen überdauern kann.
Kaschiert statt exponiert
Wer die Möbel aus der Kooperation zwischen Tom Dixon und dem nordenglischen Polstermöbelhersteller George Smith betrachtet, wähnt sich zunächst im falschen Film. Zu massiv wirken die Sofas und Sessel, um sie mit zeitgenössischem Design in Verbindung zu bringen. Allerdings hat die Schwere einen Grund: Hergestellt wird die Kollektion nach Verfahren, deren Geschichte 250 Jahre zurückreicht und anstelle billiger Kunststoffschäume allein auf die gute alte Sprungfeder setzen. Filigrane Formen sind damit zwar ausgeschlossen. Doch dafür lassen sich die Möbel auch nach Jahrzehnten in ihre Einzelteile zerlegen und von einem guten Polsterer wieder in Schuss bringen. Mit 4300 Euro liegt der Sessel Wingback durchaus über dem Durchschnitt der Branche. Doch berechnet man seine Lebensdauer mit ein, wirkt der Preis für den fast vollständig von Hand gefertigte Sessel durchaus angebracht.
Handarbeit, die nicht sehend mit den Augen, sondern fühlend mit dem ganzen Körper wahrgenommen wird, sind die Rosshaar-Matratzen des Schweizer Designers Daniel Herr. Der ausgebildete Sattler produziert die Stücke in seinem Kreuzberger Atelier nach einem Verfahren, das in seiner Familie seit vier Generationen beherrscht wird. Bereits sein Urgroßvater begann 1907 in Luzern mit der Herstellung von Matratzen aus dem Schweifhaar von Pferden, das mehr Länge und Füllkraft besitzt als normales Mähnenhaar. Bis zu 100 Jahre können die guten Stücke halten, sofern sie richtig gepflegt werden. Mit dem Klopfer sollte man ihnen allerdings nicht zu Leibe rücken, weil die Fasern brechen würden. Stattdessen müssten die Matratzen gebürstet und alle fünfzehn Jahre zur Ausarbeitung in die Werkstatt geschickt werden. Gemessen an dieser Haltbarkeit ist der Preis fair kalkuliert. Rund 4000 Euro kostet eine Doppelbett-Matratze aus reinem Rosshaar.
Massive Zeichen
Gemacht, um zu bleiben, sind ebenso die Entwürfe des italienischen Marmorherstellers Marsotto. Unter der Art Direktion von James Irvine stellte das Familienunternehmen aus Verona 2010 eine eigene Möbelkollektion vor, die seitdem im Jahrestakt um weitere Arbeiten ergänzt wird. Gefertigt aus reinem Carrara-Marmor, warten die Möbel mit einer geradezu biblischen Lebensdauer auf. Ob der Tisch Colonnade von David Chipperfield oder der Sessel Sultan von Konstantin Grcic: Durch ihre archaische Formensprache und den Verzicht auf mechanische Bauteile wie Scharniere sind sie faktisch unzerstörbar. Sie sind Artefakte, die nicht nur jedes Gebäude überleben werden, in das sie platziert werden. Sie stellen ebenso die Maßstäbe für Qualität und Langlebigkeit auf eine neue Ebene.
Auch das Londoner Möbellabel Sé gibt sich mit halben Sachen nicht zufrieden, das 2007 vom Jungunternehmer Pavlov Schtakleff gegründet wurde. Die extrem hochpreisigen Möbel werden ausschließlich von Möbelmanufakturen in Frankreich produziert, die auf die Herstellung von Louis-XV-Möbeln versiert sind. Obwohl das Label durchaus auf Designmessen präsent ist, hat es bislang nur zwei Kollektionen vorgestellt, die vom französischen Designer Damien Langlois-Meurinne sowie von Jaime Hayon entworfen wurden. Auch hierbei ist Echtheit Trumpf: So wird der Beistelltisch Time Peace aus massiver Bronze gefertigt, die lediglich an der Tischplatte zum Vorschein kommt und sonst unter einer Schicht aus schwarzem Lack verborgen wird. Über die Notwenigkeit dieser Materialschlacht kann man sicher streiten. Doch der Reiz liegt im Wissen um die Entstehung der Möbel. Die meisten Manufakturen, mit denen Sé zusammenarbeitet, bewegen sich in einem stetig schrumpfenden Markt für Möbel im Barockstil. Kollektionen wie diese übertragen ihr handwerkliches Know-How in die Gegenwart und setzen somit eine Kultur weiter fort.
Die Bling-Bling-Falle
Den Schlüssel zum Handwerk bildet das Material, dessen Eigenarten und Tücken von einer Handwerker-Generation zur nächsten weitergegeben werden. Diese zu beherrschen und gezielt anzuwenden, gibt den Dingen nicht nur Erdung. Sie kann auch zu einer Falle werden: Nämlich dann, wenn Handarbeit nicht mehr Mittel zum Zweck ist, sondern zum reinen Selbstzweck verkommt. Der Tisch Twaya, den der Mailänder Architekt Ferruccio Laviani 2012 für das Emmemobili entwarf, ist dafür ein gutes Beispiel. Gefertigt aus reiner Eiche, imitiert das Möbel mit seiner hölzernen Oberfläche den Faltenschlag eines locker platzierten Tischtuchs.
Handarbeit und Hightech greifen hierbei direkt ineinander: Denn die einzelnen Komponenten wurden zunächst mithilfe von CNC-Maschinen grob gefräst und anschließend von Hand zusammengebaut und in minutiöser Feinarbeit geschliffen. Um dem Holz eine haptischere Oberfläche zu verleihen, wurde es mit Sand bestrahlt und nach einer speziellen Technik geölt, sodass die Holzstruktur umso stärker zu Geltung kommt. Doch bei allem Aufwand bleibt der Sinn auf der Strecke. Die Handarbeit dient weder einer höheren Qualität noch einem anderen Mehrwert, sondern lediglich der Zurschaustellung verrichteter Arbeitsstunden. Das Möbel ist nichts anderes als sein eigenes Preisschild. Darauf steht in übergroßen Lettern: 18.200 Euro.
Technik-Kitsch
Kaum anders erging es der Uhrenmanufaktur Richard Mille mit ihrem 2012 vorgestellten Modell RM 056 Felipe Messa Sapphire. Mit einem Preis von 1,48 Millionen Euro ist sie die teuerste Armbanduhr der Welt, deren fünf Exemplare bereits vor der offiziellen Prämiere auf der Uhrenmesse Baselworld vergriffen waren. Mehr als eintausend Arbeitsstunden stecken in der Hightechuhr mit einer Hülle aus Saphirglas, die über einen Tourbillon, einen Schleppzeigerchronographen, eine Gangreserve und Drehmoment-Anzeige verfügt.
Das transparente Gehäuse macht keinen Umschweif, worum es hierbei geht: Die Bewegung jedes noch so kleinen Zahnrads wird nach Außen kommuniziert, dass die Uhrzeit zwischen dem Wirrwar sich bewegender Bauteile kaum zu erkennen ist. Das mag aus technischer Sichtweise faszinierend sein. Doch als Produkt ist die Uhr der blanke Kitsch. Denn liegt der Reiz einer mechanischen Uhr nicht darin, das Ballett der Zahnräder unter dem Zifferblatt zu verbergen und allein durch ein leises Ticken nach außen dringen zu lassen? So sehr die Rückbesinnung auf Handarbeit zu begrüßen ist: Zwischen Raffinesse und Plumpheit liegt häufig nur ein schmaler Grad.
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