Istanbul Design Week 2007
Die dritte IDW-Istanbul Design Week präsentierte vom 4. bis zum 10. September 2007 Größen wie Konstantin Grcic, Patricia Urquiola, Li Edelkoort und Tucker Viemeister am Rednerpult. 60.000 Gäste besuchten die Location auf der alten Galata-Brücke, um die Entwürfe etablierter Designer ebenso wie die von Design-Frischlingen zu sichten. Nachdem ILK, eine Kooperation 35 türkischer Designer, im April erstmals in Mailand große Erfolge feierte, folgte nun das Heimspiel in Istanbul – Metropole am Wasser und auf zwei Kontinenten. Lage und Geschichte werfen Fragen auf: Hat das türkische Design eine eigene Identität und wie sieht diese aus? Braucht die Welt Design mit Kebap-Taste? Und lassen sich türkisch-traditionelle Kulturelemente überhaupt umsetzen?
Da war dieser eine Moment. Vorne auf der Bühne entwarf Trend-Guru Li Edelkoort visionäre Gestaltungsideen der Zukunft. Der Wind zerrte lautstark an der Verankerung des improvisiert wirkenden Vortragszeltes. Ungerührt tuckerte ein Ausflugsdampfer draußen auf dem Meeresarm vorbei und erinnerte daran, dass es das Wasser war, das die Lage von Zelt und Stadt so besonders machte. In die lebhafte Geräuschkulisse knatterte ein Helicopter, begleitet vom eindringlichen Rufen eines nahen Muezzins, während irgendwo ein DJ mit Party-Rhythmen die abendliche Aussteller-Party einläutete. Ein Moment voller Chaos, Lärm, Leben, Zukunft, Vergangenheit – und damit ein prächtiges Symbol für die ganze Stadt und ihren Aufbruch ins Designzeitalter.
Bereits zum dritten Mal hatten die Gründer Esra Ekmekci und Arhan Kayer von der Dream Design Factory die Istanbul Design Week organisiert, mit steigendem Erfolg, international wachsender Aufmerksamkeit und einem Staraufgebot westlicher Designer. Das erklärte Ziel des Duos: Eine Plattform für Design-Interessierte an der Nahtstelle zweier Kontinente zu schaffen, mit allen sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Als Treffpunkt, Messegelände und vielleicht auch Sinnbild diente wiederum die rund 100-jährige, ehemalige Galata-Brücke, die – vor dem Verschrotten gerettet und in drei Teilstücke zerlegt – eine zweistöckige Begegnungsfläche direkt auf den Gewässern des Goldenen Horns bot. Aussteller und Designprojekte aus fünf Sparten – inklusive Industrial, Fashion und Communication Design – füllten die Flächen, daneben hiesige und westliche Ausstellungen wie die deutsche „Best of DesignMai“, das türkische Designerbankett „Barbarians“ mit seinen ironischen Rapid-Prototyping-Entwürfen oder die französische Produktvorstellung „Etoiles du Design“, angereichert mit einem Philippe-Starck-Exponat. Soweit der Rahmen. Dass Redner wie Patricia Urquiola, Konstantin Grcic oder Tucker Viemeister den Weg aus Mailand, München oder New York nicht scheuten, auf der Brücke vorstellig zu werden, spricht für das Kaliber des Projektes – und für das der Stadt. „Jedes Gespräch über Design ist gut“, freute sich Viemeister auf der Eröffnungsparty.
Wie viele etablierte, weltweit operierende Designer das östliche EU-Bewerberland bereits besitzt, war der Öffentlichkeit bis dato kaum klar. Nurus, ein ansässiger, hochaktiver Produzent von Büromöbeln, unterstützte diese erste türkische Designerformation namens ILK – auf türkisch „zum ersten Mal“ – organisatorisch beim ersten gemeinsamen Auftritt in der Mailänder Zona Tortona anlässlich des Möbel-Salons. Der Erfolg war bahnbrechend und natürlich gab die Truppe nun ein Istanbuler Heimspiel. Güran Gökyay, Mit-Inhaber von Nurus, dazu knapp: „Wir wollen nicht als ethnische Gruppe dastehen und auch nicht als designende Türken. Unser Land ist kosmopolitisch. Wir alle reisen durch die Welt, wir haben die selben Ideen. Unsere Kultur und Tradition ist sehr reich – wenn, dann geht es um eine zeitgemäße Interpretation dieses Erbes.“
Die Frage nach der Identität türkischen Designs beantworten Mitglieder von ILK unterschiedlich. Aziz Sariyer, Altmeister und Gründer des Labels Derin Design, dazu: „Die Messe zeigt ja nur einen kleinen Ausschnitt unserer Szene, die seit 2000 auf internationalem Level arbeitet. Istanbul ist der Balkon der westlichen Welt und sollte wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Aber sogenanntes türkisches Design oder Design mit Kebap-Taste gibt es nicht. Wenn ich eine Zahnbürste entwerfe, warum muss die dann türkisch sein?“ Ein Zugeständnis gibt der 57-Jährige dann doch: „Wir arbeiten insgesamt emotionaler, das prägt auch die Formen“. Die in Mailand, Istanbul und Chicago lebende Defne Koz arbeitete für Cappellini, Fontana Arte, Guzzini, WMF und Pirelli. Sie sagt: „Unser Land hat zwar noch keinen großartigen Design-Background, aber eine starke Industrie, die Unternehmer gehen in Riesenschritten voran. Was wir unbedingt vermeiden sollten, ist ein vordergründiger, dekorativer Stil. Auch unser Talent, Dinge zu adaptieren, könnte in diesem Zusammenhang gefährlich werden.“ Dass in den letzten fünf Jahren an die 13 Design-Programme an Schulen aufgebaut wurden, wirkt dieser Befürchtung entgegen. Lebender Beweis für den kreativen Nachwuchs und Shootingstars der jungen Szene sind Seyhan Özdemir und Sefer Caglar, kurz genannt: Autoban. Wallpaper kürte das 2003 gegründete Duo zu „Best Young Designers of the Year 2004“, ihr Interior-Projekt Müzdechanga in Istanbul gewann den „Wallpaper Best New Restaurant 2006“-Award. Die studierte Architektin Seyhan: „Typisch türkisch ist, rohe Materialien wie Holz, Eisen und Blech zusammen mit lokalen Produktionstechniken einzusetzen.“ Offensichtlicher geht Erdem Akan vor, der unter eigener Flagge als auch für das in Wien und Istanbul ansässige Studio Maybe-Design entwirft. Seine Teegläser „East meets West“ bilden eine optimal gelöste Symbiose ost-westlicher Ästhetik. „Jeder sollte die Sprache des Designs mit dem eigenen Akzent versehen. Türkischer Input ist wichtig, wir müssen Profil zeigen, der Weg liegt in der richtigen Mischung der Anteile“, bekräftigt Akan. Er sieht im sogenannten türkischen Chaos den Motor für Neues: „Das Chaos lässt dein Herz schneller schlagen, im Chaos kann alles passieren. Zu viele Regeln sind da nur schädlich“. In seinen Arbeiten hat Akan des öfteren Spielarten jener abstrakten Geometrie eingesetzt, die als wesentlich für die Kultur des Islam gilt und heute in vielen Entwürfen muslimisch geprägter Künstler zu entdecken ist.
Dass in den Aktivitäten in und um Istanbul viel Potential steckt, weiß Valerio Castelli besonders gut. Castelli ist Mitbesitzer der Firma Kartell und Gründer der Zona Tortona. Hier auf der IDW ist er aus professionellen Gründen – er wird als Design Consultant den Auftritt der IDW 2008 überarbeiten: „Ich bin sehr angetan von allem, was ich hier gesehen habe, ein schnell wachsender Markt mit hohem kreativem und industriellem Potential und noch dazu interessanter als China, was Mentalität und Distanzen angeht. Aber es wäre ein Fehler, wenn man versuchen würde, uns nachzuahmen. Die türkischen Designer müssen ihre eigene Identität finden und die ergibt sich von ganz alleine.“
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