Stories

Karnevalist mit Weitsicht

von Norman Kietzmann, 09.02.2010


Mit Schnelllebigkeit hatte Walter Papst nie viel am Hut. Seiner Zeit war der 1924 in Kiel geborene Gestalter jedoch gleich mehrfach voraus. Die Entwürfe, die er während der fünfziger bis siebziger Jahre anfertigte, zeigen eine Moderne fernab starrer Dogmen und scheuen weder leuchtende Farben noch humorvolle Details. Das Kölner Museum für Angewandte Kunst widmet dem eigenwilligen Querdenker, der im März 2008 in Köln verstarb, die Retrospektive „Montags beim Papst“
.


Wer gegen den Strom schwimmt, ist schwerer zu fassen. Für Walter Papst gilt diese Regel umso mehr, zeigen seine Arbeiten eine andere Seite der vermeintlich „glatten Moderne“, wie sie in den Nachkriegsjahren geprägt wurde. Mal arbeitet er ganz handwerklich in Holz, wird kurzerhand zum Vorreiter im Umgang mit Kunststoff, entwirft phantasievolle Möbel für Kinder und belebt den öffentlichen Raum mit organisch geschwungenen Parkbänken und futuristisch anmutenden Strandkörben. Für Verwunderung sorgt allerdings nicht nur seine Vorliebe für leuchtend-emotionale Farben, sondern eine überaus folgenreiche Entscheidung.

Hinwendung zur Mystik

1975, im Alter von 50 Jahren, schließt Walter Papst sein Designbüro in Köln und widmet sich fortan den Recherchen für seinen 1994 erschienen, mystischen Zukunftsroman „Der Götterbaum“. Darin verortet er den menschlichen Schöpfungsort im Kosmos und beschreibt jenen „kosmischen Baum“, der in den Mythen fast aller Kulturen Erwähnung findet. Zwar trifft Papst mit seinen Theorien durchaus den Zeitgeist der späten siebziger Jahre – sein Buch wird immerhin in vier Sprachen übersetzt. Dennoch wird ihm von Seiten der Wissenschaft und der Kritiker die Anerkennung versagt. Seinen Nachbauten vermeintlich prähistorischer Flugobjekte, die er mehrfach an die Nasa zu vermitteln versuchte, ging es kaum anders. Ein Umstand, der auch sein Werk als Designer aus Sicht der rationalen und von den Prinzipien der HfG Ulm geprägten Designauffassung in Deutschland zunehmend suspekt machte.

Widersprüchliche Persönlichkeit

Die Ausstellung im Kölner Museum für Angewandte Kunst, die nach ihrem Auftakt am Firmenstandort von Wilkhahn in Bad Münder im Frühjahr 2009 derzeit am Rhein ihre zweite Station bezieht, kehrt diesen Aspekt bewusst nicht unter den Tisch, sondern reiht ihn ganz selbstverständlich in sein Lebenswerk mit ein. Dass ein Modernist, der Papst zweifelsohne war, hier nicht als purer Rationalist präsentiert, sondern als widersprüchliches und damit menschliches Wesen wahrgenommen wird, ist keinesfalls selbstverständlich. Es zeigt zugleich aber auch das offene und entspannte Verhältnis, mit dem die Firma Wilkhahn als Initiator der Ausstellung die Archive Walter Papsts geöffnet und öffentlich zugänglich gemacht hat. Was entstand, ist der Blick auf einen „anderen Modernisten“, der sich nicht nur in seiner Arbeit, sondern ebenso in seinem Privatleben von vielen Kollegen unterschied.

Die Urform des Stuhles

Seine Karriere beginnt Walter Papst in den fünfziger Jahren auf beinahe bodenständige Weise: Nach einer Tischlerausbildung studiert er von 1952 bis 1954 an der Muthesius-Werkkunstschule in Kiel und wird dort vom Werkbund und dessen Ideal der „Guten Form“ geprägt. Bereits während dieser Zeit fertigt er den Entwurf für einen Stuhl an, der wenige Jahre später zu einem Klassiker der Nachkriegsjahre werden soll: der Dreibeiner, der von Wilkhahn erstmals 1955 in Serie produziert wird. Schon dieser tanzt spürbar aus der Reihe, animiert er doch zu unkonventionellem Sitzverhalten und lässt sich nach vorne, nach hinten oder quer zur Seite gleichermaßen benutzen.

Abstraktion mit Pferdeschweif

Ein weiterer Klassiker entsteht drei Jahre darauf, als Papst in den Werkstätten von Wilkhahn Kunststoff kennenlernt und dessen Eigenschaften weiter entwickelt. Für seine Schaukelplastik verwendet er glasfaserverstärktes Polyester nicht mehr – wie zu jener Zeit üblich – mit einer aus gefärbtem Lack überzogenen Oberfläche, sondern als in sich durchgefärbtes Material. Auch wenn die abstrahierte Gestalt der Schaukelplastik zulässt, die schwarzen Griffe je nach Sichtweise als Augen, Ohren oder Hörner zu deuten, um damit die kindliche Phantasie bewusst nicht einzuengen, verpasst Papst seinem Entwurf eine naturalistisch wirkende Quaste. An der HfG Ulm, wo zeitgleich Kinderspielzeuge von ähnlicher Abstraktion entwickelt wurden, entstand der Vorwurf, die Interpretation damit bereits zu sehr in Richtung Pferd zu lenken. Oder anders gesagt: Das naturalistische Detail war den Hardlinern unter den Puristen schlichtweg zu viel der Wirklichkeit. Eine Empfehlung wurde der Schaukelplastik trotz dieser Einwände vom HfG-Arbeitsausschuss „Gutes Spielzeug“ aber dennoch ausgesprochen.

Knallbunte Kunststoffmöbel

In den kommenden Jahren bleibt Walter Papst – der 1958 mit seiner Familie nach Köln zieht – nicht nur dem Material Kunststoff treu, sondern arbeitet an weiteren Entwürfen für Kinderstühle, die in den Jahren 1960 bis 1971 in kräftigen Rot-, Blau- oder Gelbtönen produziert werden. Für Aufsehen sorgt derweil seine organisch geschwungene Polyester-Gartenbank von 1961, die in einem Werbespot von echten Bären des Ulmer Zoos auf ihre Widerstandskraft getestet wird. Ebenfalls aus Kunststoff ist der Strandkorb, den Papst 1968 für Wilkhahn entwickelt. Obwohl der Entwurf mehrfach an den Stränden Schleswig-Holsteins zum Einsatz kommt, bleibt der erwartete Erfolg jedoch aus. Ein Umstand, der ihn resigniert feststellen lässt: „Die Leute wollen nur das, was sie kennen“.

Stadtbekannter Karnevalist


Es allein auf Erfahrungen wie diese zurückzuführen, dass sich Walter Papst 1975 als Gestalter zurückzieht und auf das Verfassen seines „Götterbaumes“ konzentriert, wäre ein wenig zu einfach geurteilt. Während so manche Kollegen den Anschein erwecken, als müssten sie zum Lachen in den Keller hinabsteigen, wird Papst sogar zu einem Hauptprotagonisten des Kölner Karnevals. Ausgestattet mit einer kleinen Pauke führt er für mehrere Jahre die Spitze des Rosenmontagszuges an und wird auf diese Weise stadtbekannt. Für kaum weniger Aufsehen sorgt das anschließende Fest in seiner Wohnung in der Werderstraße, bei dem alljährlich – montags beim Papst – mit reichlich Kölsch weitergefeiert wird. Vielleicht, und das zeigt diese Ausstellung, stand der Kieler Gestalter einfach zu sehr im Leben, um sich auf Dauer allein dem Design widmen zu können. Der Ausflug in astronomische Höhenflüge muss ihm hierbei wohl verziehen werden.


„Montags beim Papst“
noch bis zum 21. März 2010
Museum für Angewandte Kunst Köln
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Links

Museum für Angewandte Kunst Köln

www.museenkoeln.de

Imm Cologne 2010

www.designlines.de

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