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Kein zweiter Blick

von Claudia Simone Hoff, 30.05.2012


Außergewöhnliche Ideen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Genau deshalb laden Porzellanhersteller Künstler, Gestalter und Handwerker zur Zusammenarbeit ein. Man denke nur an die legendäre Studio-Line von Rosenthal oder die Kooperation von Nymphenburg mit Konstantin Grcic und Hella Jongerius. Nun reiht sich auch Villeroy & Boch ein in diesen Reigen. Das ist insofern von Bedeutung, da das Unternehmen die Namen seiner Gestalter üblicherweise nicht verrät – auch wenn es sich um international erfolgreiche Designer wie Stefanie Hering oder Christian Haas handelt. Doch beim LoopArt-Projekt Second Glance geht man andere Wege und kommuniziert ganz offensiv den Namen des ausführenden Künstlers und Typografen: Ebon Heath. Muss man auch, möchte man anmerken, ist der Amerikaner doch in der internationalen Kunst- und Designszene ein unbeschriebenes Blatt.



Das Projekt – angesiedelt im Unternehmensbereich Bad und Wellness – wurde Anfang Mai erstmals präsentiert. Als Ort hatte Villeroy & Boch sich Berlin, eines der Zentren der internationalen Kunstwelt,  ausgesucht. Und so kam es, dass sich der Künstler, Mitglieder der Familie von Boch, Angestellte des Unternehmens und nicht zuletzt einige von insgesamt 100 Waschbecken und eine Installation in Form eines Mobiles auf den Weg an die Spree machten. In der Seven Star Gallery in der Gormannstraße in Berlin hatte sich das typische Berliner Mitte-Publikum eingefunden und begutachtete die ausgestellten Keramikobjekte mit dem von Ebon Heath entworfenen Dekor. Und fragte sich ganz unwillkürlich: Wozu der ganze Aufwand?

Zurück in die Zukunft

Denn auch wenn Villeroy & Boch 1975 eine futuristisch anmutende Badkollektion von Luigi Colani auf den Markt brachte, die das bis dahin funktional ausgerichtete Badezimmer in eine veritable Lounge verwandelte, zeigte sich der Hersteller gestalterisch in den letzten Jahren wenig avantgardistisch. Zwar handwerklich solide hergestellt, jedoch immer konservativ kommen Formen und Dekore daher – ob im Badbereich oder bei der Tableware. Sie sind vom gestalterischen Niveau her nicht zu vergleichen mit ambitionierten High-Design-Projekten wie beispielsweise Lightscape oder Geschirr der fliegenden Stadt von Nymphenburg.

Auch beim Second Glance-Projekt spielt das Design eine untergeordnete Rolle, denn als Träger des Dekors von Ebon Heath wird der vom Unternehmen serienmäßig hergestellte Waschtisch Loop & Friends verwendet. Hier steht vielmehr das Dekor im Vordergrund, seit jeher Kernkompetenz des Unternehmens.  Ebon Heath beschäftigt sich mit der Reinterpretation von Villeroy-und-Boch-Dekoren und -Formen, der Geschichte und den wegweisenden Personen des Unternehmens. Diese historischen Referenzen und die Kultur des Keramikherstellers  sind eingeflossen in das auf die runde weiße Aufsatzwaschschüssel aufgebrachte Dekor.

Alles nur Dekor oder Viel Lärm um Nichts

Warum das Projekt den Namen Second Glance – zu Deutsch „auf den zweiten Blick“ – trägt, wird deutlich, wenn man das von der Farbe Gelb dominierte Dekor näher betrachtet. Nicht nur tauchen dort fragile rote Blüten auf – bei genauem Hinsehen erscheinen Gesichter oder Motive aus Mettlach, dem Sitz des Unternehmens. In einem farbenfrohen Reigen aus Blüten und Formen versteckt sich beispielsweise das abstrahierte Konterfei von Octavie von Boch oder der an einen Felsen gelehnte Eugen von Boch. Beide Porträts sind Gemälden entnommen, während der alte Turm von Mettlach auf alten Brief- oder Stempelmarken abgebildet war. Und auch die Rocaille-förmigen Ornamente einer Basis für ein Kruzifix aus der Zeit des Rokoko (um 1790) tauchen im grafischen Gewirr des Second Glance-Projekts wieder auf. Man kann sich gut vorstellen, wie viele Versuche es mit ausgeschnittenem Papier gegeben haben muss, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, stellte doch die runde Form des Waschbeckens mit dem keramischen Ventil eine Herausforderung dar.

Die Banalität eines Waschbeckens

Ebon Heath, zwischen New York und Berlin unterwegs, hatte ursprünglich drei Gestaltungsvorschläge eingereicht, von denen einer ausgewählt wurde. Jedes der 100 voll funktionstüchtigen Waschbecken ist ein Unikat, nummeriert, mit der Signatur des Künstlers versehen und kann für 1748 Euro erworben werden. Das bei 1000 Grad Celsius gebrannte und mit 18 Karat Weißgold versetzte Dekor in einer neuartigen Relieftechnik stellte eine Herausforderung für die gängigen Herstellungsprozesse des Unternehmens dar. Wie überhaupt die Zusammenarbeit zwischen Künstler und Unternehmen eine Herausforderung war, wie Ebon Heath bei der Präsentation in Berlin erzählt. Beide Seiten bezeichnen die Zusammenarbeit jedoch als Erfolg, worin auch immer der bestehen mag. Der Künstler jedenfalls sagt von sich, dass er in einem ihm bisher unbekanntem Betätigungsfeld – der Keramik – Materialkompetenz sammeln konnte, während man auf Unternehmensseite eine neue Herstellungstechnik verbucht.

Mehr Kommerz als Kunst

Villeroy & Boch, gegründet 1748, blickt auf eine reiche Historie zurück. Nicht nur waren zwei Familienmitglieder – Anna und Eugen Boch – im 19. Jahrhundert selbst als Maler tätig, sie sammelten auch Werke ihrer Kollegen und standen in persönlichem Kontakt mit Künstlern wie Paul Gauguin oder Vincent van Gogh. Daneben sind auch Künstlerpersönlichkeiten wie Franz von Stuck, Richard Riemerschmid, Josef-Maria Olbrich oder Peter Behrens zu erwähnen, die für Villeroy & Boch Entwürfe für dekorative Keramik und Fliesen machten.

Um diese Tradition wissend, stellt das LoopArt-Projekt eine Enttäuschung dar. Warum es von Villeroy & Boch unter dem Label Kunst vermarktet und verkauft wird, erschließt sich nicht jedem Betrachter. Objekte in limitierter Auflage allein reichen nicht aus, um dieses – wahrscheinlich marketinggesteuerte – Vorgehen zu rechtfertigen. Wie High-End-Design aussehen kann, machen andere Porzellanhersteller vor: Royal Copenhagen, Fürstenberg, Rosenthal oder Nymphenburg. Warum beispielsweise hat Ebon Heath auf ein Sammelsurium von Villeroy-und-Boch-Versatzstücken zurückgegriffen und diese dann lediglich abstrahiert mit einem fast kitschigen Ergebnis? Dass er aus dieser banalen Idee dann auch noch Schmuckstücke und ein Buchstaben-Mobile aus Keramik mit ähnlichem Dekor hergestellt hat – das macht die Sache nicht besser.

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