ISH 2013: Das fliegende Badezimmer
Was wäre, wenn sich das Einlassen des Badewassers per Knopfdruck betätigen ließe? Und die Wanne zu singen anfinge? Was wäre, wenn eine per Fernbedienung steuerbare Dusche das Toilettenpapier ersetzte? Und ein photokatalytischer Prozess die Klobürste? Was für den einen wie Zukunftsmusik klingen mag, ist für den anderen auf dem besten Wege, Realität zu werden. Das zeigte die ISH 2013 vergangene Woche in Frankfurt. Von analog bis digital scheint im Badezimmer von morgen fast alles intuitiv und individuell auf die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst per Knopfdruck zu passieren; die sich an eine architektonisch orientierte Raumgestaltung anlehnenden Badmöbel sind dabei eine organisch begleitende Komponente.
Es ist nicht seine Welt. Weswegen er sich am Liebsten von seinem Neffen Gérard am Tor des Grundstücks verabschiedet. Doch ab und an muss er das neue Zuhause seiner Schwester betreten. Wie auch heute zum Essen. Und da er sich vorher die Hände waschen will, betritt er zum ersten Mal das Badezimmer. Ähnlich wie bei seinem letzten Besuch, bei dem er zum ersten Mal die Küche von Innen sah, erwartet ihn auch hier ein kühl gestalteter Raum mit einer Vielzahl an suspekten Gegenständen. Kaum ist die elektrische Tür hinter Monsieur Hulot verschlossen, öffnet sich der Toilettendeckel. Misstrauisch nähert er sich der Vorrichtung und versucht sie wieder zu verschließen, doch er stößt auf Widerstand. Es folgt ein lautes Knacken. Irritiert wendet er sich vom WC ab und dem Waschbecken zu. Da er jedoch auf Anhieb keine Armatur finden kann, drückt er auf einen der vielen Knöpfe an der Wand. Ein Spiegelschrank öffnet sich und ihm fällt ein Stück Seife entgegen. Monsieur Hulot versucht es aufzufangen, doch es fällt ihm aus der Hand auf den Boden. Bevor noch weitere Dinge folgen können, drückt er wieder auf einen Knopf, der aber nicht den Schrank verschließt, sondern den in der Wand versteckten Wasserauslauf aktiviert. Überrascht macht Monsieur Hulot einen Satz nach hinten und rutscht auf der Seife aus. Er versucht sich am Waschbecken festzuhalten, doch dieses gibt nach und gleitet Richtung Boden.
Pioniergeist und Schreckgespenst
Die Filmkultur ist voll von eigenwilligen Maschinen und bedienunfähigen Menschen, allen voran Jaques Tatis Monsieur Hulot, der als einer der ersten in den fünfziger Jahren dem Publikum slapstickartig vor Augen führte, in welche selbstgemachten Dilemmas die Automatisierung des Eigenheims – Pioniergeist und Schreckgespenst der Moderne zugleich – führen könnte. Dabei ist der Traum nach einem den Alltag vereinfachenden Inventar schon mindestens so alt wie die Wohnkultur selbst. Seit der Einführung des elektrischen Stroms in Privathaushalten ist er weder aus Disneys Themenpark Tomorrowland noch von einer Weltausstellung wegzudenken: Das Haus der Zukunft passt sich schmeichelnd auf Schritt und Tritt dem Wandel der Bedürfnisse an. Während die Welt von Tati noch von störrischen Kabelbedienungen und unnachvollziehbaren Handgriffen, die den folgenden technischen Effekt nicht zu rechtfertigen wussten, beherrscht schien, kommt die Technik von heute gebändigt und unsichtbar dem menschlichen Wohlbefinden tatsächlich sehr viel näher. Gerade im Badezimmer setzt die Industrie auf Zukunftstrends, genau genommen gibt sie diese vor – wie auf der ISH 2013 gezeigt wurde.
Digital und analog
Allen voran steht das Unternehmen Dornbracht, das vergangene Woche erstmals eine digitale Technologie präsentierte, die schon heute Grundlage für das Bad – und die Küche – von morgen ist. Schließlich ist die Digitalisierung unseres Alltags längst eine Realität, die sich aus keinem Bereich mehr wegdenken lässt. Auch nicht aus dem Badezimmer. Vielmehr lautet die zentrale Frage, wie notwendig und benutzerfreundlich die Technologien sind. Dornbracht hat dazu mit Smart Water eine passende Antwort in Frankfurt vorgestellt. Das Kernstück der neuen Technologie ist ein Steuerungselement, das mit einem Display- und zwei Drehreglern die Vorteile analoger und digitaler Welten in sich vereint. Während die Drehregler mit nur einem Handgriff die exakte Temperatur und Wassermenge steuern können, bietet der Displayschalter eine intuitive Bedienung auf Fingerdruck. Somit können ohne komplizierte Menüführung nützliche Voreinstellungen und hilfreiche Funktionen für alltägliche Anwendungen abgerufen werden, wie zum Beispiel das Einlassen des Badewannenwassers, das automatisch stoppt.
Komplex und intuitiv
Eine vereinfachte und intuitiv zu bedienende Menüführung besitzt auch AquaClean Sela von Geberit. Entworfen vom Mailänder Architekten und Produktdesigner Matteo Thun konzentriert sich das neue Dusch-WC auf das Wesentliche: die Intimreinigung. Denn was in Japan zur natürlichen Toilettenhygiene gehört, ist in Europa immer noch keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Der Durchschnittseuropäer hat immer noch Vorbehalte gegenüber dem komplexen, fast medizinisch anmutenden Gerät, das mit einer Vielzahl von Tasten ausgestattet ist. AquaClean Sela hingegen hat nicht nur ein übersichtliches und intuitiv bedienbares Display mit einem großen, selbsterklärenden Knopf für den Duschvorgang, vielmehr sieht man ihm seine Funktion gar nicht an, da die Technik in der Keramik integriert ist.
Wasser und Licht
Für den Sachkundigen im Bereich Intimreinigung gab es zwei Neuigkeiten aus dem Hause Toto zu entdecken. Zum einen hat der japanische Sanitärspezialist selbstreinigende Dusch-WCs vorgestellt, die die Toilettenbürste weitgehend überflüssig machen. Neben den üblichen Funktionen wie einem beheizbaren Sitz, Intimdusche, Trockner und geruchsabsorbierendem Deodorizer verfügen sie über die neuen Technologien ewater+ und Actilight. Während erstere die Toilettenschüssel vor und nach der Nutzung mit einem feinen Wassernebel benetzt, um einerseits Schmutz weniger gut haften zu lassen und ihn andererseits abzuspülen, geht Actilight einen Schritt weiter: Auch hier findet zunächst der Ablauf von ewater+ statt, hinzu kommen aber noch weitere Komponenten. Die Toilettenschüssel besitzt eine besondere Oberflächenbeschichtung, die mithilfe einer in den Toilettendeckel integrierten UV-Lampe einen photokatalytischen Prozess auslöst. Trifft das Licht auf die Beschichtung, wird ein Zersetzungsprozess von allen sich darauf befindlichen organischen Substanzen eingeleitet.
Technik und Funktion
Neben den beiden neuen Technologien hat Toto mit Villeroy & Boch die beiden Washlets ViClean Ultimate und ViClean Leaf für den europäischen Markt entwickelt, die sich jedoch in ihrer Komplexität auch – oder vielleicht eher – für den asiatischen Markt oder zumindest den Kenner eignen: Von der Gesäßdusche und einer Ladydusche für die Intimpflege der Frau, über eine pendelnde Massagedusche und einem in der Temperatur regulierbaren Warmluftföhn, bis zu einem stufenlos einstell- und beheizbaren Sitz und einem leistungsstarken Geruchsfilter umfassen sie eine Vielzahl an Funktionen, die per Fernbedienung zu steuern sind. Das gewisse Extra möchte auch Kaldewei bieten und brachte nach Frankfurt das Bad-Audio-System Sound Wave mit, das die Badewanne zum Klangkörper macht. Die einzelnen Komponenten werden zusammen mit Empfänger unter der Wanne montiert und können Audiodateien von jedem Bluetooth-fähigen Gerät kabellos wiedergeben. Von Vorteil ist dabei der Pairing-Modus: Es kann bis zu acht Geräte speichern.
Umdenken und bedienen
Zum Umdenken regt auch Axor, die Designmarke von Hansgrohe, mit der von Philippe Starck entworfenen organisch geformten Armatur an. Bei diesem Produkt unterscheidet sich die Anordnung der Bedienelemente grundlegend von herkömmlichen Modellen: Temperatur und Wassermenge werden nicht nur separat voneinander reguliert, sondern befinden sich auch an neuen Positionen. Die Temperatur wird am Kopf der Armatur eingestellt, der Strahl direkt am Auslauf. Somit wird das Wasser direkt dort an- und ausgestellt, wo sich die Hände ohnehin befinden. Weil die Temperatur bereits voreingestellt ist, geht zudem das Händewaschen schneller und deutlich sparsamer. Auch Keuco verabschiedete sich mit der von dem Potsdamer Büro Tesseraux + Partner entworfenen Serie meTime_spa vom herkömmlichen Aussehen einer Armatur. Was auf den ersten Blick wie ein schlichtes Regalelement aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein verglastes Armaturenpaneel. Neben den verchromten Bedienelementen zum Einstellen der Wassermenge und -temperatur besitzt es verschiedene Ablageflächen aus Aluminium.
Material und Optimierung
Angelehnt an eine architektonisch orientierte Raumgestaltung sind auch die Einbaubadewannen der Kollektion BetteLux von Tesseraux + Partner für Bette, die zudem technische Meisterwerke in der Stahl-Email-Herstellung sind. Ihre Entstehungsgeschichte lässt sich an ihrer Form ablesen: Aus einem Rechteck der stählernen Platine fließt das Material in die Wannenform – fast wie eine aufgespannte Fläche, die sich durch das Befüllen mit Wasser verändert. Der streng geometrische Wannenrand, der sich unaufhörlich in den weichen Flächen des Wannenkörpers auflöst, ist nur acht Millimeter stark und erinnert in keiner Weise an die gängigen Wannenmodelle aus Stahl-Email. Auch Laufen hat seine Kernkompetenz weiterentwickelt: die Keramik. In Frankfurt stellte der Schweizer Hersteller mit der Saphirkeramik ein Material vor, das Kanten mit Radien von einem bis zwei Millimetern ermöglicht – zum Vergleich: Bisher waren es mindestens sieben bis acht Millimeter. Anwendung findet die optimierte Keramik in einer neuen Kollektion, die in Zusammenarbeit mit dem italienischen Kunststoffhersteller Kartell und den Designern Roberto und Ludovica Palomba entstanden ist. Die strenge Geometrie der Keramik trifft hier auf die mehrfarbige Leichtigkeit der Möbel und Accessoires aus Kunststoff, die dem Raum trotz ihrer Schlichtheit einen wohnlichen Charakter verleihen.
Tomorrowland Bad
Ob Badewannen, die sich per Knopfdruck füllen, ohne überzulaufen, oder Toiletten, die zu Duschen werden und keine WC-Bürsten mehr benötigen: Selbst Disneys Tomorrowland würde wohl nicht viel weiter in die Zukunft des Badezimmers blicken können, denn viel mehr Komfort können sich die wenigsten vorstellen. Selbst Hersteller aus Home Entertainment und Küche können sich etwas von der Raffinesse der neuartigen Badprodukte abschauen, die intuitiv zu bedienen sind und sich individuell den Bedürfnissen des Einzelnen anpassen lassen, ohne dem ehemaligen Funktionsraum etwas von der neu gewonnenen Wohnlichkeit abspenstig zu machen. Ob ein Monsieur Hulot damit zurecht kommen würde, sei dahingestellt. Doch sicher müsste er einen Teil seines Kriegsfußes mit der Technik begraben – und mit ihm der skeptische Endverbraucher.
Mehr zu neuen Produkten und Trends von der ISH 2013 finden Sie in unserem Special.
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